Wochenlang hielten Volkswagens europäische Konkurrenten ungewöhnlich still. Keiner wollte sich in den Skandal um Manipulationssoftware in VW-Dieselmotoren hineinziehen lassen, der seit Mitte September Europas größten Autohersteller in seinen Grundfesten durchbeutelt. Als Folge der Abgaswerte-Manipulation fordern Politiker nicht nur strengere Abgastests, sie denken auch über Verkaufs- oder Fahrbeschränkungen für Dieselmotoren nach.
Solche Schritte kämen für Europas Autobranche einer mittleren Katastrophe gleich - denn in Europa werden drei Viertel aller weltweit verkauften Diesel-Pkw abgesetzt. In wichtigsten EU-Automärkten Deutschland, Frankreich und Großbritannien wird jeder zweite Pkw-Neuwagen mit einem Selbstzünder ausgeliefert.
Die EU-Vorgaben für CO2-Emissionen der Neuwagenflotten werden die Hersteller außerdem nur dann schaffen, wenn Dieselautos nach wie vor einen hohen Marktanteil halten. Denn im Vergleich zu Benzinaggregaten liegt der CO2-Ausstoß von Dieselmotoren merklich niedriger.
Doch nun setzen Europas Autohersteller zu einer Rundum-Verteidigung des Selbstzünders an - wenn auch zunächst in kleinen Schritten. Carlos Ghosn, Renault-Nissan-Chef und Präsident des europäischen Autoherstellerverbands ACEA, hat am Mittwoch erstmal einen Brief an ranghohe EU-Politiker geschickt, wie die Financial Times (€) berichtet. Darin weist er zum einen die Vorwürfe zurück, dass auch andere Hersteller mit Software ihre Emissionswerte künstlich gedrückt haben.
Zum anderen warnt er die EU-Politiker aber auch vor Überreaktionen auf den VW-Skandal - also etwa durch neue Regulierungsvorschriften, die den Verkauf von Diesel-Autos einschränken könnten.
"Alle Hersteller haben massiv in Innovationen investiert und fortschrittliche Dieseltechnologien entwickelt, die weniger Treibstoff verbrauchen", schreibt Ghosn in dem Brief an den Rat "Wettbewerbsfähigkeit". Autohersteller hätten verstanden, dass der Skandal die Notwendigkeit für verbesserte Abgas- und Verbrauchstests unterstreiche, heißt es in dem Schreiben, das der FT vorliegt (€). Doch gleichzeitig warnte Ghosn auch: "Wir sollten Maßnahmen vermeiden, die die Wettbewerbsfähigkeit unserer Branche untergraben könnte". Europaweit hängen 12,1 Millionen Jobs an der Autobranche, fügte Ghosn noch hinzu.
Einhaltung strenger Stickoxid-Standards erst 2019 möglich?
Die Empfängerliste des Briefs war gut platziert. Denn der Rat "Wettbewerbsfähigkeit" bringt EU-Minister aus den Bereichen Handel, Volkswirtschaft und Industrie zusammen. Ghosns Schreiben ist die bislang vollständigste formale Antwort der Branche auf die Krise bei VW, die zum Rücktritt des bislang mächtigsten Auto-Konzernchefs Europas, Martin Winterkorn, führte.
Der Skandal wirft ein Licht auf die Emissionen von Stickoxiden, die bei Dieselmotoren nur mit aufwändigen Abgas-Reinigungssystemen eingedämmt werden können. Ghosn sagt in dem Brief, dass die Branche daran arbeite, deutliche Fortschritte bei der Eindämmung von Schadstoff-Emissionen zu erzielen. Allerdings wolle man dabei den Diesel nicht aufgeben - als eine der Technologien, in denen Europa führend sei und die "essenziell" bleibe, um die ehrgeizigen CO2-Ziele der EU für das Jahr 2021 zu erreichen.
Ghosn warnte in dem Brief auch davor, dass die Hersteller es erst ab September 2019 schaffen würden, ein von der EU gefordertes neues Messverfahren unter realistischen Alltagsbedingungen zu erfüllen. Für neu entworfene Modelle sollten die geforderten Emissionsverbesserungen allerdings bereits Ende 2017 möglich sein.
Spannend war auch noch ein weiterer Abschnitt. Denn laut Ghosn müssen die Hersteller "bedeutende Hardware-Änderungen" durchführen, um strengere Verbrauchs- und Emissionstests unter Alltagsbedingungen zu erfüllen.
Der Brief wird wohl kaum der letzte Verteidigungsversuch der Branche für Dieselmotoren bleiben. Denn drei Viertel aller weltweit verkauften Diesel-Autos werden in Europa zugelassen.