Verantwortung abschieben geht nicht Wer haftet für Unfälle beim autonomen Fahren?

Das autonome Fahren gilt als die größte Herausforderung für die Automobilindustrie in den kommenden Jahren - und nicht nur für diese. Auch auf rechtlicher Seite muss sich viel ändern. Allerdings nicht so, wie der Bundesverkehrsminister sich das denkt.
Von Philipp Reusch
Press the button: Wer trägt die Verantwortung nach dem Starten des Fahrassistenten

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Foto: REUTERS

Mit seinem Gesetzentwurf zum autonomen Fahren wollte Alexander Dobrindt das deutsche Recht beim Thema Produkthaftung fit für das digitale Zeitalter machen. Wer einen großen Wurf erwartet hatte, wurde jedoch enttäuscht. So ist es am Ende doch immer der Fahrer, der eingreifen muss, wenn der digitale Chauffeur sich anschickt, Fehler zu machen. Das war's dann mit dem Wunsch nach Schlaf, Weiterbildung oder Müßiggang während der Fahrt - dabei waren genau das doch die eigentlichen Vorteile, die die neue Technik des autonomen Fahrens so verlockend machen.

Philipp Reusch
Foto: Reuschlaw Legal Consultants

Philipp Reusch ist Gründer von Reuschlaw Legal Consultants  und Lehrbeauftragter an der RWTH Aachen. Reuschlaw mit Sitz in Berlin und Saarbrücken ist eine auf Haftungsrecht spezialisierte Boutique mit Schwerpunkt in den Branchen Autozulieferer, Anlagen- und Maschinenbau sowie Konsumgüter und Medizinprodukte.

Der heimischen Autoindustrie kommt der Gesetzesentwurf gelegen, bietet er ihr doch die Möglichkeit, bestehende Technologien weiterzuentwickeln und den Herausforderern aus Kalifornien weiter innovativ die Stirn zu bieten, ohne dafür letztlich die Verantwortung tragen zu müssen. Denn die liegt weiterhin am Ende beim Fahrer, nicht aufseiten der Industrie, falls das autonome Fahrzeug Schäden verursacht. Dieselbe Logik gilt auch im Bereich der IT-Branche: Deren Verbände behandeln Hackerangriffe als Sabotage, damit ist der Hersteller der angegriffenen - und besiegten - Komponenten nicht verantwortlich.

Rechtliche Innovationsbremse

Es ist überall das gleiche: In Zeiten von Digitalisierung, selbstlernender Systeme, von Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge ist überall innovative Technologie vorhanden, aber eben erst teilweise einsatzbereit. Man würde gerne mehr probieren, vertraut aber dem Funktionsumfang nicht oder nicht vollständig oder beherrscht nicht alle Facetten und Ausnahmesituationen. Die dadurch entstehenden rechtlichen Risiken scheinen ein Innovationshindernis zu sein. Daher werden der Gesetzgeber, die Branchenverbände oder andere Experten bemüht, um zu begründen, weswegen der Hersteller für Folgen solch unsicherer Systeme nicht haften sollte. Das Argument lautet: Die Fehler waren im laufenden Innovationsprozess nicht erkennbar, sie sind als Nebenfolge der neuen Technologien entstanden. Auf dieser Basis wird vernetzt und entwickelt und produziert.

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Selbstfahrende Autos: Wie weit die Hersteller beim autonomen Fahren sind

Foto: Tesla Motors

Die zugrunde liegende rechtliche Einschätzung dürfte in den meisten Fällen falsch sein. Denn nicht vollständig beherrschte Innovationen und daraus entstehende Verletzungen und Schäden sind haftungsrechtlich genauso zu behandeln wie Schäden durch technisch ausgereifte Produkte. Die entscheidende Frage ist, wie wir in diesem Zusammenhang definieren, was ein Fehler ist. Der Fehlerbegriff ist eng mit dem jeweiligen industrieüblichen Stand von Wissenschaft und Technik sowie dem Verwendungszweck des Produktes verknüpft. Der Stand von Wissenschaft und Technik bildet die Benchmark für die Sicherheit eines Produktes - und zwar sowohl für die sachgemäße als auch für die vorhersehbar unsachgemäße Verwendung.

