Zitterpartie Opels Endspiel um Bochum

Bochumer Opel-Werk: Autoexperte Dudenhöffer hält Schließung für unausweichlich
Foto: dapdHamburg - Pfiffe, Buhrufe - und ein Betriebsratsvorsitzender, der das Vertrauen der Mitarbeiter in die Opel-Führung "bei Null" verortet. Für Opel-Chef Karl-Friedrich Stracke muss der Auftritt auf der jüngsten Betriebsversammlung in Bochum alles andere als angenehm gewesen sein.
Die Verunsicherung der Opelaner ist jedoch nachvollziehbar. Seit Monaten warten sie auf eine klare Ansage, wie sich die Opel-Mutter General Motors (GM) die Zukunft ihrer defizitären Tochter vorstellt. Doch seit Monaten bleibt ihnen die GM-Führung eine klare Antwort schuldig - und rückt mit ihren Plänen nur scheibchenweise heraus.
Dass die GM-Führung kräftige Einschnitte plant, ist spätestens seit Mitte Januar klar. Da steckten GM-Insider dem Wall Street Journal, dass GM die Schließung von Werken in Europa erwäge - und brachten zwei Standorte ins Spiel: die britische Vauxhall-Fabrik in Ellesmere Port und das Opel-Werk in Bochum.
Seither fürchten die Bochumer Opelaner, dass ihrem Werk nach 2014 - bis dahin gelten noch Bestandsverträge - das Aus droht. Und die Furcht wird derzeit von Tag zu Tag stärker, denn in den vergangenen Tagen haben sich die Zukunftsaussichten für ihr Werk nochmals deutlich eingetrübt. Denn Opel bestätigte, dass die neue Generation des Opel-Modells Astra künftig in Ellesmere Port und im polnischen Gliwice und nicht mehr wie bisher im Stammwerk Rüsselsheim gebaut werden soll. Das stärkt den britischen Standort - und verringert die Chancen für die Beschäftigten des Werks in Bochum.
Zu geringe Auslastung, sinkende Verkaufszahlen
Strackes Worte bei der Betriebsversammlung dürften die Bochumer Opelaner weiter verunsichern. "Es gibt keine Entscheidung zu Opel nach 2014", sagte er und vertröstete die Belegschaft erneut. Am 28. Juni soll der Opel-Aufsichtsrat nun über die Zukunft der europäischen Werke entscheiden. Bis dahin will das Opel-Management einen neuen Sanierungsplan fertig stellen und weitere Einsparungen mit den Arbeitnehmern aushandeln.
Nur in einem Punkt fand Stracke klare Worte. In den vergangenen Tagen wurden Spekulationen laut, dass die Produktion des Kompakt-Vans Zafira von Bochum nach Rüsselsheim wandern soll. Das würde das Schicksal des Werks im Ruhrgebiet endgültig besiegeln. Stracke bestritt ein solches Vorhaben. "Ich habe Rüsselsheim nicht den Zafira aus Bochum angeboten", sagte er.
Doch diese Aussage Strackes zeigt, dass die europäischen GM-Standorte hinter den Kulissen erbittert um den Bau künftiger Modellreihen ringen. GM kämpft auf dem Kontinent mit Überkapazitäten: Internen Zahlen zufolge könnten die sieben GM-Werke in Europa zwischen 400.000 und 500.000 Fahrzeuge mehr produzieren, als GM derzeit in Europa absetzen kann. Die Auslastung der meisten GM-Werke liegt derzeit zwischen 55 und 65 Prozent - und ist damit weit von jenen 75 Prozent entfernt, ab der moderne Autofabriken gewinnbringend arbeiten. Dabei ist bei diesen Zahlen unklar, ob sie sich auf einen Zweischicht- oder Dreischichtbetrieb beziehen.
Zudem weisen Opels Verkaufszahlen seit Anfang dieses Jahres steil nach unten - auch im Vergleich zum US-Konkurrenten Ford, der in Europa ebenfalls mit Überkapazitäten kämpft. Im ersten Jahresdrittel verkaufte Opel EU-weit um 17 Prozent weniger Fahrzeuge als im Vorjahreszeitraum. Ford setzte von Januar bis April EU-weit aber nur um 7,1 Prozent weniger Fahrzeuge ab als im Vorjahr. In Deutschland fand Opel im ersten Jahresdrittel um 9,2 Prozent weniger Käufer als im Vorjahreszeitraum, bei Ford lag das Minus bei 2,3 Prozent. Opels Marktanteil in Deutschland lag im April bei nur 6,9 Prozent.
"Opel muss mindestens ein Werk schließen"
Kein Wunder, dass Stracke angesichts solcher Zahlen die Opel-Produktion auf Vordermann bringen will - wie er in seinem vor einer Woche vorgestellten Zehn-Punkte-Plan erklärte. Künftig soll jedes einzelne Opel-Werk einen Dreischichtenbetrieb erreichen, heißt es in einer Presseaussendung zu den zehn Eckpfeilern des neuen Unternehmensplans.
