Stefan Randak

Mobilitätswende Woher kommt der Strom für die E-Autos?

Stefan Randak
Eine Meinungsmache von Stefan Randak

Die Bundesregierung rechnet mit bis zu elf Millionen Elektrofahrzeugen in den kommenden zehn Jahren, die EU-Kommission will ab 2035 keine Verbrenner mehr zulassen. Dafür braucht es eine Menge Strom. Ein Elchtest für die Elektromobilität.

Windpark an der A8: Auf dem Weg zur Mobilitätswende gilt es noch viele Probleme zu umkurven

Windpark an der A8: Auf dem Weg zur Mobilitätswende gilt es noch viele Probleme zu umkurven

Foto: imageBROKER/Lilly/ imago images/imagebroker

Der Verkauf von Elektroautos in Deutschland boomt. Im ersten Halbjahr 2021 wurden knapp 150.000 E-Fahrzeuge neu zugelassen – das sind bereits drei Viertel der Gesamtzulassungen aus dem vergangenen Jahr. Auch die Anzahl der Ladestationen wächst weiter, Ende Juni waren es mehr als 23.000. Erfreulicherweise stärkt die Bundesregierung zudem die Installation von Ladestationen im privaten Bereich. Geht es nach der Politik, sollen bis 2030 zehn bis elf Millionen E-Autos auf deutschen Straßen rollen. Zum Rückgang der CO2-Belastung tragen diese aber nur bei, wenn der dafür benötigte Strom "grün" ist, also zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien stammt. Doch davon sind wir weit entfernt.

2020 wurden in Deutschland circa 502,6 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt. Der Anteil der Erneuerbaren lag bei immerhin 47 Prozent, die übrigen 53 Prozent stammten aber noch immer aus Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken. Bis 2030 will die Bundesregierung den Stromanteil aus regenerativen Quellen auf 65 Prozent steigern. Eine Analyse des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) an der Universität Köln kommt jedoch zu dem Schluss, dass Deutschland dieses Ziel verfehlen wird. Erstens, weil die Stromnachfrage schneller wächst, als von der Regierung unterstellt; zweitens, weil der Ausbau der erneuerbaren Energien zu langsam vorankommt. Und das liegt an gleich mehreren Problemen.

1. Steigender Strombedarf

Zehn bis elf Millionen Elektrofahrzeuge benötigen eine Unmenge an Strom. Die Denkfabrik Agora Energiewende rechnet – in einer konservativen Schätzung mit sieben Millionen E-Mobilen – mit einem Zusatzbedarf von etwa 25 Terawattstunden. Hochgerechnet auf elf Millionen Fahrzeuge wären das 39 Terawattstunden, also 39 Milliarden Kilowattstunden mehr als heute. Das entspricht 7,8 Prozent des gesamten heutigen Strombedarfes. Die produzierende Industrie benötigt ebenfalls – und im Gegensatz zu den E-Autos bereits heute – gewaltige Strommengen, dürfte diese aber durch mehr Effizienz wohl leicht senken können. Aber auch der Bedarf der privaten Haushalte steigt. Neben zusätzlichen Haushaltsgeräten, Mobiltelefonen und Computern sind es vor allem mehr Wärmepumpen infolge des Ausstiegs aus der konventionellen Heiztechnik mit Öl oder Gas. Hinzu kommt der für die Energiewende benötigte "grüne" Wasserstoff, der viel Strom zu seiner Erzeugung benötigen wird.

Die Bundesregierung hat ihre Prognose zum Stromverbrauch 2030  gerade von 580 Terawattstunden auf 645 bis 665 Terawattstunden angepasst. Viele Fachleute und Branchenverbände hatten die bisherige Einschätzung schon lange als unrealistisch kritisiert, selbst von einer "Stromlüge" war die Rede. Bei der neuen Einschätzung wurden nun sogar 14 Millionen E-Fahrzeuge, sechs Millionen Wärmepumpen und 30 Terawattstunden für die Herstellung von grünem Wasserstoff angesetzt. Aber auch diese Beurteilung wird in Zweifel gezogen. So rechnet der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) für 2030 mit einem Gesamtverbrauch von etwa 700 Terawattstunden.

