Elektroautos "Schicksalsjahre der Elektromobilität"

Elektroautos: In den Jahren 2013 und 2014 müssen deutsche Autohersteller liefern. Sonst wird der Rückstand tatsächlich zu groß.
Foto: Jan Woitas/ picture alliance / dpamm: Herr Matthies, vor genau drei Jahren hat Volkswagen-Chef Martin Winterkorn auf dem Automobilsalon in Genf angekündigt, 2018 werde der Konzern drei Prozent seiner Autos mit Elektroantrieben verkaufen. Einmal angenommen, Volkswagen setzt dann 12 Millionen Pkw ab, wären das 360.000 Fahrzeuge. Winterkorns Kollegen prognostizierten damals ähnliche Anteile. Wie realistisch sind solche Ziele noch?
Matthies: Noch ist vieles möglich. Die meisten Hersteller haben weitgehend serienfertige Produkte in ihren Entwicklungszentren stehen. Bei Bedarf können sie diese Autos relativ schnell auf den Markt bringen. Für die Jahre 2013 und 2014 werden eine ganze Reihe massenmarkttaugliche Elektromobile und Plug-In-Hybride...
mm: ...Autos, bei denen an der Steckdose aufladbare Batterien und Elektroaggregate herkömmliche Verbrennungsmotoren unterstützen, die aber auch 30 bis 70 Kilometer rein elektrisch fahren können...
Matthies: ...auf den Markt kommen. Aber in der Tat waren die Ankündigungen vor drei Jahren wohl zu optimistisch. Die Kunden haben die neue Technologie nicht so schnell angenommen wie erwartet, und die Hersteller haben bislang nur wenige wirklich attraktive und konkurrenzfähige Autos auf den Markt gebracht.
mm: Was fehlt dem Elektroauto des Jahres 2013?
Matthies: Da muss man differenzieren. Es gibt durchaus einige Pioniere. Das sind allerdings nicht die deutschen Hersteller, denn als deutsches Produkt gibt es derzeit nur den Smart electric drive. Toyota fährt mit dem Prius vorne weg, Nissan bietet den Leaf, Renault gleich vier Elektrofahrzeuge. Und GM hat den Volt, der in Deutschland als Opel Ampera im Handel erhältlich ist. Das sind durchaus gute Produkte.
mm: Gekauft werden sie trotzdem nicht.
Matthies: Die Autos sind noch relativ teuer. Ein Opel Ampera, von der Größe in etwa vergleichbar mit einem VW Passat, kostet knapp 50.000 Euro. Bei den heutigen Benzinpreisen ist das ohne staatliche Subventionen für die Kunden nicht wirtschaftlich. In einigen Bundesstaaten der USA, in Japan und europäischen Ländern wie Norwegen und den Niederlanden steigen die Absatzzahlen jetzt allerdings signifikant.
mm: Was kaufen die Kunden dort? Reine Elektroautos oder Plug-in-Hybride?
Matthies: Es gibt ja bislang kaum Plug-In-Hybride. Der Ampera hat eine ähnliche Technologie, ansonsten ist nur der Toyota Prius als Plug-In Version auf dem Markt. Alle Modelle zusammen genommen, sind weltweit aktuell zwischen 130.000 und 140.000 Autos auf der Straße. Der Großteil davon befindet sich in den USA und in Japan.
mm: In Deutschland dagegen ist die verkaufte Menge bislang eher homöopathisch,...
Matthies: ...hier sind mittlerweile etwa 5000 Elektroautos zugelassen,...
mm: ...das passt nicht gerade zum im Ausland häufig belächelten Ökowahn der Deutschen, zu Mülltrennung, Dosenpfand und Energiewende. Nur an den höheren Preisen dürfte die Zurückhaltung gegenüber den umweltfreundlicheren Autos kaum liegen.
Matthies: In Deutschland sind vor allem zwei Dinge zu beachten. Zum einen fördert der Staat - im Unterschied zu anderen großen Volkswirtschaften - nur geringfügig den Verkauf an Endkunden. Es gibt Steuervorteile, aber keine direkten Subventionen. In Kalifornien dagegen erhalten Käufer von Elektroautos bis zu 12.500 Dollar Zuschuss, in Frankreich sind es 5000 Euro. Außerdem kaufen die Deutschen bevorzugt Autos deutscher Hersteller. Das gilt insbesondere für hochpreisige Fahrzeuge. Und bei den aktuellen Elektroautos reden wir durchaus über Premiumpreise. Es scheint, als warteten die Kunden auf Modelle von BMW und Mercedes , von Audi und Volkswagen. Für diese These spricht zum Beispiel die Nachfrage nach dem Smart electric drive. Die Bestellungen übersteigen das aktuelle Angebot. Dabei ist das Auto fast doppelt so teuer wie die Basisvariante mit Verbrennungsmotor.
mm: Sie sagen, die Kunden warteten noch ab. Aber auch die Hersteller treiben ihre Projekte nicht so schnell voran wie sie könnten. Was lässt sie zögern?
