

Hamburg - Lachsrosa Papier, dicht bedruckte Seiten: Üblicherweise pflegt die englische Wirtschaftzeitung Financial Times (FT) ihr Image als Entscheider-Medium mit handfest recherchierten Wirtschaftsstories aus aller Herren Länder. Auch auf den Kommentarseiten gibt sich die FT eher staatstragend. Ob asiatische Demokratien, englische Leitzinsen oder gesunde Staatsfinanzen - die Themen der Kommentatoren sind für viele Leser nicht gerade leichte Kost.
Doch heute greift der FT-Kolumnist John Gapper mal in die Vollen - und schießt eine Breitseite auf Fiat-Chef Sergio Marchionne ab. Als "einsamen Pokerspieler", der "einen neuen Deal finden muss", beschreibt Gapper den kanadisch-italienischen Automanager - in Anspielung auf Marchionnes Leidenschaft für das Kartenspiel.
Vergangene Woche hat der Fiat-Chef die Verhandlungen über die vollständige Übernahme des Autoherstellers Chrysler abgeschlossen. Für 4,35 Milliarden Dollar habe Marchionne "bekommen, was er wolle", meint Gapper. Doch Marchionne sei ein Außenseiter in der Autoindustrie - weder Ingenieur wie VW-Chef Martin Winterkorn noch ein Allround-Manager wie Ford-Boss Alan Mulally.
Stattdessen agiere Marchionne als einsamer Dealmaker, der Fiat und Chrysler wie ein "Autokrat mit einer Entourage führe". Der Automanager erwecke nun den Eindruck, schreibt Dapper, dass er Fiat und Chrysler stärker vereinigen werde. Zudem wolle Marchionne eine kulturelle Wiederbelebung einleiten, wie sie Mulally bei Ford vorexerziert habe.
"Ich glaube, dass er blufft", urteilt Dapper über den Plan Marchionnes, der um kesse Sprüche nicht verlegen ist. Marchionne sei einfach kein Auto-Mann - und habe nicht mal entferntes Interesse an Managementdingen wie Team-Building oder Nachfolgeplanung. Zehn Jahre nach Marchionnes Antritt bei Fiat habe sich nicht viel verändert. Der italienische Autohersteller kämpfe weiter mit schrumpfenden Märkten und schreibt weiter Verluste.
Was Marchionne wirklich kann, sind Finanzgeschäfte. Und mit den Zyklen in der Autoindustrie spiele er "meisterhaft". Marchionne habe wie ein Pokerspieler einige gute Karten, aber insgesamt eine schwache Hand. Für organisches Wachstum brauche der Autokonzern aber ein eingespieltes Managementteam - und nicht nur einen Hauptdarsteller, urteilt Dapper. Was die Fiat-Presseleute diesem Verriss entgegensetzen, ist derzeit noch nicht bekannt.
Den englischen Originaltext können Sie hier nachlesen.
Fiat-Chef Sergio Marchionne bereichert die Autowelt mit seiner bunten Sprache - und überraschenden Einsichten: Zu seinem Elektro-Modell Fiat 500e sagte der Firmenchef: "Ich hoffe, sie kaufen ihn nicht. Denn jedes Mal, wenn ich einen verkaufe, kostet es mich 14.000 Dollar". Das klingt nicht gerade nach einer langfristigen Erfolgsstrategie. Deutlich zufriedener ist Marchionne mit der Chrysler-Übernahme ...
Am Neujahrstag bezeichnete Sergio Marchionne die Komplettübernahme der US-Autofirma Chrysler als "Moment für die Geschichtsbücher". Im Gegensatz zu Ex-Daimler-Chef Jürgen Schrempp, der ebenfalls einmal nach Chrysler griff und von einer "Hochzeit im Himmel" sprach, kann Marchionne die Allianz auch eher nüchtern sehen: "Ich habe alles, was sie brauchen und nicht haben. Und sie haben alles, was ich nicht habe - auch einiges, was ich nie brauchen werde."
