
Heizkraftwerk am VW-Stammsitz Wolfsburg: Gas statt Steinkohle soll Millionen Tonnen CO2 einsparen
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Er hätte etwa die Elektroauto-Strategie für die kommenden Jahre durchdeklinieren können. Oder klare Ziele für den Ausbau der Mobilitätsdienste nennen. Solche Themen hätten wunderbar zum Amtsantritt als Daimler-Chef gepasst. Doch Ola Källenius entschied sich lieber für das große, weit in die Zukunft reichende Ganze. Zehn Tage vor der Daimler-Hauptversammlung am 22. Mai erklärte der Nachfolger von Dieter Zetsche, den Autokonzern künftig viel stärker auf Klimaschutz trimmen zu wollen.
Bis 2022 soll die Produktion von Mercedes-Pkw in Europa komplett CO2-neutral laufen, gab Källenius kurz vor seiner Amtsübernahme die neue Marschroute vor. Bis 2039, so kündigte es der neue Daimler-CEO an, soll die Flotte der Schwaben komplett CO2-neutral fahren - von der Produktion bis hin zum Betrieb. Zulieferer sollen künftig dazu verpflichtet werden, ihre Teile möglichst CO2-arm herzustellen. Damit diese Ziele von der Führungsetage mit Nachdruck verfolgt werden, wird künftig ein Teil der Vorstandsvergütung an die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele gekoppelt.
Ein Daimler-Boss als Klimaschützer? Diese Wandlung dürfte bei vielen grün-orientierten Deutschen auf eine gesunde Portion Skepsis stoßen. Bislang galt die Unternehmen der Autobranche nicht unbedingt als Vorkämpfer für Öko-Themen. Zwar müht sich die Branche seit Jahren, ihre Fabriken zumindest in Europa einigermaßen ressourcen- und gewässerschonend zu betreiben. Seit dem Diesel-Skandal muss sich die Autobranche dafür aber - nicht ganz unberechtigt - den Vorwurf des Greenwashing gefallen lassen.
Dabei sitzt der Branche aber die EU und ein Pariser Abkommen im Nacken: Bis 2030 müssen die CO2-Emissionen bei Neuwagen in der EU im Schnitt um 37,5 Prozent gegenüber 2020 sinken. Bis 2050 soll die deutsche Wirtschaft weitgehend CO2-neutral arbeiten - also keine zusätzlichen Tonnen des Treibhausgases in die Atmosphäre blasen. So will es die deutsche Regierung in Übereinstimmung mit dem im Pariser Klimaschutzabkommen.
Grüne Themen werden für Autohersteller wichtiger

Schaffen die Autohersteller diese Ziele nicht, drohen empfindliche Geldstrafen - und obendrauf noch ein heftiger Ansehensverlust. All das müssen die Manager tunlichst vermeiden, wenn sie weiterhin gute Geschäfte machen wollen. Zwar sind andere Branchen noch schlimmere Klimasünder als die Autobauer: Die Energiewirtschaft mit ihren Kohlekraftwerken etwa steht in der Klimasünder-Liste weit oben, ebenso wie Stahlerzeuger, Baustoff-Produzenten oder die Luftfahrt. Doch die Automobilindustrie ist nun mal die wichtigste deutsche Industriebranche und steht damit auch besonders im Fokus der Öffentlichkeit.
Bei den Pkws soll die breitflächige Elektrifizierung via Hybrid- und reinem Batterieantrieb die CO2-Flottenbilanz in der Zukunft retten. Doch die deutschen Autobauer wissen auch, dass dies für Konsumenten künftig nicht genug sein wird. Nachhaltigkeit und Umweltschutz sind keine Randthemen für Öko-Bewegte mehr, sie sind längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Autokäufer wollen nicht mehr nur wissen, wie viel Gramm CO2 ihr Fahrzeug je gefahrenem Kilometer in die Luft bläst. Sie wollen auch Antworten auf die Frage haben, wie viel - oder besser noch wie wenig - CO2 bei der Produktion ihres Autos freigesetzt wurde.
Bislang haben Autohersteller zwar gerne über Wassereinsparungen und die Verwendung von Ökostrom in ihren Werken berichtet, die CO2-Frage aber lieber außen vorgelassen. Ein Grund dafür ist wohl, dass in großen Autofabriken auch Stahl verarbeitet wird. Dafür ist bislang fast überall Kohle notwendig, was die CO2-Gesamtbilanz eines Autowerks ordentlich belastet. Mit dem Schwenk Richtung E-Autos scheint dabei allerdings einiges in Bewegung zu kommen. Die großen deutschen Autohersteller geben sich sichtlich Mühe, ihre Autofabriken mit weniger CO2-Emissionen zu betreiben - und nehmen dafür auch einiges Geld in die Hand.
