Gehälterdebatte "30.000 neue Arbeitsplätze in Deutschland seit Winterkorns Antritt"

VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh in Wolfsburg
Foto: DPAmm: Herr Osterloh, wieviele Stunden pro Woche arbeiten Sie im Durchschnitt?
Osterloh: 60 Stunden, häufig auch 70. Sie können mal meine Frau anrufen. Ich fliege heute um 12:05 Uhr von Braunschweig zur Aufsichtsratssitzung der VW-Tochter Porsche Holding Salzburg. Wieder zu Hause sein werde ich um 20:30 Uhr. Und am nächsten Freitagabend ist das genau so. Meine Frau war nicht gerade amüsiert, als ich ihr das erzählt habe.
mm: Sie führen den Konzernbetriebsrat, Sie gehören dem Präsidium des Aufsichtsrats an, Sie gelten als die Nummer drei der Volkswagen AG; überragt nur noch vom obersten Aufsichtsrat Ferdinand Piëch und Vorstandschef Martin Winterkorn. Im Verbund mit der IG Metall können Sie Vorstände stürzen, Sie können den Bau neuer Werke verhindern. Trotzdem verdienen Sie nur ein Bruchteil der 14,5 Millionen Euro, die Martin Winterkorn für 2012 ausgezahlt bekommt. Geraten da nicht die Dimensionen durcheinander?
Osterloh: Da machen Sie sich aber ein falsches Bild von der Mitbestimmung bei Volkswagen. Mir geht es nicht um Macht, sondern um die Interessen meiner Kollegen und das Wohl des Unternehmens. Allein schon deshalb ist ein Vorstandschef, der mehr als 20 Millionen Euro bekommt, der Belegschaft genau so wenig vermittelbar wie ein Betriebsratsvorsitzender, der mehr erhält als gesetzlich vorgesehen. Ich darf durch meine - und das möchte ich hier betonen - eigentlich ehrenamtliche Tätigkeit im Dienst der Belegschaft weder Vor- noch Nachteile haben.
mm: Dann verdient Martin Winterkorn vielleicht zu viel ...
Osterloh: Herr Winterkorn hat auch 2012 wieder herausragende Arbeit für Volkswagen geleistet. Unser Vorstandsvorsitzender ist sein Geld wert. Im Übrigen wird sein Gehalt in seinem Arbeitsvertrag festgelegt, ...
mm: ..., den Sie als Präsidiumsmitglied des Aufsichtsrats entscheidend mitbeeinflussen.
Osterloh: Ja, und ich stehe auch zu dem Bonus, den Herr Winterkorn bekommt - und dessen Berechnung wir gerade erst geändert haben. Aber es ist doch so: Die Macht eines Vorstandschefs basiert auf seinem Arbeitsvertrag und dem Rückhalt im Aufsichtsrat; die Macht des Aufsichtsratsvorsitzenden basiert auf dem Vertrauen der Aktionäre; und meine Macht wird legitimiert durch den Organisationsgrad der IG Metall und die Ergebnisse der Betriebsratswahlen. Damit unterscheide ich mich vom Management. Wir Betriebsräte müssen uns alle vier Jahre von der Belegschaft bestätigen lassen. Das gilt für das Management nicht.
mm: Sie haben schon darauf hingewiesen: Der Aufsichtsrat hat die Vorstandsverträge gerade geändert. Statt der gut 20 Millionen Euro, die Herrn Winterkorn für 2012 eigentlich zugestanden hätten, erhielte er nach der neuen Formel 11,5 Millionen Euro. Sie haben dieses Gehalt über eine variable Komponente auf 14,5 Millionen Euro aufgestockt. Wie sehr ist das eine Belohnung für den Verzicht? Martin Winterkorn hätte ja auch darauf bestehen können, dass ihm die 20 Millionen Euro ausgezahlt werden.
