Detroit Motor Show Der harte Kampf gegen die Auto-Kilos

Leichtbau mit viel Aluminium: Die Rohkarosserie der Mercedes-SL-Neuauflage
Hamburg - Auf der ersten Automesse des Jahres wirbt Daimler mit einem Diätversprechen, das die Blicke der Besucher auf sich ziehen wird: Auf der North American International Auto Show in Detroit stellen die Stuttgarter die Neuauflage ihrer Sportwagen-Ikone SL vor.
Die Abkürzung SL steht seit den 1950er-Jahren für Sportlich-Leicht - doch zweiteres ist bei Mercedes in den letzten Jahren in den Hintergrund getreten. Immer schwerer wurden die Straßensportler der Stuttgarter, zuletzt lag das Leergewicht des SL 500 bei satten 1,9 Tonnen. Doch die Techniker haben die Neuauflage des SL 500, die ab Frühjahr 2012 verkauft wird, um 125 auf nunmehr 1785 Kilogramm abgespeckt. Der kleinere Bruder SL 350 ist sogar um 140 Kilogramm leichter als sein Vorgänger.
Ein großer Teil des Gewichtsverlusts ist auf das Chassis zurückzuführen, das Mercedes vollständig aus Aluminium gefertigt hat. Auch einzelne Karbonteile senken das Gewicht des Sportwagens. Doch mit seinen Diät-Drang ist Mercedes beileibe nicht alleine. Auch Porsche weist bei seinem neuen 911er gerne darauf hin, dass das Fahrzeug um 40 Kilo leichter ist als sein Vorgänger. BMW hat den neuen 3er um 40 Kilogramm abgespeckt.
Audi streicht in letzter Zeit seine jahrzehntelange Erfahrung mit dem Leichtmetall Aluminium besonders deutlich heraus - und will mit seinem 2013 startenden A2 "spürbar leichter" sein als die Wettbewerber. Opel hat im vergangenen Jahr eine in Südkorea entwickelte Kleinwagenplattform der General-Motors-Schwester Daewoo abgelehnt, weil sie um 100 Kilogramm zu schwer war.
EU-Vorgaben zwingen Deutsche zum Leichtbau
Unter den US-Autoherstellern entdeckt vorerst nur General Motors die Tugenden der Leichtigkeit wieder. Die GM-Marke Cadillac bewirbt die in Detroit vorgestellte Limousine ATS als besonders leicht. Ford und Chrysler stellen das Thema Leichtbau in Detroit nicht in den Vordergrund. Damit überlassen sie den deutschen Autoherstellern die Führungsrolle in diesem Bereich. Die Abspeckkur kommt den Fahrleistungen und dem Kraftstoffverbrauch zugute - doch freiwillig machen das die Autohersteller nicht. Weltweit sitzen ihnen Regierungen im Nacken, die Vorschriften für Abgaswerte drastisch verschärfen. In der EU soll die gesamte Neuwagenflotte eines Herstellers ab 2015 durchschnittlich nur mehr 130 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen.
Von diesem Wert sind Premiumautohersteller noch deutlich als zehn Gramm entfernt, wobei Mercedes in den letzten Jahren hier stark aufgeholt hat. Ab 2020 soll der Wert dann auf 95 Gramm CO2 pro Kilometer sinken. Dafür stellen die Hersteller bereits heute die Weichen.
Auch die USA und Japan verschärfen ihre Gesetzgebung für die Normverbräuche - und drohen den Herstellern mit millionenteuren Strafzahlungen. In der EU könnten das etwa bis zu 4000 Euro pro Fahrzeug werden. Solch kostspielige Pönale wollen sich Daimler, BMW und Co. auf jeden Fall sparen.
Deshalb ist Konstruktion leichterer Fahrzeuge für die Autohersteller das Gebot der Stunde. Je 100 Kilo Gewichtsersparnis sinkt der Verbrauch je nach Fahrzeugklasse zwischen 0,3 und 0,6 Litern, den CO2-Verbrauch reduziert das um rund 7 Gramm pro Kilometer.
Sicherheitstechnologien sorgen für Gewichtszunahme
Doch wie im realen Leben auch ist radikales Abspecken für Autohersteller alles andere als einfach: Zum einen steigen die gesetzlichen Vorgaben, etwa für den Insassen- oder Fußgängerschutz, was sich meist auch in höherem Gewicht niederschlägt. Zum anderen haben Neuwagen mehr Assistenzsysteme und Sicherheitseinrichtungen serienmäßig an Bord, um sich von den Wettbewerbern zu unterscheiden. Spritspartechnologien wie Start-Stopp-Systeme und zusätzliche Turbolader treiben das Gewicht um gut 50 Kilo in die Höhe.