Zum Beispiel hatte Chrysler, als Fiat Anfang 2009 in höchster Not einstieg, einen zigmilliardenschweren Rettungskredit vom Staat - den Marchionne Mitte 2011 sechs Jahre vorzeitig ablösen ließ. US-Präsident Obama, der die marode Autofirma für umsonst mit den Worten "Jetzt ist es Ihr Job" an die Italiener abgegeben hatte, nahm das Geld gern. Weniger gut kam in Amerika an, dass Marchionne mit Blick auf den Kredit von "shyster rates", "Bescheißerzinsen" gesprochen hatte. Weil manche den Begriff für antisemitisch belastet halten, nahm der Italokanadier die Äußerung zurück - bediente sich aber weiter für kraftvolle Ausdrücke beim jiddischen Wortschatz ...
Dass Fiat noch immer nicht mit neuen Alfa-Romeo-Modellen für den US-Markt durchstartet, könnte an der Finanznot des Konzerns liegen. Marchionne jedenfalls erklärte das auf der Detroiter Automesse 2013 so: "Ich kann nicht mit einem Schlock-Produkt kommen, das Auto darf keinen amerikanischen Motor haben." Das wäre also - "bei allem Respekt für meine amerikanischen Freunde" - minderwertig, so die Übersetzung von "Schlock". Stattdessen solle es lieber eine "Wop"-Maschine sein, auch das ist ein abwertender Slang-Ausdruck. Auf deutsch würde man dazu "Itakermaschine" sagen. Wenn überhaupt.
Volkswagen-Patriarch Ferdinand Piëch stichelt immer wieder, sein Konzern könne doch die "schöne Marke" Alfa übernehmen - irgendwann, denn "noch geht es Fiat zu gut". "Piëch, lass es", zitierte das "Handelsblatt" dazu Marchionne. Zuvor hatte der Wahlschweizer bereits der "Neuen Zürcher Zeitung" erklärt, in Piëchs Hand "wäre Alfa Romeo kein italienisches Auto mehr." Sein Konter, Fiat interessiere sich für Volkswagens Lastwagenmarken MAN und Scania, brachte wiederum die Deutschen auf die Palme. Angefangen hatte die Fehde wohl Piëch, der zur Fiat-Chrysler-Allianz gesagt hatte, "zwei Kranke ergeben keinen Gesunden". Auch sonst wird der Wettbewerb zwischen Wolfsburg und Turin oft auf der persönlichen Ebene ausgetragen.
Überraschend zeigte sich Marchionne auf dem Pariser Autosalon 2012 nach längerer Aussprache Arm in Arm mit Volkswagen-Chef Martin Winterkorn: "Wir sind jetzt Freunde." "Peinlich" und "unverschämt" hatte Marchionne die Erklärungen des Volkswagen-Konzerns genannt, er sei als Präsident des europäischen Branchenverbands Acea "untragbar und sollte gehen". Anlass ...
... war ein Interview Marchionnes in der "New York Times", Thema der Abbau von Überkapazitäten in der europäischen Autoindustrie. "Überhaupt noch nicht gehandelt haben die Franzosen und die Deutschen", sagte dazu Marchionne, der bis dahin immerhin schon ein Werk in Sizilien dichtgemacht hatte. Volkswagen warf er vor, eine Rabattschlacht anzuheizen, um die schwächeren Wettbewerber in den Ruin zu treiben - "ein Blutbad in den Margen". Sein Vorschlag, das Schrumpfen der Industrie über Länder- und Herstellergrenzen hinweg mit EU-Hilfe zu koordinieren, verhallte. Marchionne: "Ich bin es gewöhnt, ignoriert zu werden." Acea-Präsident blieb er trotzdem bis Ende 2013. "Ich bin froh, dass ich es nicht machen muss", sekundierte dazu Renault-Chef Carlos Ghosn. Machen muss es jetzt der Kollege von Peugeot-Citroën, Philippe Varin.