2. Ausbau der Windkraft stockt

Ende 2022 wird in Deutschland das letzte Atomkraftwerk abgeschaltet, spätestens 2038 soll der Ausstieg aus der Kohle vollzogen sein. Im vergangenen Jahr lag der Anteil des Atomstroms an der Strommenge noch bei 12,1 Prozent, der Anteil der Kohle bei 24,8 Prozent. Das heißt: Für 36,9 Prozent der aktuellen Stromerzeugung muss eine funktionierende Alternative gefunden werden – und zwar schnell. Die Ausbauziele für Windkraft, bereits heute größter grüner Energieträger, und Solarenergie müssen also dringend angehoben werden. Der BDEW empfiehlt bis 2030 den Bau 1500 neuer Windräder – pro Jahr.

Aber gerade bei der Windkraft ist der Ausbau in den vergangenen Jahren deutlich ins Stocken geraten. Verschärfte Abstandsregeln von Windrädern zu Wohnsiedlungen bedeuten in weiten Landstrichen de facto das Aus für diese Art der Stromerzeugung. Lange Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie viele Klagen von Anwohnern und Umweltschutzorganisationen bremsen den Ausbau zusätzlich. Nun sollen für jedes Bundesland "konkrete Flächenziele" vereinbart werden, etwa in Nordrhein-Westfalen. Dort wurde jedoch gerade ein Mindestabstand von 1000 Metern von Windrädern zu Wohnsiedlungen beschlossen.

3. Fehlende Überlandleitungen

Eine wachsende Strommenge erfordert zwingend zusätzliche Leitungskapazitäten. Aber bereits heute gibt es viel Widerstand in Deutschland – und zwar konkret gegen die Überlandleitungen, die den Windstrom aus dem Norden in den Süden transportieren sollen. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier geht davon aus, dass zusätzlich zu den bereits geplanten drei Stromautobahnen ein, wenn nicht sogar zwei weitere Stromtrassen nötig sein werden. Weitere Proteste sind also programmiert. Auch der Aus- und Umbau der kommunalen Strom- und Gasnetze ist von zentraler Bedeutung, sofern der Mehrbedarf an Strom nicht zulasten der Netzstabilität und Versorgungssicherheit gehen soll.

4. Rückstand beim Bau von Ladesäulen

Damit die vielen neuen E-Fahrzeuge "betankt" werden können, braucht es einen erheblichen Zuwachs bei den Ladestationen. Der Ausbau öffentlicher und privater Lademöglichkeiten muss unkomplizierter und schneller vorangetrieben werden. Nach einer EU-weit anerkannten Berechnungsmethode sind für 10 Millionen E-Autos auf unseren Straßen mindestens eine Million Ladesäulen erforderlich. Demnach bestünde hierzulande eine noch zu schließende Lücke von 97,7 Prozent! Sowohl die Betreiber von Ladesäulen als auch der BDEW machen jedoch eine andere Rechnung auf: Sie beziehen in ihre Prognose auch die Frage, wie oft E-Autobesitzer ihre Fahrzeuge zu Hause laden, sowie den Anteil an Schnellladestationen mit ein. Demnach könnten gegebenenfalls auch 180.000 Ladesäulen ausreichend sein. Aber auch das wären noch knapp achtmal mehr, als wir heute haben.

Große Ziele, große Baustellen

Auf dem Weg zur Elektromobilität erwarten uns also noch viele Baustellen. Der Strombedarf wird drastisch steigen und der Strom für Elektrofahrzeuge wird in zehn Jahren nur zu 65 Prozent aus grüner Energie stammen – wenn überhaupt. Das Ausbautempo bei den Ladesäulen muss deutlich beschleunigt werden und die Windenergie benötigt einen neuen und umfassenden Schub – der noch viel größer ausfallen muss, wenn man die zunehmende Erzeugung von grünem Wasserstoff mit einbezieht, die in dieser Rechnung noch gar nicht enthalten ist. Ausreichend Strom im Süden wird es zudem nur geben, wenn die geplanten Stromautobahnen realisiert werden können. Dass die EU-Kommission ab 2035 keine Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor mehr zulassen will, verschärft die Probleme noch.

Bis 2030 gibt es noch viel Arbeit. Und es braucht einen gesellschaftlichen Konsens, um sie zu erledigen. Sonst fliegt die Mobilitätswende aus der Kurve – wie einst die A-Klasse beim Elchtest.

Stefan Randak ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.

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