"Vieles, was die Autohersteller im Bereich Motoreneffizienz aufgebaut haben, wurde durch das steigende Fahrzeuggewicht wieder aufgefressen", sagt Leichtbauexperte Jan Maser vom Beratungshaus PricewaterhouseCoopers. In den letzen Jahren achten die Autobauer jedoch verstärkt auf das Gewicht, meint Maser. Die Technologien, um Fahrzeuge deutlich leichter zu machen, stehen längst bereit. Doch die Frage ist, ob die Kunden das bezahlen wollen.
Vier Zehntel des Fahrzeuggewichts entfallen auf Karosserie und Außenhaut, weitere 40 Prozent auf die Antriebskomponenten und den Motor. Experten sehen hier deshalb das größte Einsparpotenzial. Beim neuen Porsche 911 speckten die Konstrukteure die Karosserie um 80 Kilogramm ab. Möglich wurde das durch eine Hybridkarosserie, die Stahl- und Aluminiumbauteile kombiniert. Der Motor wurde um 10 Kilogramm leichter, Türen aus Aluminium senkten das Gewicht um 14 Kilogramm.
Doch die großzügige Verwendung von Aluminium wird auch in den nächsten Jahren teuren Oberklassefahrzeugen vorbehalten bleiben. Zwar sind Alubauteile um rund 40 Prozent leichter als herkömmliche Stahlbauteile. Doch die Rohstoffkosten pro Bauteil liegen um 30 Prozent höher, dazu kommen die Kosten für die Werkzeuge an den Robotern und die teuren Maschinen für die Aluminiumbearbeitung.
Feste Stähle für den Massenmarkt
Zwar setzt Mercedes im neuen SL großzügig auf das Leichtmetall: So bestehen etwa das Chassis, die Türen und die Motorhaube vollständig aus Aluminium. Doch die Alu-Liebe scheint sich nur bei Nischenfahrzeugen wie dem SL oder Oberklasseautos zu rechnen. Alu-Pionier Audi fertigt zwar die Karosserie seines Spitzenmodells A8 weiterhin aus Vollaluminium. Doch bei dem Volumensmodell A6 setzt Audi nun auf einen "intelligenten Materialmix", wie es der Konzern selbst bezeichnet. Der "Multimaterial Space Frame" des A6 integriert nun einen hohen Anteil an Aluminiumteilen in eine Stahlkarosserie, heißt es in einem Artikel des Audi-Technologiemagazins "Dialoge".
Die Hoffnungen der Branche für die Gewichtsdiät im Massenmarkt liegen auf sogenannten hochfesten Stählen. Diese sind dreimal fester als herkömmlicher Stahl, allerdings nicht so steif. Insgesamt, meinen Werkstoffexperten, lassen sich mit hochfesten Stählen Gewichtseinsparungen von bis zu 50 Prozent im Vergleich zu herkömmlichem Stahl erzielen. Auch Plastik in Verbund mit Metall wird in Klein- und Kompaktautos künftig häufiger zu finden sein.
Wie wichtig die neuen Stähle künftig im Automobilbau werden dürften, zeigt eine neue Studie der Unternehmensberatung McKinsey. Bis 2030 wird der Marktanteil von hochfesten Stählen in der Automobilindustrie von 15 auf 40 Prozent steigen, prognostizieren die Experten. In diesem Zeitraum müssen die Automobilhersteller den Anteil von Leichtbauteilen in Fahrzeugen von heute 30 auf 70 Prozent mehr als verdoppeln, heißt es in der Studie. Nur so können die Autohersteller die Gewichtszunahme der Fahrzeuge durch Elektroantriebe und Spritspartechnik kompensieren.
Karbon bleibt der Oberklasse vorbehalten
"In jedem unserer Lastenhefte steht, dass die Neuauflage eines Fahrzeugs weniger Kraftstoff verbrauchen muss als sein Vorgänger", sagt Harthmuth Hoffmann, Technologiesprecher der Marke Volkswagen. Zwar sind bei VWs Bestseller Golf die Fahrzeuggewichte in den letzten Generationen deutlich gestiegen - doch laut Hoffmann ist etwa der Verbrauch eines Golf des Baujahrs 2010 um 24 Prozent niedriger als eines Golf Baujahr 1996.
Leichtbau ist für die Wolfsburger längst ein Thema - und auch sie setzen auf "intelligenten Mischbau". Der aktuelle Golf habe einen Stahlanteil von 65 Prozent, Kunststoffe machten 17 Prozent aus, Leichtmetalle 6 Prozent. "Bei hochfesten Stählen sehen wir Potenziale, das noch stärker in die Fahrzeuge einzubringen", sagt Hoffmann. Der Aluminium-Anteil dürfte künftig leicht ansteigen.
