Autozulieferer Patriarch Stronach lässt Magna in der Krise allein

Frank Stronach: Der Magna-Gründer wechselt ins "Team Stronach für Österreich"
Foto: dapdVancouver - Er hat es in der Wirtschaft ganz nach oben geschafft: In einer Garage in Kanada startete Frank Stronach 1957 jenen Autozulieferer, der bis heute nur von Bosch und Denso überholt werden konnte. Der gelernte Werkzeugmacher aus Österreich wanderte 1954 mit 200 Dollar und einem One-Way-Ticket aus.
Heute beschäftigt die von ihm gegründete Magna International 115.000 Menschen, davon 12.000 in Deutschland. Die Zufahrtsstraße zur Zentrale im kanadischen Aurora heißt "Stronach Boulevard." Die Anwohner nennen den Firmensitz mit einer Mischung aus Respekt und Humor einfach nur das "Castle".
Jetzt verlässt der Herr das Schloss endgültig. Zurück bleibt ein Konzern mit gemischten Perspektiven: Überraschend stark, aber mit Gegenwind und ohne den Gründer an Bord. Der Autozulieferer blickt selbstbewusst, aber an langer Leine in eine schwierige Zukunft. Die Automärkte in Europa stecken mitten in einer neuen Absatzkrise. Der weltgrößte Absatzmarkt China zeigt Schwächen. In Nordamerika, wo Magna im dritten Quartal von einer 15 Prozent höheren Pkw-Produktion profitieren konnte, belasten öffentliche Sparmaßnahmen und ein Dämpfer beim privaten Konsum den Ausblick für die Autobranche.
Wie geht es weiter nach Stronach, der als Tellerwäscher in einem kanadischen Krankenhaus begann und dank seiner Mehrheit an Stimmrechten bis vor zwei Jahren absolutistisch bei Magna regierte?: "Frank hat über viele Jahre hinweg enorm zur Kultur und zum Aufbau von Magna beigetragen und hat unsere Beschäftigten motiviert, daran wird sich nichts ändern", verspricht Magna-CEO Don Walker.
Stronach wagte schon vor 24 Jahren einen Ausflug in die Politik
Stronach hatte seinen Abschied vom Unternehmen vor zwei Jahren eingeleitet, als er die operative Führung abgab. In einem umstrittenen Deal verzichtete er auf seine Vorzugsrechte und wurde mit Aktien- und Barvergütungen im Volumen von zusammen einer Milliarde Dollar belohnt.
Jetzt tritt der 80-Jährige mit seiner eigenen Partei bei der kommenden Nationalratswahl in Österreich an und will nicht, dass sich das politische Engagement mit einer Funktion bei Magna überkreuzt. Stronach hatte schon vor 24 Jahren einen Ausflug in die Politik gewagt. Als Kandidat der Liberalen musste er jedoch in seinem Wahlkreis in Ontario eine bittere Niederlage gegen den konservativen Kontrahenten einstecken.
Stronach konnte die Wähler im Ahornland nicht "Magnatizen", wie der gezielte Ausbau von Macht und Einfluss in Stronachs Konzern umschrieben wird. Dass der Autozulieferer auch ohne Stronach gut Kurs halten kann, scheint zumindest die Mehrzahl der Analysten zu erwarten. Bei der Deutsche Bank wurde vor ein paar Tagen das Kursziel für die Magna-Aktie (aktuell 44 Dollar) von 49 auf 52 Dollar angehoben. Bei der Scotia Bank in Toronto setzten die Analysten das Kursziel um zwei Dollar auf 58 herauf.
Das beste Quartal der Firmengeschichte
Die Investmentbank BMO Capital Markets hält an ihrer "Outperform"-Einstufung fest und hat ein Preisziel von 55 Dollar gesetzt. Peter Sklar bei der BMO begründet seine positive Einschätzung damit, dass "Magnas Geschäft in Europa und dem Rest der Welt operative Ergebnisse oberhalb unserer Prognosen erzielt."
