Stadlers Verfehlungen im Abgasskandal Warum ist Rupert Stadler eigentlich noch Audi-Chef?

Audi-Chef Rupert Stadler
Foto: FABIAN BIMMER/ REUTERS
Eigentlich wollte Audi-Chef Rupert Stadler vor seinen Aktionären Aufbruchsstimmung verbreiten: Auf der Hauptversammlung der Audi AG am Mittwoch präsentierte Stadler einen ehrgeizigen Transformationsplan für einen Start ins Elektroauto-Zeitalter. Mit der Strategie "Audi. Vorsprung. 2025" soll Audi bei Elektromobilität an den Konkurrenten Daimler und BMW vorbeiziehen. "Die Nummer eins unter den Premiumanbietern" soll Audi bei E-Mobilen werden, gab Stadler die Stoßrichtung vor. Vier rein batteriegetriebene Elektroautos will die Ringe-Marke in den nächsten zwei Jahren auf den Markt bringen, im Jahr 2025 will Audi 800.000 elektrifizierte Autos verkaufen.
Die Sache mit dem Aufbruch hat nur einen Haken: Audi - und Stadler selbst - werden mal wieder von der Dieselskandal-Vergangenheit eingeholt. Am Dienstag, nur einen Tag vor der Hauptversammlung, mussten die Ingolstädter etwas Hochnotpeinliches eingestehen. Audi hat die Auslieferung der als Dienstwagen beliebten Modelle A6 und A7 mit 271-PS-Dieselmotor gestoppt, weil es bei den Motoren erneut Verdacht auf Abgastricksereien gibt, wie der "Spiegel" berichtete.
Audi untersuche systematisch alle Motoren, erklärte Stadler dazu gestern. Dass mit weiteren Rückrufen zu rechnen sei, hatte er schon im März angekündigt. "Unser höchstes Interesse gilt einer rückhaltlosen Aufklärung", sagte Stadler dazu.
Doch wieder einmal steht Stadler im Verdacht, seinen Laden nicht im Griff zu haben. Vor einem Jahr wurde Stadlers Vertrag um weitere fünf Jahre verlängert - seither bemühte sich Stadler um den Eindruck, dass die Zeiten der Diesel-Krise bei Audi vorbei sind. Ende 2017 verkündete der Firmenchef sogar, die interne Taskforce Diesel bis zum Ende des ersten Quartals auflösen zu wollen - als "äußeres Zeichen, dass wir allmählich vom Krisenmodus wieder auf den Regelbetrieb umstellen können".
Zuletzt hatte der neue VW-Chef Herbert Diess Stadler sogar noch den Rücken gestärkt - indem er ihm im Rahmen der Neuorganisation des Volkswagen-Konzerns in Markengruppen zusätzliche Verantwortung für den Konzernvertrieb übertrug.
Das sind Stadlers gröbste Schnitzer in der Dieselkrise
Dabei hat sich Stadler in den drei Jahren des Diesel-Skandals mehrere grobe Pannen geleistet:
- Anfang November 2015 dementierte Audi per Pressemitteilung, in den von den Ingolstädtern entwickelten größeren Dieselmotoren eine unzulässige Abschaltvorrichtung eingebaut zu haben. "Die Volkswagen AG betont, dass keine Software bei den 3-Liter-V6-Dieselaggregaten installiert wurde, um die Abgaswerte in unzulässiger Weise zu verändern", hieß es damals.
Das war vorschnell, wie sich bald zeigte: Ein paar Wochen später musste Audi zugeben, dass in den Motoren doch eine als illegal zu wertende Software steckte. Stadler berichtete den US-Behörden dies persönlich. Diese werteten Stadlers Besuch als Zeichen, dass der Audi-Chef nun reinen Tisch mache. Doch das Bild eines Chefs, der über die Vorgänge in seinem Unternehmen bestens informiert ist, gab er so nicht gerade ab. - Audis Motorenentwicklungsabteilung war die Keimzelle des Dieselbetrugs - Audi-Techniker installierten bereits 2007 jene Betrugssoftware in Dieselmotoren, die nur auf dem Prüfstand gute Abgaswerte garantiert. Audi-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg, von VW zur Vier-Ringe-Marke zurückgeholt, musste im Zuge des Abgasskandals seinen Posten räumen. Als Nachfolger erkor Stadler den einstigen Porsche-Motorenentwickler Stefan Knirsch, der zu Amtsantritt Anfang 2016 schriftlich versicherte, in Sachen Diesel unbefleckt zu sein.