Solche Maßnahmen halten Experten für richtig. Doch das Ziel legt auch einen anderen, unangenehmen Schluss nahe. "Wenn alle Werke im Dreischichtbetrieb arbeiten sollen, muss man mindestens ein Werk schließen. Das liegt auf der Hand", meint der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer gegenüber manager magazin online.
Welches Werk das treffen dürfte, ist relativ leicht auszurechnen. Das Stammwerk in Rüsselsheim ist aus historischen Gründen geschützt, zudem wurde es erst vor einem Jahrzehnt komplett neu aufgesetzt.Das Opel-Werk in Eisenach, in dem der Corsa und bald auch der Kleinwagen Adam vom Band läuft, ist ebenfalls noch relativ jung. In den GM-Werken in Kaiserslautern und im österreichischen Aspang werden ausschließlich Getriebe hergestellt - eine Schließung der Werke hätte also keinen Effekt auf die Überkapazitäten.
Die Fabrik in Saragossa ist mit einer Kapazität von 450.000 Fahrzeugen das größte europäische GM-Werk. Zudem ist das spanische Arbeitsrecht rigide, was die Schließung des Werks deutlich verteuern würde. Das Werk im polnischen Gliwice wurde erst 1998 eröffnet, zudem sind die Arbeitskosten vergleichsweise gering. Damit arbeitet das Werk billiger als die deutschen Standorte. Als Streichkandidat galt bis vor kurzem hingegen das Vauxhall-Werk in Ellesmere Port. Es ist seit 1962 in Betrieb und zählt damit zu den ältesten im europäischen GM-Verbund. Doch mit dem Zuschlag für die neue Astra-Generation steht das Werk wohl kaum auf der Liste der GM-Sparkommissare.
Negative Schlagzeilen drücken Opel-Absatz
Damit bleibt eigentlich nur mehr Bochum übrig - ein Werk, das vor 50 Jahren eröffnet wurde. Ein älteres Werk könne von den Logistik-Abläufen, vom Aufbau und von den Zulieferungen niemals so effizient sein wie ein neueres Werk auf der grünen Wiese, sagt Dudenhöffer. Deshalb hält er die Schließung von Bochum für unausweichlich. "Ich verstehe nicht, warum GM die Entscheidung so lange vor sich herträgt. Damit wird sie nicht besser", kritisiert er.
Die negativen Schlagzeilen wirken sich längst auch auf die Verkaufszahlen aus, zeigt Dudenhöffer in einer Analyse. GM habe mögliche Werksschließungen in Europa selbst auf die Agenda gesetzt - doch bisher kein tragfähiges Konzept präsentiert. "Die schießen sich selbst ins Knie und warten fünf Monate, bis sie zum Doktor gehen", drückt es Dudenhöffer im Gespräch mit manager magazin online aus.
Jetzt müsse GM so schnell als möglich die unvermeidbare Schließung von Bochum verkünden und dann endlich mit den neuen Modellen durchstarten, meint er. Opel habe mit dem Elektroauto Ampera ein Produkt, das der Konkurrenz technisch weit voraus sei. Mit dem Insignia habe Opel eine neue, gefällige Designsprache gefunden, die sich jetzt auch im Astra fortsetze. Opel werde sich wieder berappeln, wenn auch auf niedrigerem Niveau, sagt Dudenhöffer. Doch das größte Problem des Unternehmens sei nicht der schwächelnde europäische Markt - sondern die chaotische Kommunikationspolitik.
Die kritisieren auch die Bochumer Opelaner seit Monaten. Der Bochumer Betriebsratschef Rainer Einenkel forderte: "Wir wollen wissen, was 2015 passiert". Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD), die sich im Wahlkampf beim Thema Opel auffällig zurückhielt, eilte solidarisch in die Ruhrstadt. Sie drängte ebenfalls auf ein Ende der Spekulationen - und forderet, dass das "endlich das Totenglöckchen vergraben wird". Zudem will sich die Landesregierung an die Seite der Opelaner stellen.
Doch all die Solidaritätsbekundungen dürften die GM-Führung im fernen Detroit kaum umstimmen - die Schließung von Bochum scheint längst beschlossene Sache. Einenkel drängt etwa seit Monaten darauf, in Bochum auch Modelle der GM-Einsteigermarke Chevrolet zu fertigen. Strackes Zehn-Punkte-Plan greift diesen Vorschlag auch auf. Opel sei in Gesprächen, um zu klären, ob man durch den Bau von Chevrolet-Modellen die Kapazitätsauslastung in Europa verbessern könne, heißt es langatmig in dem Plan. Ein echtes Bekenntnis klingt anders.