Volkswagens Jahresbilanz - Müllers Masterplan Vom Abgas-Sünder zum Saubermann

VW-Chef Matthias Müller: Den Abgasskandal bewältigen - und noch viel mehr
Foto: RONNY HARTMANN/ AFP
Volkswagen: Dirty Diesel - die Chronik der Ereignisse im VW-Abgasskandal
Mit Entschuldigungen geizte Matthias Müller diesmal nicht. Es tue ihm aufrichtig leid, dass Volkswagen Regeln gebrochen habe, erklärte der VW-Chef während der Pressekonferenz zur VW-Jahresbilanz. Die Überschreitung ethischer Grenzen schmerze den Konzern, fügte er hinzu. Solche Sätze trug Müller im anthrazitfarbenen Anzug, weißem Hemd und grauer Krawatte vor: Der noch vor wenigen Monaten eher locker auftretende VW-Chef ist ernster, nachdenklicher geworden.
Doch Entschuldigungen reichen bei VW längst nicht mehr aus. Ein grundsätzlicher Wandel in der Unternehmenskultur und ein neuer Kurs müssen her, wenn VW die Zeit nach dem Abgasskandal überstehen will. Und Müller nutzte die Pressekonferenz geschickt, um sich von seinem Vorgänger Martin Winterkorn abzusetzen. Dass die Rekordjagd der vergangenen Jahre "unterbrochen" sei, bekümmere ihn nicht im Geringsten, sagte Müller.
Beim Volkswagen-Konzern geht es nun nicht mehr darum, der Klassenbeste zu sein, so Müller. Sondern darum, Vertrauen zurückzugewinnen - von Kunden und von Investoren. Nach der grundsätzlichen Einigung mit den US-Behörden sind die Kosten zwar immens, aber immerhin einigermaßen kalkulierbar - bereits jetzt wagen sich einige Investoren zurück. Der Konzern zahlt sogar eine kleine Dividende, die Vorstände halten trotzig und mit erstaunlichem Selbstbewusstsein an ihren Boni-Forderungen fest - doch von der Normalität ist VW noch immer weit entfernt.
Für eine neue Normalität und ein Ende des Krisenmodus kann Müller nur sorgen, wenn er Ernst macht mit dem Wandel der Unternehmenskultur: Statt mit einem kleinen Kreis Eingeweihter über Modelldetails zu entscheiden, will der VW-Chef anders als sein Vorgänger viel Verantwortung abgeben.
Verantwortung teilen, Macht abgeben, Vertrauen gewinnen
Dezentraler soll der Konzern werden: Baureihenverantwortliche sollen künftig eigenständiger entscheiden können, Entscheidungen schneller fallen. Streckenweise klang es beinahe wie ein Management-Seminar, was Müller da in Wolfsburg vortrug.

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Von einem Paradigmenwechsel, einem Kraftakt sprach Müller an einer Stelle. Selbst wenn ihm nur ein Teil seiner Änderungen gelingt, wird das Europas größten Autohersteller grundlegend verändern. Wolfsburg war bisher das Herz des Konzerns mit 600.000 Mitarbeitern, über 100 Fabriken weltweit und einem Output von 10 Millionen Fahrzeugen pro Jahr. Die Autostadt wird Macht abgeben müssen - nicht sofort, aber sukzessive.
Die nächsten Jahre werden hart - für die gesamte Autobranche
Das alles ist noch nicht das neue Volkswagen, von dem Müller einst gesprochen hat. Doch es ist immerhin ein neuer Weg für den Autoriesen. Es war während seiner Rede spürbar: Müller will den Konzern sturmfest machen für die kommenden Jahre, die für die gesamte Automobilbranche ziemlich hart werden.
VW muss den Abgasskandal bewältigen - und hat, ebenso wie die gesamte Branche, noch viele Aufgaben mehr. Der große Wachstumsmarkt China wird nicht mehr so schnell wachsen wie bisher. Aus den USA drängen branchenfremde, höchst finanzstarke Konzerne ins Geschäft mit der individuellen Mobilität, und das hohe Tempo der Digitalisierung setzt den traditionellen Autoherstellern zu.
Den Masterplan, seine Strategie bis zum Jahr 2025, stellt der VW-Chef zwar erst im Juni vor. Doch die ersten Eckpfeiler dafür hat er heute in Wolfsburg eingerammt: Nach langer Zurückhaltung will der VW-Konzern nun auch im Geschäft mit neuen Mobilitätsdienstleistungen mitmischen.
Elektro-Offensive: Vom Abgas-Sünder zum Saubermann
Künftig soll der Volkswagen-Konzern VW viel stärker für saubere Elektromobilität stehen: Mehr als 20 neue Elektroauto- und Plugin-Hybridmodelle wollen die Wolfsburger bis 2020 auf vier Räder stellen. Und seinen Kunden will VW künftig ein digitales Kundenerlebnis bieten.
Natürlich sind all das noch vergleichsweise schwammige Ankündigungen. Denn an Details über tatsächliche Kosten, konkrete Stromer-Modelle oder neue Mobilitätsdienste sparte der VW-Chef. Wer mit VW-Mitarbeitern spricht, merkt zudem, dass die Verunsicherung über den neuen Kurs durchaus vorhanden ist. Noch berichtet kaum einer mit Begeisterung über ein neues Arbeiten, über aufregende neue Fahrzeugkonzepte - oder legt gar eine amerikanische "Machen wir einfach mal"-Mentalität an den Tag.
Solche Kursänderungen brauchen bei einem Unternehmensriesen wie Volkswagen Zeit. Und man nimmt Müller immerhin ab, dass er es ernst meint mit dem Wandel bei VW, dass er auf mehr Tempo bei Veränderungen drängt. Jetzt muss der 62-jährige Topmanager zeigen, dass er als Motor des Wandels bei VW taugt - und dass er seine 600.000 Mitarbeiter tatsächlich auf diesen neuen Weg einschwören und sie für eine neue Art des Arbeitens und Denkens begeistern kann.
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