Doch einer der Wunderwerkstoffe im Automobilbau ist für die Marke Volkswagen offiziell nicht interessant: Karbonfasern, von denen sich einige Autohersteller drastische Gewichtseinsparungen im Fahrzeugbau erhoffen. "Wir sehen das nicht als Großserienthema für Autos in den nächsten 10-15 Jahren", winkt Hoffmann ab.
Karbonfaserverstärkte Kunststoffe wiegen zwar im Vergleich zu Stahl nur die Hälfte, sind derzeit aber sechs bis zehn Mal teurer als vergleichbare Stahlbauteile. Zudem ist die Großserienfertigung schwierig: Karbonfasern werden in Harzen gebunden, übereinandergeschichtet und müssen dann gebacken werden. In für die Autoindustrie entscheidenden fünf- oder sechsstelligen Stückzahlen ist die Fertigung noch für alle Beteiligten Neuland.
BMWs riskante Rolle als Karbon-Pionier
Der Autohersteller BMW geht dieses Wagnis ein. Die Fahrgastzelle von BMWs Elektroauto i3, das 2013 auf den Markt kommen soll, wird vollständig aus Karbonfaser bestehen. Um die Herstellungsprobleme in den Griff zu bekommen, hat BMW Anteile am Unternehmen SGL Carbon erworben. Gemeinsam mit der BMW-Großaktionärin Susanne Klatten hält der Autohersteller insgesamt 45 Prozent an dem Karbonspezialisten, der vor 20 Jahren noch zu dem Chemieriesen Hoechst gehörte. VW ist ebenfalls an SGL beteiligt - mit 9,9 Prozent.
In der Branche trauen viele den Bayern zu, die bisherigen Fertigungsprobleme in den Griff zu bekommen. Gerade für ein Elektroauto, dessen Batterien und Antriebsstrang gut 250 Kilogramm wiegen, macht eine leichte Fahrgastzelle aus Karbon viel Sinn. BMW betont, dass der i3 dank Karbon das Mehrgewicht des Elektroantriebs vollständig kompensieren konnte. Doch Wettbewerber weisen genüsslich darauf hin, dass BMWs ursprüngliches Gewichtsziel für den i3 unter einer Tonne lag. Nun wiegt der i3 offiziell 1250 Kilogramm. Für ein Fahrzeug seiner Größe ist das noch immer vergleichsweise leicht, doch ein Federgewicht ist der i3 nicht mehr.
Branchenbeobachter meinen dennoch, dass BMW trotz vieler ungelöster Fragen vom Wagnis Karbon profitieren wird. Denn mit seiner i3-Konstruktion bauen sich die Bayern Leichtbau-Knowhow auf, dass sie wohl auch in anderen, teuren Baureihen nützen werden. Auch die deutschen Konkurrenten interessieren sich sehr für den Werkstoff - wenn auch etwas zurückhaltender. Daimler ist ein Jointventure mit dem japanischen Karbonhersteller Thoray eingegangen und baut in Esslingen ein Werk für die Serienproduktion von Karbonteilen auf. Allerdings setzt Daimler wie auch andere auf einen Mix von verschiedenen Materialien.
Auch bei Volkswagen ist das Thema Karbon präsent: Die Luxussportwagentochter Lamborghini setzt in großem Stil auf das Wundermaterial, auch im Bugatti Veyron gehören Karbonteile längst zum Standard. Zudem überlegt Volkswagen offenbar eine Karbon-Kooperation mit dem Emirat Katar, das 17 Prozent an Volkswagen hält. Seit gut einem Jahr laufen Gespräche über ein gemeinsames Forschungsinstitut für Karbonfasern, das in dem Emirat angesiedelt sein soll. Doch entsprechende Verträge sind laut Aussagen von VW "noch nicht in trockenen Tüchern". Volkswagens Premiummarke Audi arbeitet mit dem Maschinenbauer Voith zusammen, um die Fertigungsprozesse für Karbon auf Großserien-Niveau zu hieven.
Die sich abzeichnende stärkere Verwendung von Karbonteilen wirft aber neue Fragen auf. So ist noch nicht klar, wie Karbon-Fahrgastzellen nach einem Unfall repariert werden können. Denn Karbon verbiegt sich nicht, es splittert. Zudem ist noch unklar, wie Laien Karbonteile auf drohende Materialermüdung überprüfen können. "Bei Stahl weiß jeder, dass er auf Roststellen achten muss", sagt ein Branchenkenner. Bei Karbonfasern gibt es solche äußeren Anzeichen einfach nicht.