Ohne Italien stünde Fiat besser da - diese Botschaft brachte Marchionne im Oktober 2010 dem Publikum des Staatsfernsehens. "Von zwei Milliarden Euro Betriebsgewinn kommt kein einziger aus Italien", beschwerte er sich. Ein polnisches Fiat-Werk leiste so viel wie fünf Fabriken in Italien. Unverhohlen drohte er mit dem Abzug des größten Industriekonzerns aus dem Heimatland ...
... falls die Arbeiter nicht neue Haustarifverträge zu deutlich schlechteren Bedingungen annehmen würden. "Dann feiern wir eben in Detroit", erklärte er der Belegschaft im Turiner Stammwerk Mirafiori. Die stimmte mit knapper Mehrheit dafür, die Metallergewerkschaft Fiom klagt seitdem durch alle Instanzen gegen Fiat. Auch aus dem Industrieverband Confindustria, jahrzehntelang von der Fiat-Dynastie Agnelli geprägt, trat der Konzern aus. "Wir müssen uns von Zwängen befreien, die in einer Marktwirtschaft überflüssige Bremsen sind." Tradition? "Ich lebe in der Zeit nach Christus. Was vor Christus war, interessiert mich nicht."
Von vorgestern war für Marchionne schließlich auch sein eigener Plan "Fabbrica Italia", 20 Milliarden Euro bis 2014 in die italienischen Werke zu investieren. "Die Nachfrage in Italien ist auf das Niveau der 70er Jahre gesunken. Wir können uns daher nicht mehr auf einen Plan von vor zweieinhalb Jahren beziehen", erklärte Marchionne 2012. Da platzte dem Unternehmer Diego della Valle der Kragen. "Das echte Problem sind die Haupteigentümer und der Vorstandschef. Sie treffen falsche Entscheidungen." Daraufhin entspann sich ein unterhaltsamer Dialog.
"Ich rede nicht mit Leuten, die Taschen fertigen", sagte der studierte Philosoph Marchionne. "Was della Valle in Forschung und Entwicklung investiert, würde bei uns nur für den Kotflügel reichen." Der Fiat-Chef ging so weit, auch den von della Valles Firma gefertigten Schuhen der Marke Tod's abzuschwören - auch wenn die das Logo der Fiat-Luxusmarke Ferrari tragen und Ferrari-Großmeister Luca Cordero di Montezemolo mit della Valle gemeinsam eine Schnellzugfirma betreibt.
Ferrari ist wohl die einzige Marke im Fiat-Reich, die über alle Zweifel erhaben ist. "Wir müssen anerkennen, dass das einzige Auto, das Lancia in der jüngsten Geschichte mit Ertrag produzieren konnte, der Lancia Ypsilon war", sagte Marchionne 2012 - zu dem Modell, dessen Produktionsstätte er geschlossen hatte. "Alles andere, was mit Lancia verbunden ist, wird künftig nur eine Operation von Chrysler aus den Vereinigten Staaten darstellen." Das Brand Engineering sieht man den neueren Modellen auch an. Den europäischen Marken mochte Marchionne in der Krise keine großen Modellinvestitionen zumuten. "In so einem Moment neue Autos vorzustellen, ist Selbstmord", sagte er der "Neuen Zürcher Zeitung" 2011.
Wenn Marchionne Selbstkritik übt, klingt das so: "Ich habe nicht all die Grand Cherokees und Wranglers verkauft, die ich hätte verkaufen können." Die hohe Nachfrage nach der Chrysler-Marke Jeep stoße auf Grenzen in den Kapazitäten der Zulieferer. Der Fiat-Konzern ist überwiegend amerikanisch. Nach Marchionnes Fünfjahresplan von 2009 sollte er mit Chryslers Hilfe in diesem Jahr einen Absatz von sechs Millionen Autos erreichen - "der einzige Weg für Volumenhersteller, um zu überleben", wie Marchionne selbst erklärt hatte. 2013 reichte es nach Konzernschätzung für rund 4,4 Millionen Fahrzeuge. Seine Strategie sei "nichts für Herzkranke", räumt der Fiat-Lenker ein.