Osterloh: Natürlich hätte er das. Schließlich haben wir den Vertrag nachträglich geändert. Trotzdem handelt es sich nicht um einen Kompromiss. Genau so wenig wie um einen Deal, für den der Vorstand im Gegenzug den 7200 Euro Bonus für jeden Tarifmitarbeiter zugestimmt hätte. Belohnt dagegen haben wir Herrn Winterkorn, aber für seine außergewöhnliche Leistung. Wir können 50 Prozent des Bonus als Extra bezahlen. Das haben wir getan.
mm: Dafür, dass er seine Pflicht erfüllt und möglichst gut für Volkswagen arbeitet?
Osterloh: Und dafür, dass er vieles extra macht. Wir haben zum Beispiel keinen Markenvorstand für VW und keinen Entwicklungschef im Konzern. Das erledigt Martin Winterkorn neben seinem Job als Chef eines Unternehmens mit rund 550.000 Mitarbeitern. Im Unterschied zu einem Investmentbanker mit einem Millionengehalt erhält unser Vorstandsvorsitzender sein Gehalt auch nicht für virtuelle, sondern für reale Werte. Und er wird dafür bezahlt, dass er neue Arbeitsplätze schafft. Das gibt es in keinem anderen Unternehmen, und seit Martin Winterkorn an der Spitze von Volkswagen steht, sind bei uns allein in Deutschland 30.000 neue Arbeitsplätze entstanden.
"Die Belegschaft erhält 10 Prozent"
mm: Sie haben in der vergangenen Woche davor gewarnt, für 2013 zu viel zu erwarten. Die Autonachfrage vor allem in Europa sei schwach, die Bäume wüchsen nicht in den Himmel. Wäre es da nicht besser gewesen, etwas bescheidener zu sein und weniger als 5,5 Prozent Tariferhöhung oder noch ein wenig mehr zu fordern. Und auch ein bisschen weniger als die 7200 Euro Bonus zu verlangen, die ja deutlich über dem vertraglichen Vereinbarten liegen.
Osterloh: Das stimmt. Aber erstens belohnt der Bonus die Leistungen 2012. Mit 2013 hat er zunächst nichts zu tun. Zweitens waren wir im vergangenen Jahr bei Volkswagen besonders erfolgreich.
mm: Drittens stehen Sie vor einer Tarifrunde.
Osterloh: Und die wird schwierig. Erklären Sie den Kollegen mal, dass wir besser dastehen als alle anderen und uns trotzdem zurück halten sollen. Außerdem gehe ich davon aus, dass das Konzernergebnis 2013 voraussichtlich genau so gut ausfallen wird wie 2012. Allerdings werden wir den Gewinn stärker in China erwirtschaften, auch in Nord- und Südamerika und weniger in Europa.
mm: Aber Sie verhandeln hier nicht für die VW-Arbeiter in Shanghai, Chattanooga und im brasilianischen Sao Bernardo, sondern für die Kollegen in Emden, Kassel und Wolfsburg.
Osterloh: Richtig, aber die deutsche Belegschaft erhält ihren Bonus für das Ergebnis, das sie selbst erzielt. Wir haben hier eine klare Regel: Die Belegschaft erhält 10 Prozent des operativen Ergebnisses. Und wenn dieses Ergebnis überdurchschnittlich gut ausfällt, verhandeln wir noch einmal, ob es mehr gibt oder nicht.
mm: Noch einmal, werden Sie sich bei der anstehenden Tarifrunde angesichts der trüben Aussichten nicht doch etwas bescheidener zeigen?
