
Car2Go Wie die Generation iPhone doch noch Auto fährt
Hamburg - "Und warum ist das jetzt in Hamburg so viel teurer als in Ulm?" Die erste Frage aus dem Publikum dreht sich gleich um die konkrete Nutzung, als diverse Daimler-Vorstände und Vertreter des Senats am Montag das Projekt Car2Go für Hamburg vorstellen. Im Frühjahr 2011 soll es losgehen - wozu der Service mit dem stylischen Namen gut sein könnte und ob man unbedingt noch mehr Carsharing braucht in Hamburg, diese Fragen stellen sich die meisten Gäste der Präsentation nicht.
Das ist ein bemerkenswerter Erfolg für Daimler. Erst 2008 hat sich der Autobauer auf sein neues Geschäftsfeld gewagt: Als Pilotprojekt startete Car2Go in Ulm, im folgenden Jahr in der texanischen Hauptstadt Austin. Das besondere dabei: Es gibt keine Abholstationen. Die Autos - ausschließlich Zweisitzer der Marke Smart - können spontan gemietet werden, von ihrem Parkplatz weg. Und ebenso spontan stellt man sie wieder ab. Im Internet oder per iPhone-App kann man schnell herausfinden, wo der nächste Wagen steht. Das ist praktisch und unverkrampft - wenn genügend Autos da sind. In der Hamburger Innenstadt sollen es 300 sein.
Auf eingefleischte Automannen wirkte das Projekt bei seiner Einführung ein wenig verspielt. Mancher im Konzern sah darin eine dieser Spinnereien, die halt die junge Abteilung Business Innovation bei Daimler so ausheckt. Doch seither gilt Car2Go als Erfolgsgeschichte. In Ulm habe man 20.000 registrierte Kunden, berichtet Thomas Weber, Forschungsvorstand bei Daimler, und auch Austin entwickele sich prächtig.
Junge Leute ohne emotionale Bindung ans Auto
Tatsächlich beschäftigt sich Daimler nicht als einziger Konzern mit neuen Mobilitätskonzepten. Die Bahn bietet seit Jahren Carsharing vor allem an Großstadtbahnhöfen an und hat seit 2009 dazu mit Flinkster auch eine adrette Marke geschaffen. Die folgt dem gleich Ansatz wie das Daimler-Projekt: Die Autos, in diesem Fall kleine Alfa Romeos, sind gleichmäßig über die Innenstädte von Köln und Stuttgart verteilt. Der Sixti Car Club erlaubt den Zugang zu Mietwagen kurzfristig per Chipkarte. Und Peugeot testet derzeit einen Service namens Mu, der einfach die Vertragshändler als Basisstationen nutzt.
"Für Hersteller wie Daimler ist es wichtig, neue Formen der Mobilität für sich zu nutzen", sagt Autoökonom Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen. Der Markt in vielen Industriestaaten ändere sich derzeit grundlegend. Der Klimaschutz zwingt dazu, nicht mehr jeden Kilometer mit dem Auto zurückzulegen. Gut ausgebaute Nahverkehrssysteme in den Ballungsgebieten machen genau das immer leichter. Dagegen machen überfüllte Städte und volle Parkplätze Autofahren immer mehr zu Nervensache.
Zudem verschieben sich die Vorlieben der Kunden. Eine Befragung von Dudenhöffers Institut kommt zu dem Schluss, dass vor allem junge Leute oft keine besondere emotionale Bindung mehr an das Auto haben, so wie das noch vor wenigen Jahren war. Laut einer Studie des Instituts Progenium schätzen nur noch 17 Prozent der Bundesbürger ihr Auto als Statussymbol ein. Diese Rolle haben eher elektronische Geräte übernommen: "Für Menschen unter 30 hat ein iPhone einen viel höheren Coolness-Faktor als ein Auto", glaubt Dudenhöffer.
Doch nicht nur in den Industriestaaten wandelt sich das Verhältnis zum Auto. In den Schwellenländern ist eine teure Limousine zwar noch immer ein beliebtes Symbol für den eigenen sozialen Aufstieg. Aber Megacitys wie Peking, Shanghai oder Neu-Delhi drohen unter einer Blechlawine zu versinken, weil ihre Straßen nie für diese Massen von Autos gebaut wurden. Auch hier versprechen Konzepte Abhilfe, bei denen sich viele Nutzer ein Auto teilen. In vielen gegenden der Welt reift so die Einsicht: Man muss kein Auto besitzen, um mobil zu sein.
Um 30 Prozent höhere Preise
Lange hatte die deutscheAutoiIndustrie darauf keine Antwort. Was soll sie verkaufen, wenn nicht Autos? Mit Kleinstwagen, die man für 29 Cent pro Minute oder maximal 14,90 Euro pro Stunde mitnehmen kann, soll bei Car2Go "in ein paar Jahren" auch Geld verdient werden. Wieviel Geld in wie vielen Jahren - das verraten die Beteiligten nicht.
