Lieferketten Autoindustrie muss "von Tag zu Tag weiterschauen"

Nadelöhr: Lkw-Stau auf der tschechischen Autobahn D8 von Prag in Richtung Dresden am Montag
Foto: Hajek Vojtech / imago images/CTK PhotoDie Autoindustrie richtet sich auf mögliche neue Produktionsprobleme wegen unterbrochener Lieferketten ein. Bisher ist die Versorgung aber noch weitgehend stabil. Grund für Befürchtungen, es könnte zu Störungen bis hin zu Komplettausfällen in den Werken kommen, sind die verschärften deutschen Einreiseregeln gegenüber Tschechien und dem österreichischen Bundesland Tirol. An den Grenzen gibt es etwa Corona-Vorgaben für Lkw-Fahrer: Seit Sonntag wird kontrolliert, ob ein negativer Virustest vorliegt und eine Region mit häufigem Auftreten ansteckenderer Varianten des Erregers durchfahren wurde.
Der Autobranchenverband VDA hatte am Wochenende gewarnt, diese Maßnahmen dürften den Lieferverkehr für die deutschen Fabriken erheblich ausbremsen, vor allem in Bayern und Sachsen. Möglicherweise könnte die Produktion schon ab Montagmittag größtenteils zum Erliegen kommen. Ganz so dramatisch war es nun - vorerst jedenfalls - nicht. Die Unternehmen berichteten durchweg, sie spürten noch keine Probleme, müssten die Situation jedoch genau im Blick behalten.
Am Montag erklärte der VDA: "Die konkreten Auswirkungen der Grenzstaus werden sich in den nächsten Tagen zeigen." Die Unternehmen versuchten derzeit, "mögliche Engpässe flexibel und mit aller Kraft abzufedern". Der Verband forderte unter anderem gesonderte Kontrollstellen und Sonderspuren, damit Lkw-Fahrer mit negativem Corona-Test schnell durchkommen. "Die Grenzsituation ist als katastrophal zu bewerten derzeit", sagte Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbands Güterverkehr Logistik und Entsorgung.
In Tschechien, der Slowakei und Ungarn sitzen wichtige Zulieferer, deren Teile im Rahmen eng getakteter Pläne stets möglichst pünktlich ("just-in-time") eintreffen müssen. Und auch aus Norditalien kommen zahlreiche Lieferungen von Auto- oder Maschinenkomponenten, die über den Brenner-Pass und anschließend durch das Bundesland Tirol normalerweise reibungslos ihren Weg in die Bundesrepublik finden.
CDU-Chef Laschet schließt sich EU-Kritik an
CDU-Chef Armin Laschet warnte am Abend vor negativen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft durch Grenzschließungen und setzte sich damit von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) ab. Man erlebe momentan, dass Lieferketten vor allem für die deutsche Automobilindustrie wieder gefährdet würden, sagt Laschet beim virtuellen Neujahrsempfang des Wirtschaftsrates Baden-Württemberg. "Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht mit 'Ersatzmaßnahmen' die gesamten Lieferkettenprozesse im Binnenmarkt zerstören." Eine Grenzschließung verursache riesige Schäden, man sehe die Probleme bereits jetzt an der tschechischen Grenze. "Wir müssen aufpassen, dass wir jetzt nicht den gleichen Fehler wieder machen", fügte er in Anspielung auf das Frühjahr 2020 hinzu.
Jedem Zweiten wurde die Einreise verweigert
An den tschechischen Grenzen zu Deutschland bildeten sich am Montag kilometerlange Staus, auch in Italien auf der Route nach Tirol ging zeitweise nichts mehr, da die Österreicher die deutschen Einreisehürden nach Süden weitergereicht hatten. Nach Angaben des Bundesinnenministeriums wurden bis zum Montagmorgen rund 10.000 Menschen an den Grenzen zu Österreich und Tschechien kontrolliert. Etwa der Hälfte davon wurde die Einreise verweigert, wie Ministeriumssprecher Steve Alter mitteilte. Hereingelassen wurden nur rückreisende Deutsche oder Ausländer mit Aufenthaltstitel, Grenzpendler in der Pflegebranche sowie Lkw-Fahrer mit negativem Corona-Test.