Neun Monate später musste Knirsch gehen, weil Dokumente auftauchten, die ihn im Dieselskandal belasteten. Kirsch soll seit Jahren von den Dieselabgas-Manipulationen gewusst haben. Auch bei Knirschs Abgang machte Stadler keine gute Figur: Hat er Knirsch nicht gründlich genug durchleuchten lassen - oder war er über das Ausmaß der am Dieselbetrug beteiligten Audi-Mitarbeiter noch immer nicht im Bild? - Als Stadler im März 2017 bei einer Bilanzpressekonferenz den Neustart der Marke nach dem Abgasskandal erklären wollte, durchsuchten Ermittler der Staatsanwaltschaft München zeitgleich Audi-Büros. Die Botschaft der Ermittler damals war klar: Die Abgasaffäre ist für Audi noch lange nicht ausgestanden. "Als Konsequenz aus der Dieselaffäre stellen wir bei Audi alles auf den Prüfstand", erklärte Stadler damals. Doch allzu aktiv an die Öffentlichkeit ging Audi damit nicht.
- Im Juni 2017 erklärte der damalige Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, dass Audi bei Oberklasse-Modellen A8 und A7 eine unzulässige Abschaltvorrichtung, nämlich eine sogenannte Lenkwinkelerkennung, verwende. Audi erklärte, dass man dies selbst den Behörden mitgeteilt hätte und dass es sich dabei um einen "technischen Fehler" und nicht um eine absichtliche Manipulation handle. Stadler warf Dobrindt vor, sich auf Audis Kosten profilieren zu wollen. Dafür würde er vom VW-Konzern öffentlich zurückgepfiffen. Letztlich mündete die Kontroverse in einen Rückruf von 24.000 Audi-Autos.
Wer Stadler durch all die Pannen den Rücken stärkte

Auf Vorwürfe zu Abgasmanipulationen reagierte Stadler in den vergangenen Jahren unterschiedlich: Zunächst stritt er Abgastricksereien empört ab. Das machte er zuletzt nicht mehr, sondern entschuldigte sich jedes Mal deutlich. Immer wieder stellt er ein Ende des Dieselskandals in Aussicht - um dann doch wieder von neuen Vorwürfen eingeholt zu werden und dafür Abbitte zu leisten.
Das passierte nun auch auf der Hauptversammlung - auch hier laviert sich Stadler durch die jüngsten Vorwürfe. Zwar räumte Stadler bei den mutmaßlichen Abgastricksereien im A6 und A7 schwere Fehler ein. "Der Arbeitsfehler in einer unserer Fachabteilungen ist gravierend", erklärte Stadler auf der Hauptversammlung. Allerdings sei das "keine neue Manipulationssoftware". Man habe versäumt, einen Software-Baustein für die Motorensteuerung bei den jetzt auslaufenden A6- und A7-Modellen zu entfernen, erklärte Stadler.
Laut Berichten drosselt die nun entdeckte Software im A6 und A7 die Einspritzung von AdBlue-Harnstoff 2400 Kilometer, bevor dieser zur Neige geht. Danach funktioniert die Abgasreinigung im SCR-Katalysator nur mehr stark eingeschränkt.
Neuer Audi-Aufsichtsratschef könnte Stadler gefährlich werden
Dass er persönlich vor September 2015 von den Software-Manipulationen wusste, bestreitet Stadler - und bislang sind solche Vorwürfe auch unbewiesen. Doch eine gute Figur als Audi-Chef macht Stadler schon seit längerem nicht mehr.
Kein Wunder, dass in den vergangenen Jahren mehrfach Forderungen laut wurden, Stadler möge zurücktreten. Bisher konnte Stadler auf den Rückhalt der mächtigen VW-Eigentümerfamilien Porsche und Piëch zählen. Ex-VW-Chef Matthias Müller soll längere Zeit auf Stadlers Ablösung gedrungen haben, die VW-Eigentümerfamilien sperrten sich aber dagegen.
Nun hat die Audi AG mit Volkswagen-Konzernchef Herbert Diess einen neuen Aufsichtsratschef. Und Diess könnte - der jüngsten Rückenstärkung zum Trotz - die Ära von Stadler an der Audi-Spitze noch deutlich vor Ende seines Fünfjahresvertrag im Jahr 2023 beenden - wenn die Familien Porsche und Piëch mitziehen.