Matthies: Das ist ein typisches Henne-Ei-Problem. Technisch sind viele Autos marktreif. Profitabel sind sie allerdings noch lange nicht. Die Hersteller warten deshalb ab, wie sich die Nachfrage entwickelt. Dazu kommt, dass sie gerade ihre technische Strategie ändern.
"Der Markt wird sprunghaft wachsen"
mm: Was haben wir zu erwarten?
Matthies: Untersuchungen des Bundesverkehrsministeriums haben ergeben, dass ein Bundesbürger pro Tag durchschnittlich knapp 40 Kilometer zurücklegt und das zu mehr als 60 Prozent mit dem Auto. Mit vollgeladenen Batterien kommen Elektrofahrzeuge heute auf Reichweiten von 100 bis 150 Kilometer und eignen sich somit ausgezeichnet für solche Kurzstrecken und damit die Mehrzahl der täglichen Fahrten.
mm: Das alles spricht für Elektroautos. Warum sollten die Hersteller dann von dieser Technologie abrücken?
Matthies: Sie halten Plug-In-Hybride inzwischen für eine aussichtsreichere Variante. Diese Technik bedient eine noch größere Zielgruppe. Plug-In-Hybride fahren innerstädtisch und auf kurzen Strecken rein elektrisch und lassen sich an der Steckdose aufladen; auf Überland-Strecken nutzen sie Verbrennungsmotoren. In der Folge sind diese Modelle aber technisch deutlich komplexer als reine Elektroautos - sie vereinen schließlich zwei unterschiedliche Antriebe.
mm: Auch Plug-in-Hybride sind deutlich teurer als Modelle mit Benzin- oder Dieselantrieben.
Matthies: Es wird spannend zu sehen, ob und wie die Hersteller kooperieren. Wer Entwicklungs- und Produktionskosten erfolgreich teilt und die Modelle so frühzeitig wirtschaftlich attraktiv macht, hat gerade bei den neuen Antrieben einen beträchtlichen Startvorteil.
mm: Wie wird sich die Kalkulation für die Käufer künftig verändern?
Matthies: Das ist schwierig zu prognostizieren. Noch ist nicht klar, zu welchen Preisen zum Beispiel die deutschen Hersteller Plug-In-Hybride anbieten werden. Außerdem werden etliche unbekannte Faktoren mitentscheiden: Wie entwickelt sich der Benzinpreis, gibt es weitere Einfahrtsbeschränkungen in Metropolen, so wie heute bereits die Maut in London? Für die Kunden könnte sich der Kauf von Elektrofahrzeugen dann trotz höherer Preise sehr schnell rechnen.
mm: Bislang entwickelt sich das Umfeld genau entgegen gesetzt: Bei den Einfahrtsbeschränkungen bleibt London bislang Außenseiter, der Benzinpreis steigt langsamer als prognostiziert, die Verbrennungsmotoren werden immer sparsamer und mindern so den Anreiz, auf Elektro umzusteigen. Wird all das nicht dazu führen, dass die Nachfrage in den kommenden Jahren sehr begrenzt bleiben wird?
Matthies: Wie definieren Sie begrenzt? Wir gehen davon aus, dass der Anteil aller Arten von Elektrofahrzeugen im Jahr 2020 weltweit bei etwa 10 Prozent liegen wird.
mm: Inklusive der herkömmlichen, nicht steckdosen-tauglichen Hybride, wie sie Toyota zum Beispiel im Prius mehr als eine Million Mal verkauft hat?
Matthies: Nein, diese Technik kommt noch dazu. Die Prognose ist natürlich mit vielen Unsicherheiten behaftet. Die Nachfrage hängt schließlich sehr stark von den volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen und vom Verhalten der Politik ab. Aber eins ist sicher: Der Markt für Plug-In-Hybride wird gegen Ende des Jahrzehnts sprunghaft wachsen. Bain geht davon aus, dass diese Technik spätestens im Jahr 2018 genau so wirtschaftlich sein wird wie ein Verbrennungsmotor. Dabei berücksichtigen wir auch, dass Verbrennungsmotoren - bis zu einem gewissen Grad - noch effizienter werden.
"70 Prozent aller gefahrenen Kilometer könnten elektrisch zurückgelegt werden"
mm: Ein Massenmarkt wäre das trotzdem noch nicht...