Osterloh: Wir orientieren uns an unseren Wettbewerbern. Für die gilt der von der IG Metall ausgehandelte Flächentarifvertrag, den wir mit dem VW-Tarif in der Regel ziemlich genau nachzeichnen. Verlangten wir ein höheres Plus, verschlechterte sich unsere Wettbewerbsposition zum Beispiel gegenüber Opel und Ford, aber auch gegenüber Mercedes und BMW. Wir justieren also anders nach: Schneiden wir besser ab als die Konkurrenz, honorieren wir diese Leistung durch einen Sonderbonus. Audi, Porsche und BMW halten das übrigens genau so.
mm: Der weltgrößte Automobilzulieferer Bosch erwartet, dass der europäische Markt in den nächsten fünf Jahren und vielleicht sogar länger stagnieren wird. Europa ist für Volkswagen noch immer der wichtigste Gewinnbringer - trotz des rasanten Wachstums in China. Das lässt auch für Sie wenig Gutes erwarten ...
Osterloh: Erstens sollten Sie bedenken, dass Bosch nicht nur Volkswagen beliefert. Das Unternehmen dürfte die Entwicklung also über alle Kunden hinweg betrachten. Wir sehen vor allem Volkswagen, und da sieht die Sache schon erheblich besser aus. Volkswagen wird seinen Marktanteil in Europa von heute 24 Prozent, davon gehen wir fest aus, in den nächsten Jahren weiter steigern. Das heißt allerdings nicht unbedingt, dass wir 2013 und 2014 mehr Autos verkaufen werden als 2012. Zweitens, und das ist viel wichtiger, müssen wir uns dringend Gedanken machen, was insgesamt in der Autoindustrie passiert.
mm: Das bedeutet?
Osterloh: Die nächsten Jahre werden für die gesamte Branche ziemlich heftig werden. Schauen Sie nach Frankreich, schauen Sie nach Italien, schauen Sie überall da hin, wo es gerade in Süd- und Südwesteuropa noch Automarken gibt. Die Absatzzahlen dort sind mehr als flau, und das wirkt sich natürlich auch auf Volkswagen aus. Aber deshalb geht es dem Konzern noch lange nicht schlechter. Dazu sind wir global zu gut aufgestellt. Mit unserem Baukastensystem können wir vom Erdgasauto bis zum Audi R8 bei einigermaßen großer Nachfrage jeden Kundenwunsch ökonomisch sinnvoll erfüllen. Das können andere nicht.
"Wir müssen die Kaufkraft stärken"
mm: Volkswagen, Sie haben es vorhin gesagt, dürfte künftig vor allem in Asien, insbesondere China, dazu in Russland, Nord- und Südamerika wachsen. Die Produktion in Europa wird davon nicht unbedingt profitieren. Im Gegenteil: Steigt die Produktivität der Werke schneller als die Produktionszahlen, droht der Verlust von Arbeitsplätzen.
Osterloh: Wir haben die notwendigen Flexibilitätsmaßnahmen, um darauf gegebenenfalls zu reagieren. Aber zunächst bleibt vieles offen: Wie sehr sind wir von dieser Entwicklung betroffen? Ist die Bosch-Prognose nicht zu pessimistisch? Wir sehen das bislang für uns nicht so dramatisch. Und noch liefern die europäischen Werke auch weiter Teile und fertige Autos nach China oder in die USA.
mm: Der Export dürfte künftig begrenzt bleiben. Volkswagen baut gerade in China, aber auch in Nordamerika weiter neue Werke - oder nutzt in Kooperationen, wie in Russland, bestehende Standorte.
Osterloh: Unsere Kollegen, zum Beispiel in China, können die Nachfrage kaum noch erfüllen. Wir können die neuen Werke gar nicht schnell genug bauen.
mm: Dennoch, wie sehr werden die Werke in Europa, vor allem aber in Deutschland, künftig noch vom Wachstum in anderen Regionen profitieren?
