Konflikt um Stellenabbau eskaliert
Gewerkschaftschef attackiert Conti-Aufseher Reitzle frontal
Jobabbau-Streit brutal: Gewerkschaftschef Vassiliadis wirft Continental-Aufsichtsratschef Reitzle „Durchregieren“ vor und will dessen Macht brechen. Der Ton in der Autoindustrie wird schärfer.
Die Stimmung ist frostig, der Ton rau im Streit um den Abbau von möglicherweise Zehntausenden Stellen beim Autozulieferer Continental (2019: 241.500 Mitarbeiter). Schon im vergangenen Jahr machte der Konzern 1,5 Milliarden Euro Verlust, in den ersten neun Monaten des Corona-Jahres kamen nochmals knapp 1,2 Milliarden Euro dazu. Nun spitzt sich der Konflikt um die geplanten Einsparungen zu – mit ungewohnter Schärfe und ungewöhnlichen Mitteln. Die Rolle des Angreifers nimmt in dieser Runde Gewerkschaftsboss Michael Vassiliadis (56) ein, einer der erfahrensten und mächtigsten Arbeitnehmervertreter des Landes. Sein Gegenspieler: Continental-Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle (71), einer der einflussreichsten Manager der vergangenen Jahre.
In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung geht Vassiliadis, Chef der IG Bergbau Chemie Energie, mit dem ehemaligen Linde-Boss hart ins Gericht: "Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle meint wohl, einfach durchregieren zu können", sagte Vassiliadis der Zeitung. "Wir werden dafür sorgen, dass Conti zur Vernunft zurückkehrt und respektvoll mit seinen Beschäftigten umgeht. Dieser Stellenabbau wird teuer."
Vordergründig geht es in dem Konflikt um das geplante Aus für das Reifenwerk Aachen. Der Fall des profitablen Werks zeige, worum es der Konzernführung wirklich gehe, schimpft Vassiliadis. "Sie wollen das Werk dicht machen und die Kapazitäten später an Niedriglohnstandorten wiederaufbauen. Wir hätten mögliche Investoren fürs Werk, Conti blockiert."
Vassiliadis aber attackiert Reitzle auch grundsätzlich. Er fordert, generell das Doppelstimmrecht von Aufsichtsratschefs abzuschaffen, dank dem Reitzle den groß angelegten Umbau durchgesetzt hatte. Bei Streit um Stellenabbau oder Fabrikverlagerungen solle künftig ein Schlichter zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite vermitteln. Es ist ein Angriff der Arbeitnehmer auf die Macht des Aufsichtsratschefs der Kapitalseite.
Um mit seinem Vorstoß Erfolg zu haben, müsste Vassiliadis eine Änderung des Mitbestimmungsgesetzes herbeiführen, dort ist in Paragraf 29 das Doppelstimmrecht festgehalten. Die Änderung eines Gesetzes von 1976, das zuletzt 2015 geändert wurde, dürfte Vassiliadis kurzfristig eher schwerfallen.
Der Fall illustriert aber einmal mehr, wie rau der Ton in Deutschlands Autoindustrie geworden ist. Angesichts des wirtschaftlichen Drucks durch die Corona-Krise und des anstehenden Umbaus der gesamten Branche drohen bei Herstellern wie Zulieferern tiefe Einschnitte. So sind zuletzt neue Frontlinien zwischen Management und Arbeitnehmervertretern aufgetreten.
Im Volkswagen-Konzern tobt ein Machtkampf der Betriebsräte um Bernd Osterloh (64) mit Konzernchef Herbert Diess (62). Bei der Volkswagens Lkw-Tochter MAN hat der Betriebsrat unter Getöse die Verhandlungen mit der Arbeitgeberseite über einen massiven Stellenabbau abgebrochen. Bei Daimler protestierte Gesamtbetriebsratsvorsitzende Michael Brecht (55) gegen die Sparpläne des "beratungsresistenten" Konzernchefs Ola Källenius (51): Die Belegschaft in den Werke zittere vor Angst und die Mitarbeiter in der Verwaltung fühlten sich verstoßen; im von der Schließung bedrohten Mercedes-Werk in Berlin planen 2500 Mitarbeiter für Mittwoch eine Demonstration. Und beim Autozulieferer Mahle, der rund 8000 Stellen abbauen will, bezeichnet die IG Metall das Verhältnis zwischen Konzernführung und einem Großteil der Angestellten öffentlich als schlecht. Die Mahle-Belegschaft habe kaum mehr Vertrauen in die Konzernspitze.
Das geht sogar so weit, dass die Arbeitnehmervertreter selbst auf Finanzinvestoren-Methoden setzen wollen. Bereits im September wurden Pläne der IG Metall bekannt, strauchelnde Autozulieferer mit einem von der Gewerkschaft mitentwickelten Private-Equity-Fonds retten zu wollen. Mit privaten Geldgebern und anderem Fremdkapital soll der Fonds ein Portfolio von fünf bis sieben Milliarden Euro zusammenkaufen – um die Firmen dann sozial verträglich abzuwickeln. Die IG Metall hat die Idee gemeinsam mit anderen ersonnen und treibt sie voran, wird aber selbst nach den bisherigen Plänen ausdrücklich nicht investieren.
Die Spannungen steigen seit Langem auch bei Conti. Im Rahmen eines Großumbau- und Sparprogramms sollen bis Ende des Jahrzehnts 30.000 Stellen verlagert, gestrichen oder für neue Qualifikationen umgewandelt werden – darunter 13.000 in Deutschland unter anderem mit Werksschließungen in Aachen und im hessischen Karben.
Die IG Metall hatte Gespräche mit dem Konzern Anfang Dezember abgebrochen. Der Konzern habe keinerlei Interesse gezeigt, die Entlassungen zu verhindern und über Alternativen zum Abbau von Arbeitsplätzen zu sprechen, begründeten die Gewerkschafter. Den Großumbau hatte noch Ex-Vorstandschef Elmar Degenhart (61) angestoßen. Seit Mitte November hat Nikolai Setzer (49) das Sagen bei den Hannoveranern. Ihm und seinem Aufsichtsratschef dürften unruhige Wochen bevorstehen.