Stefan Randak

Daimler, Volkswagen, Continental Aufspaltung ins Ungewisse

Stefan Randak
Eine Meinungsmache von Stefan Randak
Autohersteller und -zulieferer suchen ihr Heil in der Abspaltung von Unternehmensteilen, um an frisches Kapital für die Transformation zur E-Mobilität zu kommen. Dabei sind die Erfolgsaussichten fraglich – und es sind nicht unbedingt die Aktionäre, die profitieren.
Abspaltung als Geldquelle für die Elektromobilität: Die Serienproduktion des vollelektrischen eActros von Daimler Truck ist bereits gestartet - und kostet viel Geld

Abspaltung als Geldquelle für die Elektromobilität: Die Serienproduktion des vollelektrischen eActros von Daimler Truck ist bereits gestartet - und kostet viel Geld

Foto: Uli Deck / dpa

In den 1990er-Jahren galten Übernahmen als eine Art Allheilmittel, um das Überleben der angeblich bedrohten Autohersteller zu sichern – die meisten von ihnen sind kläglich gescheitert, man denke etwa an DaimlerChrysler oder den Kauf von Rover durch BMW.

Heute propagieren die Unternehmenslenker das genaue Gegenteil: Die Abspaltung von Unternehmensteilen wird als große Chance für mehr Wachstum und Agilität angepriesen, als einziger Ausweg, um den gewaltigen Umbruch hin zur Elektromobilität und zum autonomen Fahren zu bewältigen. Dabei drängt sich jedoch – wie einst bei den Großfusionen – die Frage auf, ob die Erfolgsaussichten dieser Aufspaltungen wirklich so toll sind. Und wer die wahren Gewinner oder Verlierer dieses Trends sein könnten.

Brummis an die Börse

Aktuell sind es vor allem Lastwagen, die die Fantasie von Automanagern und Börsianern beflügeln. Anfang Oktober segneten die Daimler-Aktionäre die Abspaltung der Nutzfahrzeugsparte vom Stuttgarter Mutterkonzern ab. Die Daimler Truck Holding soll sich ausschließlich mit dem Lkw- und Busgeschäft befassen und an die Börse gebracht werden. Mit rund 100.000 Mitarbeitern und 34,7 Milliarden Euro Umsatz wird das neue Unternehmen ein echtes Schwergewicht, mutmaßlich der zweite Dax-Konzern mit Stern.

Konkurrent Volkswagen ist diesen Weg bereits 2018 gegangen. Die mittlerweile börsennotierte Nutzfahrzeugholding firmiert unter dem Kunstnamen Traton und bündelt die Marken Scania, MAN, Volkswagen Caminhões e Ônibus, Navistar und Rio. Der italienische Fiat-Konzern organisierte seine Lastwagensparte bereits fünf Jahre zuvor neu – und abseits des Pkw-Geschäfts. Das Unternehmen heißt mittlerweile CNH Industrial und bündelt insgesamt zwölf Marken von Case bis Iveco.

Die Begründungen für die Abspaltung klingen fast immer gleich: Getrennt ließen sich Wachstums- und Profitabilitätschancen besser nutzen. Die verschiedenen Unternehmensteile könnten sich besser auf ihre unterschiedlichen Kundengruppen konzentrieren. Und – last but not least – könne der Markt die "Einzelteile" besser einschätzen, was wiederum zu höheren Bewertungen an den Börsen führe.

Zuckerl für die Aktionäre

Manchmal steckt allerdings auch nur der Wunsch dahinter, einen nicht mehr zeitgemäßen Geschäftszweig elegant loszuwerden – wie im Fall Vitesco. Die einstige Sparte des Autozulieferers Continental fertigt Getriebe für Diesel- und Benzinmotoren und wurde 2019 verselbstständigt.

Da sich Aktionäre nicht immer für die Argumentation des Managements erwärmen können, wird über die operative Trennung der Bereiche hinaus ein "wirtschaftliches Zuckerl" angeboten: Bei Daimler erhalten die Aktionäre für jeweils zwei Daimler-Aktien eine weitere Truck-Aktie kostenfrei dazu. Dabei wird gerne übersehen, dass all die Argumente, die für eine Aufspaltung angeführt werden, immer auch einen weniger schmeichelhaften Rückschluss auf die bisherigen Unternehmenslenker zulässt: Offenbar war die Performance bisher nicht so gut, wie sie hätte sein können, offenbar gab es Versäumnisse, Potenziale, die nicht gehoben wurden. Mithin sind Abspaltungen immer auch ein Negativtestat für das Management.

Gleichzeitig verschleiern sie den einzig wahren Hintergrund: Es geht um Geld, sehr viel Geld.

Worum es wirklich geht

Der Gang an die Börse ermöglicht Unternehmen den freien Zugang zum Kapitalmarkt. Bei positiver Unternehmensentwicklung kann sich eine Aktiengesellschaft frisches Kapital durch die spätere Platzierung neuer Aktien beschaffen. Und genau das ist es, was die Automobilisten aktuell am nötigsten brauchen.

