Boris Johnsons Ökowende Großbritannien stoppt Verkauf von Benzin- und Dieselautos schon 2030

Ein weiterer großer Automarkt macht Verbrennungsmotoren zum Auslaufmodell. Großbritanniens Premier Boris Johnsons will in zehn Jahren keine Diesel oder Benziner mehr zulassen - Teil einer größeren, erstaunlichen Ökowende.
Rush Hour: Pendler - überwiegend noch in Autos mit Verbrennungsmotor - auf dem Weg in den Blackwall Tunnel nahe dem Londoner Finanzzentrum Canary Wharf

Rush Hour: Pendler - überwiegend noch in Autos mit Verbrennungsmotor - auf dem Weg in den Blackwall Tunnel nahe dem Londoner Finanzzentrum Canary Wharf

Foto: SIMON DAWSON / REUTERS

Der britische Premierminister Boris Johnson (56) will von 2030 an den Verkauf von Dieselwagen und Benzinern verbieten - fünf Jahre früher als bisher angepeilt. Der Verkauf von Hybridmodellen soll bis 2035 erlaubt bleiben. 1,3 Milliarden Pfund sollen in die Ladeinfrastruktur fließen und knapp 600 Millionen in Kaufanreize für umweltfreundliche Fahrzeuge. Die Pläne sind Teil eines am Mittwoch verkündeten Gesamtpakets, mit dem Johnson bis 2030 zwölf Milliarden Pfund (etwa 13,4 Milliarden Euro) in grüne Projekte investieren will.

Mit dem Zieldatum 2030 schließt sich Großbritannien der Ambition kleinerer Staaten wie Irland, Dänemark, Schweden oder den Niederlanden an. Norwegen will sogar schon 2025 den Verkauf von Autos mit Verbrennungsmotoren beenden. Die norwegische Regierung setzt allerdings ausschließlich auf Anreize, ohne Verbot. In Norwegen machen bereits heute Elektroautos die Mehrheit der Neuwagen aus.

Im September sorgte der bevölkerungsreichste US-Staat Kalifornien mit einem Verbot von Verbrennungsmotoren ab 2035 für Furore. Im Oktober wurden Pläne aus dem weltgrößten Automarkt China bekannt, ebenfalls mit Zieldatum 2035. 50 Prozent der Autos dürfen dann noch als konventionelle Hybride verkauft werden, der Rest batterieelektrisch, als Plug-in-Hybrid oder mit Brennstoffzelle.

In Deutschland gibt es, abgesehen von einem unwirksamen Beschluss des Bundesrats, kein solches Ziel. Der Autogipfel an diesem Dienstag brachte weitere drei Milliarden Euro an Staatshilfe an die Industrie, unter anderem mit der Verlängerung von Kaufprämien für Elektroautos bis 2025 und dem Aufbau von Ladesäulen.

Autoexperten sehen "Signal an den Kontinent"

Das von Großbritannien angestrebte Verbot von Verbrennungsmotoren wird den Wandel der Autobranche aus Sicht von Branchenexperten zusätzlich beschleunigen. Damit schwenke ein großer Markt auf Elektromobilität um - "und das ist wiederum ein Signal an den Kontinent und an die Hersteller", sagte Autoexperte Stefan Bratzel der Deutschen Presse-Agentur. "Wenn so ein großer Markt relativ schnell eine Wende einläutet, dann kann das einen Dominoeffekt auslösen."

Ähnlich äußerte sich Branchenexperte Ferdinand Dudenhöffer. Das Ende des Verbrennungsmotors im Pkw werde Stück für Stück kommen, sagte er der dpa. "Von daher sollten wir auch in Deutschland alles dafür tun, so schnell wie möglich die Anpassung und Umstellung auf das Elektroauto voranzubringen. Es bringt nichts, auf einem totgerittenen Gaul in die Zukunft gehen zu wollen."