Die Analysten bei Zacks dagegen "sind besorgt über den Import von Autoteilen aus Billigländern sowie steigende Materialpreise." Sie haben vor wenigen Tagen Magna von "outperform" auf neutral zurück genommen und ein Kursziel von 47 Dollar genannt. Aktuell notiert die Magna-Aktie - die in Nordamerika an der Nyse und in Toronto gehandelt wird - 9,5 Prozent unter ihrem 52-Wochenhoch. Es war im März bei 48,60 kanadischen Dollar markiert worden.
Die Ergebnisse im dritten Quartal waren für den Autolieferanten weit besser als vorhergesagt. Der Umsatz wurde um 6 Prozent auf 7,41 Milliarden Dollar gesteigert. Das operative Ergebnis stieg von 164 auf 500 Millionen Dollar. Damit wurde bereits Ende September deutlich, dass der bislang anvisierte Jahresgewinn von 1,2 Milliarden Dollar zu konservativ veranschlagt war. Nach Umsatz und Gewinn je Aktie war das September-Quartal das beste in der Firmengeschichte.
Magna profitierte im dritten Quartal vor allem vom Anziehen der Fertigung in Nordamerika. Doch in Westeuropa fiel die Produktion 7 Prozent. Die eigene Auftragsfertigung von Fahrzeugen bei Magna Steyr in Graz bekommt das zu spüren. Die Erlöse fielen dort im September-Quartal um 6 Prozent auf 620 Millionen Dollar. Die gefertigte Stückzahl fiel um 9 Prozent auf 29.000 Einheiten.
Magna von BMW, VW und Daimler abhängig
Dass Magna in dem schwieriger werdenden Umfeld die operative Gewinnmarge weiter um sechs Zehntelpunkte auf 4,7 Prozent steigern konnte, belegt jedoch, dass sich die Margen des Unternehmens in Europa verbessern und dass die Expansion in China und Brasilien Früchte trägt.
Doch Magna sieht sich zahlreichen Herausforderungen gegenüber. Wie Kanada selbst hat auch der Zulieferer vergleichsweise spät begonnen, in den großen Schwellenländern auf Expansion zu setzen. Doch der Absatzrückgang für die Autobranche in Europa ist die vielleicht größte Herausforderung. "Wir haben im dritten Quartal erste Schwächen bei den OEMs (Original Equipment Manufacturer, Erstausrüster) in Deutschland gesehen, und wir sehen einen Rückgang auch im vierten Quartal gegenüber dem Vorjahr", sagt CEO Walker.
Angekündigte Fabrikschließungen geben ihm Recht. Doch Magna blieb im dritten Quartal in Europa profitabel. Als Problem könnte sich erweisen, dass der größte Teil der Verkaufserlöse in Europa mit BMW, Volkswagen und Daimler erzielt wird. Über ein Drittel vom Konzernumsatz wird mit den drei deutschen Herstellern gemacht.
Magna-Finanzchef Vincent Galifi sieht in der Krise in Europa jedoch eine Chance: "Wir beginnen uns wieder mehr auf zusätzliches Geschäft zu konzentrieren", sagte er während des Conference Calls im Anschluss an die Präsentation der jüngsten Quartalszahlen. Mehr noch: Magna berichtete im dritten Quartal von zwei Akquisitionen. Eine davon ist die vor sechs Wochen bekannt gegebene Übernahme des Pumpenspezialisten Ixectic mit 400 Millionen Dollar Jahresumsatz. Sie ist in der Umsatzprognose für Europa noch nicht enthalten.
Risiken für Autokonjunktur gestiegen
Doch alles hängt davon ab, wie stark der europäische Markt leidet. Der Chef von Magna Europe, Günther Apfalter - der Sohn des 1987 verstorbenen Voest-Generaldirektors Heribert Apfalter - geht von 18 Prozent freien Kapazitäten in der Branche aus. "Ein Rückgang der Verkäufe bei einem oder mehreren unserer drei größten Kunden in Deutschland könnte deutlich negative Effekte auf Umsatz und Profitabilität haben", heißt es im Bericht für das September-Quartal.
