Volkswagen-Konzern Warum Winterkorn bei VW jetzt viel Geduld braucht

"Ordentlich entwickelt" habe sich der Volkswagen-Konzern in diesem Jahr, meint Martin Winterkorn - dennoch muss er bei der Kernmarke VW Milliarden einsparen
Foto: Michael Kappeler/ dpaHamburg - Das jüngste Zahlenwerk des Volkswagen-Konzerns bringt Martin Winterkorn in eine delikate Situation: Im Sommerquartal hat der Gesamtkonzern beim Gewinn deutlich zugelegt und mehr verdient als erwartet. Fast drei Milliarden Euro haben die Wolfsburger von Juli bis September netto erwirtschaftet, um 16 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Und auch der Angriff auf den weltgrößten Autohersteller Toyota läuft weiter: In den ersten neun Monaten lieferte der Konzern 7,5 Millionen Fahrzeuge aus, um 5 Prozent mehr als im Vorjahr. Das Ziel, Ende dieses Jahres die 10-Millionen-Marke bei den Auslieferungen zu knacken, ist also in Sichtweite.
"Ordentlich entwickelt" habe sich der Konzern in diesem Jahr, meinte Winterkorn. Dennoch will und kann der Konzernchef von seinem im Sommer angekündigten Sparkurs keinen Zentimeter abweichen. Volkswagen müsse weiter intensiv an einer Basis arbeiten, damit "wir die großen technologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen der Automobilindustrie stemmen können", erklärte Winterkorn.
Seine Worte gelten vor allem der Kernmarke VW - denn die ist derzeit eher schwach aufgestellt. Obwohl der Automarkt in Europa wieder anzieht, fiel das operative Ergebnis der Hauptmarke in den ersten neun Monaten auf 1,7 Milliarden Euro von 2,1 Milliarden Euro im Vorjahreszeitraum. Auch die Rendite sackte auf 2,3 Prozent von zuvor 2,9 Prozent ab.
Verantwortlich dafür sind laut Volkswagen geringere Volumina, negative Wechselkurseffekte und höhere Investitionen in neue Technologien. Dennoch liegt VW bei diesen Kennzahlen weit hinter seinen Wettbewerbern General Motors, Toyota und Ford zurück, deren PKW-Marken teils auf Renditen von 10 Prozent kommen.
VW fährt in den USA weiter hintennach
Spätestens bis 2018 soll VW seine operative Rendite auf 6 Prozent erhöhen, hat Winterkorn versprochen - und verordnet VW deshalb einen Sparkurs, die in der Volkswagen- Diktion "Effizienzprogramm" heißt. Um fünf Milliarden Euro sollen die Kosten bei VW sinken, hat Winterkorn als Ziel ausgeben. Sparen will er vor allem im Vertrieb und bei Forschung und Entwicklung.
Verringern will Winterkorn zudem die Zahl der Modelle - derzeit hat Volkswagen mehr als 200 verschiedene Varianten weltweit im Angebot. Gleichzeitig sollen diese schneller erneuert werden: Bisher stellt der Konzern alle sieben bis acht Jahre eine neue Generation seiner Bestseller vor, künftig könnte dies alle fünf bis sechs Jahre der Fall sein.
Das ist wohl auch ein Zugeständnis an den US-Markt, in dem Käufer alle zwei bis drei Jahre eine Auffrischung ihrer Modelle erwarten. VW war hier bisher deutlich langsamer unterwegs - und hat Facelifts neuer Modelle erst nach vier Jahren vorgenommen. Das ist einer der Gründe, weshalb die Kernmarke in den USA nach wie vor mit Problemen kämpft - und die zeigen sich auch in der aktuellen Bilanz deutlich.
In den ersten neun Monaten 2014 lieferte der Volkswagen-Konzern in den USA um 5,1 Prozent weniger Fahrzeuge aus als im Vorjahreszeitraum. Dabei legte der gesamte Automarkt in den USA in dieser Zeit um 5,5 Prozent zu, vor allem das SUV-Segment boomte. Gerade im Geländewagen-Bereich hat VW in den USA aktuell nur zwei Modelle anzubieten: Den großen, aber eher teuren Touareg und den kompakten Tiguan. Einen günstiger, geräumiger VW-Geländewagen wird aber erst 2016 auf dem US-Markt bereitstehen.
