Tankanzeige im Cockpit eines Pkw: Verbrauchsangaben ohne Nutzwert
Foto: Jan Woitas/ dpaDie offiziellen Spritverbrauchsangaben für Autos werden zunehmend bedeutungslos. Im vergangenen Jahr überstieg der tatsächliche Verbrauch eines in Europa zugelassenen Pkw den vom Hersteller angegeben Wert um 42 Prozent, wie eine Studie der Denkfabrik International Council on Clean Transportation (ICCT) ergeben hat. Autofahrern entstünden dadurch jährliche Mehrkosten von 450 Euro.
Die Abweichung stellt nach Angaben des ICCT einen Rekordwert dar. Ein Jahr zuvor lagen Anspruch und Wirklichkeit "nur" um 37 Prozent auseinander. Der Trend ist über die Jahre dabei eindeutig steigend: Im Jahr 2001, als die Organisation das Phänomen erstmals betrachtete, betrug die Diskrepanz lediglich 9 Prozent.
"Ungefähr drei Viertel der Diskrepanz zwischen Real- und Testverbrauch ist darauf zurückzuführen, dass Fahrzeughersteller immer systematischer Schlupflöcher in der bestehenden Regulierung ausnutzen," sagte ICCT-Geschäftsführer Peter Mock. So könne ein Hersteller die Reifen eines Fahrzeugs speziell für den Test präparieren oder die Batterie des Fahrzeugs vor dem Test voll aufladen.
Testzyklus wird geändert - Probleme bleiben
Derartige Maßnahmen seinen zwar gesetzlich nicht streng verboten, spiegelten aber dennoch nicht das reale Fahrverhalten wider. Zudem verwies das ICCT auf Technologien, die im Labortest einen größeren Kraftstoff-Einspareffekt zeigen als im normalen Alltagsbetrieb, wie zum Beispiel die Start-Stopp-Technologie, sowie auf das Abschalten der Klimaanlage während des offiziellen CO2- und Verbrauchstests.
Die EU zwingt Autohersteller, zunehmend sparsame Fahrzeuge herzustellen. So dürfen Pkw im Jahr 2021 im Schnitt nur noch 95 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer ausstoßen. Maßgeblich sind allerdings die auf dem Prüfstand erzielten Werte, der reale Verbrauch wird nicht überprüft.
Im kommenden Jahr wird der zunehmend unrealistische Testzyklus NEFZ dabei vom Testverfahren WLTP abgelöst. Die Diskrepanz zwischen offiziellem und tatsächlichem Verbrauch könnte sich dann halbieren, erwartet Mock. Doch die Hersteller hätten weitere Schlupflöcher durchgesetzt.
Hersteller wollen kundenfreundlicher werden
Manche Hersteller wie Peugeot und Opel werben damit, zumindest gegenüber den Kunden realistischere Werte anzugeben. Volkswagen hat zuletzt angekündigt, auf manche Tricks auf dem Prüfstand künftig verzichten zu wollen.
Auch die deutsche Autoindustrie als ganzes kündigt baldige Besserung an. Dass es grundsätzliche "ärgerliche Unterschiede zwischen Labor- und Straßenwerten" gebe, sei seit langem klar, hieß es am Donnerstag aus dem Verband VDA in Berlin. Die ab 2017 geplanten Straßenmessungen und genaueren Bedingungen für Prüfstandstests würden solche Diskrepanzen verringern. "Der Verbraucher bekommt mehr Verlässlichkeit."
Man habe sich schon seit Jahren für eine Reform der Messverfahren bei Abgasen und Verbrauch eingesetzt. Die vom ICCT neu vorgelegten Daten seien zudem "nur bedingt belastbar": Sie bezögen sich nicht auf eigene Messungen, sondern auf Zweitauswertungen gesammelter Daten von Autofahrern oder Fachpublikationen.
Für die jährliche Untersuchung wertet der ICCT nach eigenen Angaben Verbrauchsdaten von etwa einer Millionen Autos aus. Quellen sind öffentliche Portale wie Spritmonitor.de sowie Autotests von Fachzeitschriften.
Das industriekritische ICCT hat maßgeblich zur Aufdeckung des Dieselskandals beigetragen, der sei einem guten Jahr die Autoindustrie in Atem hält. Hinter der Organisation stehen unter anderem Stiftungen reicher Unternehmer, die mit ihrem Geld einem umweltfreundlicheren Verkehrssystem zum Durchbruch verhelfen wollen.
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Peugeot 306, 307, 308: Mehrverbrauch 51 Prozent
Der Kompaktwagen hat sich beim Abstand zwischen offiziellem und realem Verbrauch enorm verschlechtert - in einem Jahr um 13 Prozentpunkte. Für die Franzosen ist das besonders ärgerlich. Denn der Konzern tut viel dafür, sein Image beim Verbrauch zu verbessern. So lässt Peugeot den Verbrauch seiner Fahrzeuge von der Umweltorganisation Transport & Environment überprüfen. Die Ergebnisse decken sich in etwa mit der Studie des ICCT.