Die Konzerne stehen vor riesigen Herausforderungen: Sie müssen neben dem klassischen Antrieb, der noch über Jahre weitergeführt werden muss, mindestens eine neue Antriebstechnologie (Elektro) entwickeln und vorantreiben, am besten mit Wasserstoff noch eine weitere. Im Busbereich ist der Druck der Kunden bereits eklatant hoch, bei den Nutzfahrzeugen zieht das Thema am Horizont auf. Mit dem vorhandenen Eigenkapital ist das in der Regel nicht zu schaffen, daher muss frisches Kapital her – und zwar schnell. Das geht am besten über die Börse.

Um Geld geht es auch bei den Anteilseignern: Kurssprünge können ihnen einen erheblichen Liquiditätszuwachs bescheren. Aber auch die Börsenbetreiber sind hocherfreut über interessante Neulinge auf dem Parkett – und kassieren kräftig mit. Sie verdienen ihr Geld hauptsächlich über sogenannte Börsenkommissionen, das heißt, sie bekommen für jede Transaktion, die über sie abgewickelt wird, eine Provision. Und natürlich partizipieren die Führungskräfte. Schließlich gehören Aktienpakete in so gut wie allen Chefetagen standardmäßig zum Vergütungspaket.

Kosten, Aufwand, Risiko

Dabei sind die Separierungsvorgänge selbst eher erschöpfend als wertschöpfend. Sie erzeugen zunächst einen enorm hohen Arbeitsaufwand, um die ineinander verzahnten Geschäftsbereiche zu trennen - mit den entsprechenden Kosten und einer großen Verunsicherung in der Belegschaft. In vielen Fällen zieht die Abspaltung weitere Trennungsvorgänge nach sich. Bei Daimler listet der 350 Seiten umfassende Abspaltungs- und Ausgliederungsbericht ganze Kolonnen von Hotspots auf: bilanzielle und steuerliche Auswirkungen, externe Finanzierungen, Vergütungsprogramme, Umfirmierungen, Organisationsstrukturen, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen, der Übergang von Arbeitnehmern, individuelle Folgen für die Arbeitnehmer sowie die Neuorganisation der Finanzdienstleistungstochter.

Als wäre das nicht schon genug an Herausforderungen, zeichnet sich noch ein weiteres Risiko ab: Die Aufspaltung erleichtert mögliche feindliche Übernahmen, weil der Kapitalbedarf einer solchen Aktion für einen Teilkonzern geringer ist als für das einstige große Ganze. Ein solches Szenario mag manchmal sogar im Kalkül der "Abspaltungsentscheider" liegen, schließlich treibt es den Aktienkurs. Andernfalls droht womöglich ein langwieriger und teurer Abwehrkrieg.

Wo sind die Erfolgsbeispiele?

Dass solche Unternehmensaufspaltungen nicht zwingend erfolgreich verlaufen müssen, zeigt das Beispiel Traton. Zwar gehört die VW-Tochter zu den weltweit führenden Nutzfahrzeugherstellern, doch schon beim Börsengang 2019 war das Interesse mehr als verhalten. Der Ausgabepreis lag mit 27 Euro am unteren Ende der Preisspanne, heute steht die Aktie bei 22 Euro. Größere Kursgewinne blieben den Anliegern in diesen Jahren erspart.

Auch Vitesco hat zu kämpfen. Während Continental seinen "Klotz am Bein" loswurde, der 90 Prozent seines Umsatzes mit klassischen Verbrennungsmotoren macht, hat sich die Abspaltung für die Aktionäre bis dato nicht wirklich gelohnt. Nach einer Erstnotiz von circa 60 Euro dümpelt die Aktie heute mehr als 10 Euro darunter. Die Produktion von Getrieben für Diesel- und Benzinmotoren gilt nicht mehr als zukunftsträchtig, das Unternehmen muss auf die Produktion von Bauteilen für die Elektromobilität umgestellt werden. Sollte dies nicht gelingen, haben nicht nur die Aktionäre ein Problem, sondern erst recht die rund 40.000 Mitarbeiter.

Auf eine erfolgreiche Abspaltung muss in der jüngeren Geschichte der Automobilindustrie also noch gewartet werden. Daimler hat dafür gute, wenngleich keine optimalen Voraussetzungen. Die Nutzfahrzeugsparte ist zwar Weltmarktführer bei Lkw und Bussen, hinkt jedoch bei der Rendite Scania und Volvo hinterher. Schon ist von "Verschlankung" die Rede, dazu gehört auch Personalabbau. Das neue Management wird sich noch beweisen müssen. Insofern ist die Abspaltung von Unternehmensteilen ein Ausweg aus der aktuell schwierigen Lage der Branche. Aber einer mit ungewissen Erfolgsaussichten.

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