Dudenhöffer: VW-Produktivitätsproblem erscheint kaum lösbar
Wie man Autos für den Massenmarkt mit ordentlicher Rendite verbindet, zeigt im Volkswagen-Konzern ausgerechnet die kleine Tochter Skoda vor. Sie entpuppt sich als heimliche Renditeperle: Die tschechische Marke fuhr in den ersten neun Monaten dank einer ganzen Reihe neuer Modelle mit 651 Millionen Euro Gewinn eine Ebit-Marge von 7,4 Prozent ein. Daimlers Pkw-Sparte rund um die Premiummarke Mercedes schafft mit 7,8 Prozent kaum mehr.
Skoda hat dabei einen betriebswirtschaftlichen Vorteil: Die Werke in Tschechien arbeiten kostengünstiger als Volkswagens deutsche Autofabriken. In einer aktuellen Analyse geht Ferdinand Dudenhöffer, Leiter des Center Automotive Research der Universität Duisburg-Essen, mit der Marke VW hart ins Gericht: Ihr Produktivitäts-Problem erscheine kaum lösbar, meint der Autoexperte.
Im vergangenen Jahr erzielte der Volkswagen-Konzern deutlich geringere Ebit-Gewinne pro Fahrzeug als die Wettbewerber Toyota, General Motors oder Ford. Dudenhöffer führt dies auch darauf zurück, dass sich die Wolfsburger viele hauseigene Komponentenwerke leisten, die vergleichsweise teuer Achsen, Getriebe oder Sitze bauen.
Die Arbeiter in den Komponentenwerken werden nach dem VW-Haustarif bezahlt. Damit arbeiten die Zulieferabteilungen von VW mit im Schnitt 35 Prozent höheren Lohnkosten als etwa die deutschen Zulieferer Continental, Bosch, oder Hella. Zudem seien die Arbeitskosten im Standort Deutschland ohnedies hoch. Allerdings lassen sich diese VW-internen Zulieferleistungen nicht kurzfristig durch externe Anbieter ersetzen, meint Dudenhöffer - sondern nur langfristig abschmelzen.
Details zum Sparprogramm erst zum Jahresende
Winterkorn denkt für sein Sparprogramm laut darüber nach, weniger Leiharbeiter einzusetzen. Doch Einschnitte beim Stammpersonal oder bei den Löhnen sind nicht geplant. Die bisherigen Ankündigungen des Volkswagen-Managements lassen daher laut Dudenhöffer nicht erkennen, wie die Kernmarke VW ihre Kostenprobleme lösen wolle.
Branchenbeobachter erwarteten von der heutigen Quartalsbilanzvorstellung erste Details zum angekündigten Sparprogramm. Die blieb die VW-Konzernspitze vorerst schuldig. Bis zum Jahresende soll der Fahrplan für die nächsten Jahre jedoch stehen. Er wird Grundlage für neue Ziele sein, mit denen Winterkorn den Wolfsburger Konzern für die Zeit nach 2018 fit machen will.
Ob der 67-Jährige dann selbst noch an der Spitze steht oder einem Nachfolger Platz macht, wird allerdings immer fraglicher. Denn im "Spiegel" ließ Winterkorn jüngst durchblicken, dass er ans Aufhören denkt, wenn sein Vertrag Ende 2016 ausläuft.
Erwartet wird, dass er danach in den Aufsichtsrat wechselt und Firmenpatriarch Ferdinand Piech als Vorsitzenden des Gremiums ablöst. Auf die Frage, ob sein Nachfolger aus dem Unternehmen kommen müsse, sagte Winterkorn nun: "Das muss nicht sein, aber das hat viele Vorteile." Vor allem in einem großen Konzern sei es von Vorteil, wenn man die Abläufe kenne und die Menschen. "Da wird sich jemand von außen immer schwer tun."