Klar, dass der Manager bedauert, nicht auch den Zugriff auf Opel bekommen zu haben, worüber er parallel zum Chrysler-Einstieg verhandelte. Die Begegnungen im Bundeskanzleramt beschrieb Marchionne als brasilianische Seifenoper. "Ich würde auch gern in einer idealen Welt leben und mit vernünftigen Leuten an einem Tisch vernünftige Entscheidungen treffen." Die damals von Berlin favorisierte Lösung, Opel mit dem Zulieferer Magna und russischen Partnern zu verbünden, tat er im SPIEGEL-Interview ab: "Wenn einer meiner Leute mir mit solch einem Plan käme, wäre er am nächsten Morgen seinen Job los." A propos:
Das Feuern von Fiat-Managern soll nicht selten sein. Von den überwiegend jungen "Marchionne boys", hier versammelt zur Führungskräftetagung in Lingotto, wurde bisher keiner zum Nachfolger aufgebaut. "Wir haben die Organisation in 60 Tagen auseinandergenommen", beschrieb Marchionne einmal seine Ankunft in Turin 2004. Das Vermächtnis bleibt ihm: Damals gaben wenige etwas auf das Überleben der Firma, General Motors zahlte Milliarden für den Verzicht auf eine Kaufoption. Auch bei Marchionne ist emotional etwas hängengeblieben. "Meine Zukunft wird immer an Fiat gebunden sein. Dies ist meine letzte Stelle, ich möchte nirgendwo anders mehr hingehen."
... war ein Interview Marchionnes in der "New York Times", Thema der Abbau von Überkapazitäten in der europäischen Autoindustrie. "Überhaupt noch nicht gehandelt haben die Franzosen und die Deutschen", sagte dazu Marchionne, der bis dahin immerhin schon ein Werk in Sizilien dichtgemacht hatte. Volkswagen warf er vor, eine Rabattschlacht anzuheizen, um die schwächeren Wettbewerber in den Ruin zu treiben - "ein Blutbad in den Margen". Sein Vorschlag, das Schrumpfen der Industrie über Länder- und Herstellergrenzen hinweg mit EU-Hilfe zu koordinieren, verhallte. Marchionne: "Ich bin es gewöhnt, ignoriert zu werden." Acea-Präsident blieb er trotzdem bis Ende 2013. "Ich bin froh, dass ich es nicht machen muss", sekundierte dazu Renault-Chef Carlos Ghosn. Machen muss es jetzt der Kollege von Peugeot-Citroën, Philippe Varin.
Foto: Virginia Mayo/ APOhne Italien stünde Fiat besser da - diese Botschaft brachte Marchionne im Oktober 2010 dem Publikum des Staatsfernsehens. "Von zwei Milliarden Euro Betriebsgewinn kommt kein einziger aus Italien", beschwerte er sich. Ein polnisches Fiat-Werk leiste so viel wie fünf Fabriken in Italien. Unverhohlen drohte er mit dem Abzug des größten Industriekonzerns aus dem Heimatland ...
Foto: Antonio Calanni/ APWenn Marchionne Selbstkritik übt, klingt das so: "Ich habe nicht all die Grand Cherokees und Wranglers verkauft, die ich hätte verkaufen können." Die hohe Nachfrage nach der Chrysler-Marke Jeep stoße auf Grenzen in den Kapazitäten der Zulieferer. Der Fiat-Konzern ist überwiegend amerikanisch. Nach Marchionnes Fünfjahresplan von 2009 sollte er mit Chryslers Hilfe in diesem Jahr einen Absatz von sechs Millionen Autos erreichen - "der einzige Weg für Volumenhersteller, um zu überleben", wie Marchionne selbst erklärt hatte. 2013 reichte es nach Konzernschätzung für rund 4,4 Millionen Fahrzeuge. Seine Strategie sei "nichts für Herzkranke", räumt der Fiat-Lenker ein.
Foto: Jeep