Matthies: ...Was erwarten Sie? Dass von jetzt auf gleich nur noch Elektroautos gekauft werden? Weltweit werden 2020 wahrscheinlich rund 100 Millionen Autos pro Jahr abgesetzt. Da sind 10 Prozent schon eine erhebliche Größe.
mm: Andererseits sind herkömmliche Hybridantriebe nicht gerade das, was die Kunden unter Elektromobilität verstehen.
Matthies: Das mag sein. Aber Plug-In-Hybride sind letztlich eine Weiterentwicklung dieser Technik: Die Batterien sind leistungsfähiger, die Elektromotoren können die Autos ohne Unterstützung des Verbrennungsmotors 50 bis 60 Kilometer mit entsprechendem Tempo antreiben.
mm: Auch die Batterietechnik scheint sich nicht so schnell zu entwickeln wie von manchem erwartet. Die Reichweiten kommen nicht über 200 Kilometer hinaus, und auch die Kosten sinken nur langsam.
Matthies: Reine Elektrofahrzeuge benötigen keine größere Reichweite. Rund 70 Prozent aller heute in Deutschland gefahrenen Kilometer könnten elektrisch zurückgelegt werden. Das haben die Hersteller inzwischen erkannt. Es gibt vielleicht Ausnahmen wie das Model S von Tesla, das mit der größten Batterie bei optimalen Bedingungen sogar 500 Kilometer weit kommt. Aber die wichtigste Zielgruppe, also Pendler und Kurzstreckenfahrer, braucht solche Reichweiten nicht. Für diese Gruppe ist etwas ganz anderes wichtig: die Möglichkeit, die Batterien einfach und bequem wieder aufzuladen; sei es zu Hause, am Arbeitsplatz oder an Hotspots wie Flughäfen, Einkaufszentren oder öffentlichen Parkplätzen.
mm: Erstens stehen die erwähnten Ladestationen noch nicht einmal annähernd zur Verfügung. Zweitens sind die Batterien noch immer sehr teuer.
Matthies: Die notwendige Ladeinfrastruktur entsteht in vielen Metropolen gerade. Auch im Rahmen der sogenannten Schaufensterprojekte werden sehr innovative Lösungen erprobt, die deutlich günstiger sein werden als die heutigen Ladestationen. Außerdem macht die EU-Kommission mit entsprechenden Vorgaben Druck auf die Mitgliedsländer. Die Kosten für die Batterien wiederum hängen sehr stark von Angebot und Nachfrage ab. Wir haben im Moment ein gewisses Überangebot. Vor allem einige Hersteller, die wie Samsung SDI und LG Chem aus dem Bereich der Konsumelektronik kommen, haben zu große Kapazitäten aufgebaut. Das drückt auf die Preise. Unabhängig davon sollte es möglich sein, die Kosten pro Kilowattstunde bis zum Jahr 2020 auf 150 bis 170 Euro zu senken. Die Batterie für ein reines Elektrofahrzeug würde dann etwa 3000 bis 4000 Euro kosten.
mm: Billig wäre das immer noch nicht.
Matthies: Bedenken Sie, dass solche Autos keine teuren Verbrennungsmotoren und komplizierte Getriebe mehr benötigen. Damit sinkt der Kostennachteil gegenüber herkömmlichen Modellen auf 1500 bis 2000 Euro. Das holen die Kunden im täglichen Betrieb relativ schnell herein; und das selbst dann, wenn sie keine Subventionen erhalten. Diese Rechnung gilt ähnlich auch für Plug-In-Hybride.
China ist unberechenbar
mm: Die deutsche Industrie hat sich im Herbst 2010 gegenüber der Bundesregierung verpflichtet, bis 2020 eine Million Elektromobile auf die deutschen Straßen zu bringen. Wie viel ist angesichts des eher gemächlichen Fortschritts noch realistisch?
Matthies: Die Nationale Plattform Elektromobilität hat ihr Ziel im Mai 2012 in ihrem letzten Fortschrittsbericht selbst bereits auf 600.000 Autos korrigiert. Zumindest dieses Ziel sollte man noch nicht abschreiben. Aber es ist am Ende auch unerheblich, ob wir 2020 eine Million, zwei Millionen oder nur 500.000 Elektrofahrzeuge auf der Straße haben. Wichtig ist, dass in den nächsten ein oder zwei Jahren wirklich attraktive, nicht allzu teure Modelle auf den Markt kommen. Das würde der Elektromobilität auch in Deutschland den entsprechenden Schub geben.
mm: Der wichtigste Markt der Zukunft ist China. Ähnlich wie in Deutschland steigt der Absatz von Elektroautos dort allerdings bislang relativ langsam. Ein weiterer Grund, die Entwicklung der Modelle nicht ganz so schnell voran zu treiben?