Immerhin liegt der Mietpreis für Hamburg tatsächlich rund ein Drittel höher als in Ulm. Da ist es ein schwacher Trost, dass Car2Go-Geschäftsführer Robert Henrich ankündigt, auch im Süden demnächst die Preise zu erhöhen. Allerdings sei in Hamburg ein besonderer Service in den Kosten enthalten: Alle öffentlichen Parkplätze sind für die weiß-blauen Smart kostenlos zu benutzen. Der Kunde kann Parkuhren einfach ignorieren, während der Betreiber mit Hilfe eines Ortungssystems die Parkgebühren direkt bei der Kommune begleicht. Andere Kosten als die Stundenpreise gibt es ohnehin nicht. Eine Parkkarte liegt jedem Wagen bei.
Ein weiterer Unterschied zur Ulmer Urversion des Dienstes: In Hamburg ist Daimler eine Partnerschaft mit dem Autovermieter Europcar eingegangen, der in der Hansestadt seinen Deutschlandsitz hat. Die Autovermietung steuert vor allem Kenntnisse im Flottenmanagement bei, etwa bei der Wartung der Autos. Hinter vorgehaltener Hand heißt es bei Daimler, dass die Unterstützung von Europcar nicht zwingend notwendig wäre, das Ulmer Projekt habe man ja auch alleine hochgezogen. Allerdings sei dank der Erfahrung und Ortskenntnis des Platzhirschen vieles schneller gegangen.
Friedliche Koexistenz mit Vermietern und klassischem Carsharing
Beim Werben um Kundschaft gehen sich Car2Go und Europcar gezielt aus dem Weg. Bislang gab es in Ulm auch einen Maximaltarif pro Tag von 49 Euro. In Hamburg wird der erst gar nicht angekündigt. Wer ein Auto 24 Stunden lang behält, muss so über 350 Euro berappen und wendet sich dann doch lieber an den Autovermieter, der Car2Go-Kunden Sonderkonditionen einräumen will. Inzwischen, bestätigt eine Sprecherin, gibt es den Tagestarif auch in Ulm nicht mehr. Die Vermieter müssen sich keine Sorgen machen.
Etablierte Carsharing-Angebote geben sich betont gelassen. "Wir werden keine Kunden verlieren", sagt Birger Holm, Geschäftsführer der Hamburger Niederlassung von Greenwheels. Schon einmal sei so eine Konkurrenzsituation entstanden, als Shell 2005 mit Carsharing auf den Markt drängte. Die größere Aufmerksamkeit für das Thema habe letztlich beiden Marken Kundenzuwächse beschert. Außerdem biete Greenwheels das flexiblere Fahrzeugangebot, zu dem auch Kombis und Kleintransporter zählen.
Tatsächlich dürften sich die Zielgruppen von Car2Go und Greenwheels kaum decken. Seit Ende März 2009 wurden in Ulm 350.000 Fahrten mit insgesamt 4 Millionen Kilometern absolviert. Das sind im durchschnitt knapp 11,5 Kilometer pro Fahrt. Die Strecken im klassischen Carsharing liegen deutlich darüber
Jugendpflege für die Konzernmutter
Daimler will sich mit dem Angebot nicht nur in einem neuen Markt etablieren. "Der nächste logische Schritt ist die Einführung von Elektro-Smarts bei Car2Go", sagt Thomas Weber gegenüber manager magazin. Bereits beim Start im Frühjahr werde man erste elektrisch betriebene Modelle auf die Straße schicken.
Dafür fehlt bislang allerdings die Infrastruktur: Damit kein Kunde mit leerer Batterie liegenbleibt, müsste es überall in der Stadt öffentlich zugängliche Steckdosen geben. Konkrete Pläne dazu wurden aber am Montag nicht vermeldet. Als Weber auf dem Podium die Infrastruktur anspricht, nickt der neue Bürgermeister, Christoph Ahlhaus, demonstrativ, enthält sich aber eines Kommentars.
Für Daimler wäre die Elektrovariante doppelt attraktiv. Einerseits würde sie das Ökoprofil des Konzerns schärfen, der vor allem für große und durstige Limousinen bekannt ist. Zum anderen würde sie die Skaleneffekte befördern, die nötig sind, um die teure Batterietechnik auch im Autohandel verkäuflich zu machen: Je mehr Stromspeicher produziert werden, desto billiger.
Wieviel Car2Go also in ein paar Jahren auf Daimler-Konten einzahlt, ist noch unsicher. Offenbar rechnen die Stuttgarter mit Gewinnen aus dem Service. Die Elektrostrategie ist zwar unsicher, aber einen Versuch wert. Und daneben erhofft sich Daimler, wieder einen Draht zur jungen Kundschaft zu bekommen. Bei der kommt Daimler praktisch gar nicht mehr vor - während 60 Prozent der Car2Go-Kunden in Ulm zwischen 18 und 35 Jahre jung sind.
Allerdings hat Daimler keine Alternative: "Momentan verkaufen die großen Hersteller etwa 10 Prozent ihrer Autos an Vermieter und Car-Sharing-Anbieter", sagt Autoexperte Dudenhöffer. Ändern sich die Mobilitätsvorstellungen der Kunden, könnte der Wert in den nächsten 30 Jahren weltweit auf 25 Prozent steigen. Die Autohersteller müssen ihre Claims in dem Geschäft abstecken. Dudenhöffer: "Sonst kommt ihnen 2040 eine Rolle zu wie heute ihren eigenen Zulieferern - sie lenken ihre Geschicke nicht mehr selbst."