Der Kunde als Risikopuffer

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Selbstfahrende Autos: Wie weit die Hersteller beim autonomen Fahren sind

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Der Hersteller steht damit vor zwei grundlegenden Herausforderungen: Er muss stets auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik sein und - sicherlich ebenso anspruchsvoll - die damit verbundenen rechtlichen Anforderungen bereits während des Entwicklungsprozesses mit berücksichtigen und in das Produkt einfließen lassen. Verkompliziert wird dies noch dadurch, dass viele Unternehmen bereits mit ihren bisherigen Systemen vor zahlreichen ungelösten rechtlichen Anforderungen stehen. Die digitale Vernetzung vergrößert somit die Komplexität und erhöht das Risikopotenzial. Dieses Problem allerdings dadurch zu lösen, dass man die Haftungsfrage einfach an den Verbraucher durchreicht, greift zu kurz.

Denn nur die Unternehmen sind in der Lage, entlang der gesamten Wertschöpfungskette sicherzustellen, dass sämtliche Anforderungen, die an ein sicheres Produkt zu stellen sind, auch erfüllt werden. Daher liegt es in der Verantwortung der Hersteller, alle rechtlichen Anforderungen an Produkte zu erfassen und diese nachhaltig in ihre Prozesse zu integrieren.

Dies muss bereits bei der Konstruktion und Entwicklung neuer Produkte und Technologien einsetzen. An diesem Punkt werden der spätere Verwendungszweck des Produktes definiert - und dessen Grenzen. Ist diese Limitierung bereits in diesem frühen Stadium festgelegt, sollten innerhalb dieses Rahmens alle verfügbaren technischen Möglichkeiten zur Gestaltung eines sicheren Produktes genutzt werden. Das setzt natürlich voraus, dass ein System geschaffen wird, das permanent und dynamisch den verfügbaren Stand von Wissenschaft und Technik scannt und im Unternehmen an den richtigen Stellen zur Verfügung stellt.

Die Verantwortung bleibt immer

Auf dieser Grundlage kann auch das innovativste Produkt entwickelt, hergestellt und vertrieben werden. Die in der Innovation liegenden Risiken bleiben dann beim Unternehmen, genau wie die risikofreudigen Innovationstreiber aus Kalifornien für Schäden durch unzulängliche Technologie ihrer autonom fahrenden Fahrzeuge haften. Das entscheidende Ziel für Hersteller und Entwickler von Zukunftstechnologien muss also darin bestehen, den (rechtlichen und technischen) Risikobereich ihrer Produkte soweit wie möglich zu identifizieren und zu begrenzen. In vielen Fällen wird das - wie etwa bei selbstlernenden Systemen - nur funktionieren, indem man einer neuen Technologie zunächst bewusst Grenzen setzt, innerhalb derer das System sicher funktioniert. Und erst mit weiterem Fortschritt und weiteren Lernfortschritten von Mensch und Maschine diese Beschränkungen erweitert.

Hierin liegt gerade die falsche Botschaft von Alexander Dobrindt: Die Industrie glaubt, der Gesetzesentwurf des Bundesverkehrsministeriums setze die Rahmenbedingungen für risikolosere Innovation - genau das Gegenteil ist jedoch der Fall. Letztlich fällt die Verantwortung für unsichere Produkte immer auf den Hersteller zurück. Unternehmen, die Zukunftstechnologien herstellen, sollten die Möglichkeit nutzen, sich durch die Einführung von Legal Quality Management Strukturen zu schaffen, die langfristig zu sicheren Produkten führen - und ihnen die Chance eröffnen, auf Augenhöhe mit den internationalen Innovationsführern zu agieren.

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