Matthies: Nein. China ist unberechenbar. Nehmen Sie als ein Beispiel Peking. Die Stadt steht kurz vor dem Verkehrskollaps. Die Straßen sind ständig verstopft, die Einwohner leiden unter Smog. Ähnliches gilt auch für andere chinesische Metropolen. Führen solche Städte plötzlich Einfahrbeschränkungen für Verbrenner ein, und so etwas kann in China sehr schnell gehen, dann trifft das gerade die dort sehr erfolgreichen deutschen Hersteller empfindlich.
mm: Bislang fördert die Regierung in Peking die Elektromobilität, insbesondere natürlich die heimische, weniger stark als erwartet. Auch die Abgasregeln sind bislang nicht gerade besonders strikt.
Matthies: Die Regierung sucht noch nach der richtigen Balance. Sie fördert die heimischen Hersteller durchaus, aber sie musste feststellen, dass die lokale Batterietechnologie doch etwas länger braucht, um tauglich für den Massenmarkt zu werden. Aber das ist kein Grund zur Entwarnung: Wir rechnen damit, dass die chinesischen Hersteller die Autoindustrie spätestens im Jahr 2014 mit lokalen Batterien und Zellen beliefern können. Das wäre der erste wichtige Schritt. Gleichzeitig will die chinesische Regierung ihren Lokalpatriotismus nicht übertreiben. Die ausländischen Hersteller sind alle in Joint-Ventures mit chinesischen Konzernen engagiert, sie investieren massiv, bauen Werke in Regionen, die industriell noch nicht so weit entwickelt sind. Sie tragen also maßgeblich zur Entwicklung des Landes bei.
2013 und 2014 müssen die Autohersteller liefern
mm: Um ein Fazit zu ziehen: Wie bereitet sich ein Autohersteller optimal auf die automobile Antriebswelt der Zukunft vor?
Matthies: Kein Unternehmen kann es sich leisten, dieses Thema zu ignorieren. Die einen schreiten etwas schneller voran, andere halten sich noch zurück; aber alle großen Hersteller arbeiten an den neuen Technologien und der nächsten Generation der Elektromobilität, nämlich den Brennstoffzellenfahrzeugen. Allein schon, weil sie die immer schärferen Emissionsregeln ohne diese neuen Antriebe nicht erfüllen können. Was jetzt kommen muss, und deshalb sind die Jahre 2013 und 2014 auch so etwas wie die Schicksalsjahre der Elektromobilität, sind die Produkte. Sie müssen attraktiv sein, sie müssen genau so sicher und bequem sein wie ein herkömmlicher Benziner oder Diesel, und sie müssen vor allem entsprechend vermarktet werden.
mm: Und wie wollen Sie die Kunden überzeugen, dass es sich tatsächlich lohnt, ein paar 1000 Euro mehr auszugeben?
Matthies: Erstens: warum sollten sie teurer sein? Neue Technologie müssen Sie als Hersteller eigentlich immer subventionieren. Das gilt für BMW und das Spritsparkonzept Efficient Dynamics genauso wie für die Elektromobilität. Toyota hat den Prius über viele, viele Jahre aus dem Marketingbudget subventioniert. Erst jetzt sind die Japaner in der Lage, mit diesem Auto auch Gewinn zu erzielen.
mm: Und zweitens?
Matthies: Zweitens müssen die Hersteller die Kunden zu Probefahrten mit Elektrofahrzeugen animieren. Nach einer Testfahrt wissen sie, wie viel Spaß so ein Auto macht.
mm: Offenbar haben sich bislang zu wenige Kunden in ein Elektromobil gesetzt. Sonst wären die ersten Anbieter - gerade in Deutschland - nicht so erfolglos. Vielleicht hätten Anbieter wie Renault oder Opel doch besser noch ein oder zwei Jahre gewartet...
Matthies: Das mag sein. Insbesondere Renault ist bislang nicht dafür belohnt worden, dass sie die Pionierrolle übernommen und schon vier Elektromodelle auf den Markt gebracht haben. Aber wenn sie zu lange warten, können sie auch böse abgestraft werden. Toyota zum Beispiel arbeitet schon mehr als zehn Jahre an Elektroantrieben und Batteriekonzepten. Toyotas Hybrid-Vorsprung, in Sachen Kosten genauso wie in Sachen Qualität, ist für die Konkurrenz nur sehr schwer aufzuholen. Den perfekten Moment gibt es wahrscheinlich nicht.
mm: Sind die deutschen Hersteller bereits zu spät?
Matthies: Noch nicht. Sie haben weiter die Chance, rechtzeitig gute Produkte auf den Markt zu bringen, bevor die großen Nachfragesprünge kommen. Aber wie gesagt: In den Jahren 2013 und 2014 müssen sie liefern, und das haben sie ja auch angekündigt. Sonst wird der Rückstand tatsächlich zu groß. Ich bin daher sehr gespannt auf die Neuvorstellungen auf der IAA im kommenden September.