Börsengang der Kunststoffsparte Warum sich Bayer von seinen Wurzeln trennt

Werke der Bayer AG in Leverkusen: Der wertvollste Dax-Konzern sortiert sich neu
Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpaJetzt also doch. Bayer trennt sich von einem Teil seiner Wurzeln, will das Kunststoffgeschäft verkaufen und sich auf Pharma, Saatgut und Pflanzenschutz konzentrieren. Analysten und Fondsmanager drängten schon lange auf die Abspaltung - genauso lange hat sich das Unternehmen dagegen gewehrt. Also warum gerade jetzt?
Die Antwort ist ziemlich schlicht und folgt der kühlen Logik der Kapitalmärkte: Das klassische Chemiegeschäft hat seinen Zweck erfüllt, der Konzern braucht es nicht mehr. Anfang des Jahrtausends, in der Phase, nachdem mit dem Lipobay-Skandal die Pharma-Sparte den Konzern in eine existenzielle Krise gestürzt hatte, sorgten die Chemieanlagen dafür, dass es weiterging. Material Science war die Sparte mit den höchsten Margen und dem höchsten Gewinnbeitrag. Damit ist es nun schon seit einer Weile vorbei. In den vergangenen Jahren wurden noch nicht einmal die Kapitalkosten verdient. Das von Konjunkturschwankungen und Überkapazitäten geprägte Geschäft drückt die Gesamtrendite. Und die Erfolge der Pharmasparte und in der Agrarchemie haben das Kunststoffgeschäft zu einer Marginalie für den Konzern schrumpfen lassen.
Der Zeitpunkt der Trennung ist günstig. Selten stand der Konzern so gut da wie jetzt, selten waren die Perspektiven so vielversprechend wie derzeit. Die Leverkusener sind mit knapp 90 Milliarden Euro der wertvollste Konzern im Dax, Bayer hat Traditionsadressen wie Siemens und Volkswagen hinter sich gelassen. Die neuen Kernsparten sind gut aufgestellt und versprechen in den kommenden Jahren starkes Wachstum. Widerspruch aus der Politik oder Massenproteste der Belegschaft sind wegen der Abspaltung der Kunststoffchemie nicht zu erwarten.
Strategisch ist der Schritt sinnvoll. Material Science hat ein völlig anderes Geschäftsmodell: Statt auf Forschung und Innovation kommt es hier vor allem auf Produktionseffizienz an. Und noch etwas dürfte eine Rolle gespielt haben: Die Kunststoffe haben ihre Funktion als Giftpille gegen eine feindliche Übernahme des Gesamtkonzerns verloren.
Ein schneller Angriff samt anschließender Zerschlagung wäre auch für die Giganten wie den US-Konzern Pfizer nicht ohne weiteres zu machen gewesen. Inzwischen aber ist der Renditeabstand zwischen Material Science und dem Life-Sciencegeschäft so groß geworden, dass die klassische Chemie die Börsenbewertung von Bayer insgesamt nach unten drückt. Material Science ist heute eher eine Sicherheitslücke denn ein wirksamer Übernahmeschutz.
Den Schutzwall bilden jetzt Agrarchemie und Life Science
Trotz des Erfolges der Pharmaforscher, die es in den vergangenen Jahren geschafft haben, fünf neue Medikamente mit einem Umsatzpotential von 5,5 Milliarden Euro auf den Markt zu bringen, ist der Kern des wachstums- und margenstarken Geschäfts mit verschreibungspflichtigen Medikamenten bei Bayer aber noch immer zu klein, um es gegen Attacken von außen abzusichern.
Den Schutzwall, den die klassische und kapitalintensive Chemie einst um die Pharmasparte zog, müssen heute die Agrarchemie sowie das Geschäft mit der Tiergesundheit und nicht verschreibungspflichtigen Medikamenten bilden. Unter anderem deshalb hat Bayer-Chef Marijn Dekkers im Frühjahr dem US-Konzern Merck seine frei vermarktbaren Medikamente für 10,4 Milliarden Euro abgekauft.
Spätestens seit diesem Deal fühlt sich Bayer endgültig stark genug, um den längst überfälligen Schnitt mit der Plastiksparte zu machen. Hinzu kommt, dass der Zeitpunkt einfach günstig ist: Die Überkapazitäten auf dem Kunststoffmarkt sind weitgehend verschwunden, die Margen dürften auf Sicht der nächsten ein bis zwei Jahre anziehen. Zehn Milliarden Euro, wie sie einst der Staatsfonds von Abu Dhabi bot, wird Bayer zwar nicht mehr bekommen. Aber mehr als die sechs Milliarden, die der Konkurrent Evonik im Winter zu zahlen bereits war, sollten schon drin sein.
Geld, das dem Konzern vor allem eines verschafft: Bewegungsfreiheit für weitere Zukäufe im Life Science-Bereich.