Osterloh: Das hängt entscheidend von der Europäischen Union ab. Die EU muss sich dringend geschickter anstellen, wenn sie Freihandelsabkommen aushandelt. Die Vereinbarung mit Südkorea zum Beispiel ist alles andere als eine Glanzleistung. Unsere Konkurrenten Hyundai und Kia dürfen ihre Autos so gut wie unbeschränkt nach Europa liefern. Umgekehrt aber ist der koreanische Markt für uns nach wie vor so gut wie verschlossen. Solche Abkommen helfen nicht gerade, Arbeitsplätze in Europa und Deutschland zu erhalten.
mm: Den Handel mit Japan hat die EU auf ähnliche Art geöffnet. Langsam, aber mit wachsendem Erfolg.
Osterloh: Für eine solche Rücksichtnahme sind die Koreaner industriell inzwischen viel zu gut aufgestellt. Das können wir uns nicht mehr leisten. Es sei denn, wir beschränken uns in Europa künftig auf Entwicklung und Dienstleistung. Aber die Denkerarbeitsplätze in Deutschland, die Jobs am Fließband in China, das ist zu simpel. Das wird Deutschland nicht weiter helfen. Deutschland ist ein Industrieland.
mm: Das starre Festhalten an alten Strukturen wird Deutschland aber auch nicht weiterhelfen.
Osterloh: Nein, aber denken Sie mal in eine andere Richtung. Wir müssen die Kaufkraft stärken. Die Menschen in Europa müssen sich die hier gebauten Autos weiter leisten können. Das ist doch die Grundvoraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg hier. Eine rigorose Sparpolitik als wichtigste Strategie gegen die Finanzkrise ist kontraproduktiv.
mm: Volkswagen will in den nächsten Jahren 50 Milliarden Euro in die weitere Expansion investieren. Das sind zwar fünf Milliarden Euro weniger als ursprünglich geplant. Aber wird der Konzern die Ausgaben nicht weiter reduzieren müssen angesichts der zurückhaltenden Konjunkturprognosen?
Osterloh: Die Kassen sind weiter ordentlich gefüllt. Es wäre auch nicht gut, die Investitionen zu kürzen. Wir diskutieren die Ausgabenpläne im Vorfeld der entscheidenden Aufsichtsratssitzungen ohnehin so intensiv mit dem Vorstand, dass am Ende nur noch das wirklich Notwendige stehen bleibt. Schließlich wissen wir, wie wichtig die Noten der großen Ratingagenturen und wie wichtig vernünftige Renditen für Volkswagen sind.
mm: Eins der wichtigeren Konzernprojekte ist das Budget Car. Auch wenn dieses Auto günstig angeboten werden und vor allem in China neue Käuferschichten erschließen soll: es wird ordentliche Investitionen erfordern. Sollte Volkswagen in der heutigen Situation daran festhalten? Oder sollte der Vorstand das Projekt angesichts der ungewissen Gesamtsituation zumindest verzögern und noch einmal überdenken?
Osterloh: Ich denke, wir sollten dieses Auto möglichst zügig auf den Markt bringen. Aber wir müssen bestimmte Einschränkungen beachten. Erstens: Das Budget Car muss sich rechnen. Von der Fabrik über den Einkauf bis zur Entwicklung muss alles passen. Das wird nicht einfach, schließlich soll dieses Auto eher 6000 Euro kosten als 8000 Euro. Aber wir sind auf einem guten Weg.
mm: Noch sind Sie weit von den Zielkosten entfernt.
Osterloh: Noch bleiben auch drei Jahre, bevor das Auto verkauft werden soll.
mm: Auch in Europa? Manche VW-Topleute wollen das Budget Car auch hierzulande anbieten. Das Modell soll den Erfolg der französisch-rumänischen Billigmarke Dacia eindämmen.
Osterloh: Wenn überhaupt, dann bitte unter einem anderen Markennamen. Das sieht auch Herr Winterkorn so. Mir gefällt die Idee aber nicht besonders. Die Gefahr ist zu groß, dass ein solches Modell das Image von VW und Skoda ankratzt. Sehen Sie sich mal die Autos an, die in Indien und China für solche Summen angeboten werden. Auf eine europäische Autobahn würden Sie sich damit nicht trauen.