Weil 47 Prozent des Konzernumsatzes mit General Motors (22 Prozent), Fiat Chrysler (13 Prozent) und Ford (12 Prozent) gemacht werden, könnte auch ein konjunktureller Rückschlag in den USA 2013 die nächsten Quartalsergebnisse belasten. Die wahrscheinlich zähen und schwierigen Verhandlungen über einen Sparkompromiss zur Umgehung des Haushaltskliffs in den USA - sie begannen am Freitag - werden daher bei Magna sehr genau beobachtet.
Ohne einen Sparkompromiss in Washington drohen ab 1. Januar Budgeteinsparungen und höhere Steuern in kombinierter Höhe von 607 Milliarden Dollar und dazu eine Rezession, wie das Congressional Budget Office vor wenigen Tagen warnte. Doch auch mit einem Sparpaket dürfte der private Konsum, der im Oktober im Monatsvergleich um 0,3 Prozent sank, zusätzlich leiden und die gute Autokonjunktur dämpfen.
Auftragsfertigung in Graz schwächelt
Magna kämpft zudem um sein Geschäft mit der Auftragsfertigung kleiner Pkw-Serien in Graz. Nissan hat sich Mitte Oktober entschieden, den Infiniti doch nicht in Österreich von den Kanadiern bauen zu lassen. Magna hatte den erhofften Auftrag von Nissan im Mai als "wichtigen Meilenstein für die weitere Diversifizierung des Kundenportfolios bei Magna Steyr" bezeichnet.
BMW erwägt den Abzug der Mini-Produktion, die im Auftrag bei Magna in Österreich stattfindet. Und der Mercedes G konnte nur mit großer Mühe gehalten werden. "Das ist ein Geschäft, das sich nur sehr schwer ausbauen lässt", erklärt der Autoanalyst David Tyerman bei der Investmentbank Canaccord Genuity in Vancouver. Magna prüft laut Apfalter derzeit Standorte in Osteuropa für die Auftragsfertigung von künftigen Pkw-Modellen.
Das langsamere Wachstum in China scheint dem Autolieferanten derweil keine größeren Probleme zu bereiten. Die Pkw-Produktion in der Volksrepublik lag bis im September zwar unter den Prognosen der Autoanalysten, doch Magna beobachtet im eigenen Geschäft laut Galifi "kräftiges Wachstum."
Eine der schwierigsten Bewährungsproben seit Gründung
Magna betreibt in der Volksrepublik inzwischen 33 Fabriken, holt also schnell auf. Auch CEO Walker ist mit Blick auf China optimistisch: "Wenn die Konjunktur dort abkühlt, wird das für uns nicht viel ändern, weil wir in China noch relativ klein sind. Wir haben dort eine Chance zu wachsen."
In dieser Äußerung schimmert der scheidende Firmengründer durch. Bescheidenheit war nie eine Stärke von Frank Stronach gewesen. Herausforderungen wurden mit sportlichem Eifer angenommen. So auch in den Jahren ab 1988, als Stronach nach Österreich zurückkehrte, 1,1 Milliarden Euro investierte, 16 Fabriken übernahm oder neu aufbaute und der Republik latente Problemfälle wie den Steyr-Konzern abnahm. Doch von diesem Glanz fiel in den vergangenen Jahres einiges wieder ab, auch im internationalen Geschäft.
Mit dem Versuch bei Chrysler einzusteigen scheiterte Stronach. Beim Kauf von Opel blitzte er ebenfalls ab. Auch die Übernahme der Voestalpine gelang nicht. Und während Stronach seine neue Partei, das "Team Stronach für Österreich" in den Wahlkampf für die Nationalsratswahl 2013 führt, muss das Unternehmen, das der Milliardär aufbaute, durch eine der schwierigsten Bewährungsproben seit der Gründung.