Ziel der neuen Grenzkontrollen ist es, das Einschleppen mutierter, infektiöserer Coronaviren einzudämmen. Sowohl in Tschechien als auch in Tirol sind diese Varianten derzeit deutlich stärker verbreitet als in Deutschland. Deshalb dürfen aus betroffenen Gebieten - mit wenigen Ausnahmen - jetzt nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen.
Die von Deutschland ergriffenen Maßnahmen waren von Österreich scharf kritisiert worden, auch die EU-Kommission zeigte sich besorgt. Sie forderte am Montag ein abgestimmtes Vorgehen und kündigte entsprechende Briefe an alle 27 Hauptstädte an. Darin solle an den Beschluss vom Oktober erinnert werden, künftig gemeinsam zu handeln und so ein Chaos wie bei der ersten Corona-Welle zu vermeiden. Auch Frankreich warnte die Bundesregierung vor der Schließung der gemeinsamen Grenze.
Autokonzerne sehen noch keine Auswirkungen
Europas größter Autokonzern Volkswagen erklärte, allzu bedrohlich stelle sich die Lage zum Wochenbeginn nicht dar: "Noch gibt es keine größeren Einschränkungen. Stand heute laufen alle Standorte, auch die in Sachsen." Man müsse allerdings aufpassen: "Wir beobachten das natürlich weiter." Ähnlich äußerten sich die bayerische Tochter Audi sowie BMW, Daimler und weitere Firmen. Unabhängig von der Frage der Corona-Tests für Lkw-Fahrer könnten die Staus an sich möglicherweise längere Verzögerungen bringen. Man stehe daher mit den Lieferanten in Kontakt, so Volkswagen. "Wir müssen jetzt von Tag zu Tag weiterschauen."
"Unsere Werke sind derzeit versorgt und produzieren planmäßig", hieß es auch bei BMW. Der Konzern produziert grenznah neben seinen bayerischen Fabriken München, Dingolfing und Regensburg auch in Leipzig. "Erste Lieferungen konnten bereits die Grenzen passieren und sind ohne größere Verzögerungen angekommen." Es gebe überdies "einige Pendler, die von den Grenzkontrollen betroffen sind". Deren Zahl sei aber relativ gering. Bei Audi sagte ein Sprecher: "Wir produzieren aktuell ohne Einschränkungen, beobachten die Lage und die weitere Entwicklung."
Eine Daimler-Sprecherin erklärte, es laufe alles planmäßig - am Sonntag hatte es geheißen, von Werksschließungen könne keine Rede sein. Auch Opel waren zunächst keine Probleme bekannt. Ford sowie der Lichttechnik- und Elektronikhersteller Hella erklärten mit Blick auf die tschechischen Zulieferer, es gebe bis dato keine Einschränkungen. Zumindest waren diese laut Hella noch "im beherrschbaren Rahmen".
In der deutschen Kernbranche und angeschlossenen Wirtschaftszweigen ist nach den Erfahrungen des vergangenen Frühjahres Vorsicht geboten. Damals hatten mehrere EU-Staaten entgegen den Binnenmarktregeln die Grenzen angesichts steigender Infektionen dichtgemacht. Zwar berief man sich auf einen Notfall und höhere Gewalt - doch wegen fehlender Absprachen kam es zu Chaos in der Abfertigung und überlangen Staus. Lieferketten wurden zerrissen. Neben dem Nachfragerückgang der Kunden war dies der Hauptgrund dafür, dass viele Autohersteller und -zulieferer wochenlang Werke schlossen und Kurzarbeit einführten.
Die Autohersteller müssen sich bereits seit Wochen mit empfindlichen Lieferengpässen bei wichtigen Bauteilen auseinandersetzen. So fehlen vielerorts Halbleiter, die in Mikrochips, LED-Technik und weiteren Elektronikkomponenten stecken. Die Halbleiter-Produzenten hatten im Auto-Absatztief auf andere Abnehmer aus IT, Unterhaltungselektronik oder Medizintechnik umgeschwenkt. Bei Volkswagen rechnet man damit, dass wohl erst in der zweiten Jahreshälfte alle nötigen Mengen verfügbar sind.