Was die Autofabriken zur CO2-Vermeidung konkret tun - und wo es noch hakt
14Ausstiegspläne für Benziner und Dieselmotoren:Wer den Verbrennermotor verbannen willVolkswagen etwa stellt an seinem Stammsitz in Wolfsburg die Energieversorgung von Kohle auf Gas um. Aktuell ersetzt der Autokonzern die bestehenden Steinkohlekessel durch mehrere Gas- und Dampfturbinenanlagen, die ab 2021 schrittweise in Betrieb gehen sollen. 400 Millionen Euro kostet VW diese Umstellung, die im weltgrößten Autowerk in Wolfsburg den jährlichen CO2-Ausstoß um 1,5 Millionen Tonnen pro Jahr reduzieren sollen. Das entspricht den CO2-Emissionen von rund 870.000 Autos pro Jahr - ein Wert, der sogar über der Jahresproduktion des Wolfsburger Werks von 704.000 Fahrzeugen liegt. Das Ziel der Wolfsburger: Sie wollen zum Vorreiter bei CO2-freier Autoproduktion werden.
BMW bezieht in seinem Werk in Dingolfing ausschließlich Grünstrom, hat eine 90.000 Quadratmeter große Photovoltaik-Anlage auf das Dach gesetzt - und nutzt Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen zur Stromerzeugung und Warmwasserversorgung. Insgesamt 50 Millionen Euro hat BMW alleine in Dingolfing in diese Anlagen investiert, die eine CO2-Einsparung von rund 37.000 Tonnen pro Jahr bringt gegenüber konventioneller Stromerzeugung.
Daimler hat eine neue Fabrik im Werk Sindelfingen, die "Factory 56", nach Eigenangaben von Beginn an CO2-neutral geplant. Die dort gewonnenen Erkenntnisse über die CO2-Vermeidung will Daimler nun auf alle europäischen Werke ausdehen. Sein Elektroauto-Modell EQC wird Daimler mit Ökostrom im Werk Bremen produzieren, auch die EQC-Batterieproduktion in Kamenz soll damit laufen.
Die Liste für die Maßnahmen zur CO2-Vermeidung lässt sich noch länger fortsetzen. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich Autowerke auch in Zukunft nie völlig CO2-neutral betreiben lassen werden. Zwar gibt es in der Stahlerzeugung und Umformung erste Ansätze, mit Wasserstoff zu arbeiten und so viel CO2 einzusparen. Noch sind das aber eher Test-Projekte, deren Wirtschaftlichkeit noch deutlich unter der konventionellen Methode mithilfe von Steinkohle liegt.
CO2-Zertifikate sind für Autobauer keine brauchbare Lösung

Diese Problematik bekommt selbst das junge deutsche Elektroauto-Start-up Sono Motors zu spüren. Sono wird seine Wagen im ehemaligen Saab-Werk in Trollhättan fertigen lassen, das beinahe CO2-frei arbeitet dank schwedischem Öko-Strom. Dabei hat der Solarwagen einen Vorteil: Seine Außenhaut besteht aus Photovoltaik-Zellen und Plastik, was den Metallanteil in dem Wagen deutlich senkt. Ganz CO2-frei kann auch Sono nicht fertigen lassen. Entstehende Emissionen bei der Produktion und bei Zulieferern will das Unternehmen über den Kauf von Zertifikaten kompensieren.
Auch die großen Konkurrenten werden nicht umhinkommen, einen Teil ihrer Fabriksemissionen durch den Zukauf von CO2-Zertifikaten rechnerisch zu kompensieren. Diesen Weg gehe man aber eher ungern, ließ ein VW-Manager vor kurzem durchblicken. Denn die CO2-Neutralität über Kompensationsmaßnahmen wie Zertifikate oder Aufforstungen herzustellen dürfte auf längere Sicht in der Öffentlichkeit als eher unehrlich wahrgenommen werden.
Andererseits: Nicht in jedem der über 100 VW-Fabriken weltweit dürfte Strom aus regenerativer Erzeugung so ohne weiteres und vor allem in verlässlich großer Menge verfügbar sein. Windräder brauchen verlässlich wehenden Wind, Solaranlagen funktionieren nun mal bei Nacht nicht. Dafür müsste es üppig dimensionierte Stromspeicher zum Ausgleich geben - oder eben Gaskraftwerke, die sich schnell anheizen lassen.
Der Weg Richtung CO2-Neutralität in der Autoproduktion dürfte also kein ganz einfacher werden - vor allem auf globaler Ebene. Darauf deutet ja auch Daimlers Zieldatum für das Jahr 2039 hin. Lösen lassen sich Probleme mit den CO2-Vorgaben aber auch auf die eher unfeine Art - wie die jüngsten Deals von Fiat Chrysler und General Motors mit dem Elektroautohersteller Tesla zeigten. Beide Autohersteller kauften Verschmutzungsrechte ein, um ihre CO2-Bilanzen aufzubessern.
Legal ist das zwar, aber höchst unelegant - und damit auch ein nicht gangbarer Weg für die deutschen Autohersteller. Die müssen sich eben ins jahrelange Ringen um mehr Energieeffizienz in ihren Werken begeben. Mülltrennung klappt ja schließlich auch in Deutschland - in den USA hingegen nur sehr begrenzt.