Quelle: International Council on Clean Transportation (ICCT), November 2016
BMW 5er: Mehrverbrauch 52 Prozent
Die Verbrauchs-Abweichung beim Business-Flaggschiff aus München sprang im Jahr 2007 deutlich in die Höhe. Damals kam die "Efficient Dynamics"-Technologie auf den Markt. Besonders effizient ist diese offenbar auf dem Prüfstand, nicht auf der Straße.
Mercedes C-Klasse: Mehrverbrauch 54 Prozent
Daimler schneidet in der ICCT-Studie mit Abstand am schlechtesten ab. Was für ein Abstieg der Stuttgarter. Im Jahr 2001 waren sie in Sachen Verbrauchs-Ehrlichkeit noch führend. Bei der C-Klasse betrug die Abweichung gerade einmal 2 Prozent.
Mercedes E-Klasse: Mehrverbrauch 56 Prozent
Das Brot- und Butter-Modell der Stuttgarter hat sich bei der Aussagekraft der Verbrauchsangaben weiter verschlechtert. Dabei punktet die Reihe in Umweltfragen an anderer Stelle: Die neuen Dieselmotoren gelten als ziemlich sauber, und zwar auch auf der Straße.
Mercedes A-Klasse: Mehrverbrauch 56 Prozent
Der kompakte Mercedes hat für Daimler vor allem den Zweck, die CO2-Bilanz zu verbessern. Diese Aufgabe erfüllt der Wagen hervorragend - allerdings nur auf dem Papier.
Audi A6: Mehrverbrauch 57 Prozent
Der E-Klasse-Konkurrent hat sich bei den Spritverbrauchs-Angaben zuletzt drastisch verschlechtert. Grund dürfte der Modellwechsel von 2014 sein. Zuvor betrug die Abweichung "nur" 43 Prozent.
Bemerkenswert im Ranking des ICCT ist, dass manche Hybridautos keineswegs wesentlich verlässlichere Spritverbrauchs-Angaben aufweisen. Zwei Toyota-Modelle liegen nur knapp unter der 50-Prozent-Marke. So verbraucht der Toyota Auris Hybrid 49 Prozent mehr als angegeben. Beim kleineren Yaris sind es immerhin noch 48 Prozent.
David stürzt Goliath: Die kleine Non-Profit-Organisation International Council on Clean Transportation hat den Abgas-Skandal um Volkswagen aufgedeckt, auch anderen Herstellern droht Ungemach. Hinter dem ICCT stehen allerdings potente Geldgeber, wie die Übersicht von manager magazin online zeigt.
Ein großer Teil des Geldes, mit dem der ICCT arbeitet, kommt aus dem Nachlass der Gründer des Computer-Konzerns Hewlett Packard.
Sowohl David Packard (l.) und William R. Hewlett sind Geld- und Namensgeber von Stiftungen, die zu den ICCT-Spendern zählen. Das schreibt der ICCT auf seiner Website.
Hewlett (l.) und Packard (hier ein Bild aus den 1940-er Jahren) gründeten die Firma 1938.
Heute unterstützen die William and Flora Hewlett Foundation sowie die David and Lucile Packard Foundation den ICCT.
In der Hewlett-Stiftung lenkt Hewlett-Sohn Walter heute die Geschicke mit - als Board-Chef.
Bedeutender Geldgeber für den ICCT ist die ClimateWorks Foundation. Darin sind wiederum zahlreiche Stiftungen organisiert, die etwas gegen den Klimawandel tun wollen.
Auch der Name Ford taucht hier auf: Die Ford Foundation unterstützt die ClimateWorks Foundation zumindest in Einzelfällen. Gegründet wurde sie einst von Edsel Ford, Sohn des legendären Autoherstellers Henry Ford.
Henry Ford hatte Anfang des 20. Jahrhunderts das Auto zum Massentransportmittel weiterentwickelt.
Auch der britische Geldadel mischt bei der ClimateWorks Foundation mit: Die Stiftung von Hedgefonds-Manager Chris Hohn (The Childrens Investment Fund) überweist ebenfalls von Fall zu Fall Geld. Der ist in der Dax-Welt bekannt als Mann, der schon die Deutsche Börse ärgerte.
Der lange Atem von Gordon Moore - Begründer des Mooresches Gesetz - reicht ebenfalls in die Gegenwart. Die Gordon and Betty Moore Foundation unterstützt die ClimateWorks Foundation, die wiederum den ICCT sponsort.
Dasselbe tut der Brite Jeremy Grantham von der Grantham Foundation for the Protection of the Environment. Grantham ist ein britischer Investor und Chefstratege von der Vermögensverwaltung Grantham Mayo van Otterloo (GMO).
Auch aus dem Nachlass eines reichen Dänen finanziert sich der ICCT - zumindest indirekt: Die KR-Stiftung wurde von den Nachfahren des Industriellen Villum Kann Rasmussen gegründet (Velux-Fenster) und ist Geldgeber der ClimateWorks Foundation.
Insgesamt flossen dem ICCT zuletzt mehr Gelder zu. Im Jahr 2013 waren es 11,6 Millionen Dollar, im Jahr davor 9,4 Millionen Dollar. Mit dem Geld will die Organisation einem sauberen und nachhaltigen Verkehr zum Durchbruch verhelfen.
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Foto: Karl-Josef Hildenbrand/ dpa