Der britische Herstellerverband SMMT sprach angesichts der Regierungspläne von einer Herkulesaufgabe und mahnte zusätzliche Hilfen an: "Um den Markt vollständig zu elektrifizieren und die Produktionsbasis und Arbeitsplätze zu sichern, benötigen wir mehr als ein willkürliches Datum."

Boris Johnson verspricht 250.000 grüne Jobs

Johnson präsentierte seinen Investitionsplan als Programm, um Großbritannien umweltfreundlicher und nachhaltiger zu gestalten. Rund zwölf Milliarden Pfund (etwa 13,4 Milliarden Euro) sollen bis zum Jahr 2030 in grüne Projekte und Innovationen fließen, wie Johnson am Mittwoch ankündigte. "Auch wenn dieses Jahr einen anderen Verlauf genommen hat als erwartet, habe ich unsere ambitionierten Pläne nicht aus den Augen verloren."

Der Zehn-Punkte-Plan, mit dem Johnson Großbritannien bis 2050 klimaneutral machen will, sieht Investitionen in Elektromobilität, Offshore-Windparks sowie die Förderung innovativer Technologien wie CO2-Speicherung oder den Einsatz von Wasserstoff als Energieträger vor.

In verschiedenen Branchen sollen so bis zu 250.000 "grüne" Arbeitsplätze entstehen - vor allem fernab der Hauptstadt London. Die Regierung will damit zwei Ziele auf einmal erreichen: Neben dem Klimaschutz sollen die unterschiedlichen Lebensverhältnisse in den Landesteilen sich stärker angleichen. Im Norden des Vereinigten Königreichs sind diese deutlich schlechter als im Süden.

"Unsere grüne industrielle Revolution wird angetrieben von Windturbinen in Schottland und dem Nordosten, in den Midlands hergestellten Elektroautos und in Wales entwickelten Technologien, damit wir in eine blühendere, grünere Zukunft schauen", so Johnson.

"Das Saudi-Arabien des Windes"

Außerdem will der Tory-Chef bis 2030 die Offshore-Windparks vor den britischen Küsten so weit ausbauen lassen, dass sie alle Haushalte des Landes mit Energie versorgen können. Großbritannien solle "das Saudi-Arabien des Windes" werden, betonte er. Der frühere Windkraftgegner Johnson bekannte sich zu einer erstaunlichen Kehrtwende. Jüngst mokierte er sich über "manche Leute, die vor 20 Jahren noch meinten, Windkraft könne nicht mal die Haut von einem Reispudding ziehen". Damit spreche er von "mir selbst, etwa 2013".

Jeweils rund eine halbe Milliarde will er zudem in den Einsatz von Wasserstoff als Energieträger sowie in Atommeiler stecken. Während Technologien wie CO2-Speicherung Großbritannien zum innovativen Vorreiter machen sollen, fließt ein beträchtlicher Teil der Gelder allerdings auch in den reinen Überlebenskampf: Fünf Milliarden Pfund sind für Schutzmaßnahmen vorgesehen, die den Inselstaat vor Überflutungen schützen sollen.

Der für Energiepolitik zuständige Labour-Politiker Ed Miliband (50) hält die Investitionen für nicht weitreichend genug: "Angesichts des Ausmaßes der Arbeitslosigkeit und der Klimakrise, denen wir uns stellen müssen, reicht das nicht annähernd aus", sagte Miliband. Das Programm sehe blass aus neben den deutlich höheren Milliardensummen, die Frankreich und Deutschland investieren würden.

Die Umweltschutzorganisation Greenpeace kritisierte die geplante Förderung von Atomenergie und Wasserstoff, lobte insgesamt aber das Paket: "Auch wenn einige signifikante Fragezeichen und Lücken bleiben, ist das insgesamt ein großer Schritt nach vorne, um die Klimakrise zu bekämpfen", sagte Greenpeace-Sprecherin Rebecca Newsom.

ak/dpa-afx
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