Acht Verhandlungstricks Die griechische Verhandlungs-Tragödie - wie Athen seine Partner über den Tisch zog

Varoufakis in Brüssel: Die europäischen Geldgeber ließen sich auf Verhandlungen ein und bald hatte jeder vergessen, dass Griechenland Vereinbarungen schlicht verletzt hatte.
Foto: DPADer Marathon ist eine griechische Erfindung. So verwundert es nicht, dass die Griechen auch im derzeitigen Verhandlungsmarathon rund um die eigene Finanzkrise eine bemerkenswerte Ausdauer zeigen. Verhandlungsrunde folgt auf Verhandlungsrunde. Die Öffentlichkeit erfährt dabei von Verhandlungsverlauf und Verhandlungsinhalt wenig. Doch nach den Verhandlungen erläutern die Verhandlungsführer beider Seiten jeweils wortreich im Fernsehen, warum die eigene Position absolut richtig und die gegnerische Position unbedingt falsch ist.
Diese Diskussion wird dann in unzähligen Talk-Shows und journalistischen Debatten fortgesetzt. So entsteht der Eindruck, als ginge es in den Verhandlungen tatsächlich darum, die jeweilige Gegenseite in einem diskursiven Prozess mit den besseren inhaltlichen Argumenten zu überzeugen. Das ist falsch.
Wer so denkt, verkennt, dass Verhandlungen nicht (nur) aus inhaltlichen Gründen zum Erfolg führen oder scheitern. Entscheidend ist das verhandlungstaktische Vorgehen der Parteien, das von der Verhandlungsforschung seit langem analysiert wird.
Anhand der griechische Verhandlungstragödie lassen sich die folgenden acht Erkenntnisse der Verhandlungsforschung illustrieren:
1. Alles ist Verhandelbar - Reden kostet nicht viel

Professor Dr. Jörg Risse, LL.M. (Berkeley) ist Partner bei Baker & McKenzie; er lehrt außerdem Verhandlungsführung an der Universität Mannheim.
Menschen verhandeln, wenn sie hoffen, im Verhandlungswege ein vorgegebenes Ziel leichter und mit geringeren Kosten zu erreichen als auf alternative Weise. Es werden schlicht die Transaktionskosten von Weg A (etwa: Verhandlungen) mit den Transaktionskosten von Weg B (etwa: gerichtliche Durchsetzung einer Forderung) verglichen.
Deshalb ist es keine Voraussetzungen von Verhandlungen, dass von einer legalen oder auch nur legitimen Ausgangsposition gestartet wird. Und weil die Transaktionskosten von Verhandlungen regelmäßig gering sind - Reden kostet nicht viel -, lohnt der Versuch einer Verhandlung fast immer für beide Seiten.
Dieses Prinzip haben die Griechen konsequent beherzigt. Ihr Ausgangspunkt schien denkbar schlecht, hatten sie sich doch unter der Vorgängerregierung zur Durchführung eines harten Sanierungsprogramms mit klar definierten Maßnahmen verpflichtet. Nicht nur der Jurist pocht hier zunächst auf ein "Pacta sunt servanda". Aber wie hoch wären die Transaktionskosten für die Geldgeber gewesen, diese Vertragspflichten von Griechenland zwangsweise durchzusetzen?
Neues Vertragsverständnis: Verträge regeln nicht die Zukunft
Die Griechen haben das erkannt und deshalb ein Vertragsverständnis offenbart, dass man sonst verstärkt bei asiatischen Geschäftspartnern antrifft: Verträge regeln die Parteibeziehung nicht für die Zukunft, sondern beschreiben nur den Status Quo. Ändert sich der Status Quo - etwa durch Wahl einer neuer Regierung - lässt sich der Vertrag nachverhandeln oder gar eine ganz neue Einigung anstreben.
Die eigene Vertragsuntreue ist dann rasch vergessen, man kommt mittelfristig auch aus der moralischen Schmuddelecke heraus.
So ist das auch hier passiert: Die europäischen Geldgeber ließen sich auf Verhandlungen ein und bald hatte jeder vergessen, dass Griechenland Vereinbarungen schlicht verletzt hatte. Griechenland hatte es geschafft, die getroffenen Vereinbarungen zur Bewältigung der Schuldenkrise zu ignorieren und in neue Verhandlungen einzusteigen.
2. Das Ziel von Verhandlungen: Einigung durch Erzeugen von Zufriedenheit
Wenn wir verhandeln, haben wir ein klar definiertes Ziel: Die Einigung mit der Gegenseite. Am Ende wollen wir vom Verhandlungspartner ein "Ja, einverstanden!" hören. Menschen sagen "Ja", wenn sie zufrieden sind. Es geht deshalb in Verhandlungen nicht darum, was "richtig" oder "vernünftig" ist, wie immer man das objektiv auch definieren will.
Es geht allein darum, was den Verhandlungspartner am Ende so zufrieden macht, dass er das Zauberwort "Ja, einverstanden" sagt.
Deshalb zielt jede professionell geführte Verhandlung darauf ab, die Gegenseite zufrieden zu machen. Zufriedenheit speist sich dabei aus zwei Quellen: Der Zufriedenheit mit dem Verhandlungsergebnis ("Ergebniszufriedenheit") und Zufriedenheit mit dem Verhandlungsverlauf ("Verfahrenszufriedenheit"). Etwas profaner ausgedrückt: Uns ist in Verhandlungen wichtig, was wir am Ende bekommen und wie wir es bekommen. Wer eine Einigung mit der Gegenseite sucht, muss sich darauf konzentrieren, aus diesen beiden Quellen heraus eine Gesamtzufriedenheit zu erzeugen, die für eine Einigung genügt.

Wer der Berichterstattung rund um Verhandlungen mit Griechenland folgt, hat nicht das Gefühl, dass die Verhandlungsführer dieses Grundprinzip der Verhandlungen verstanden haben.
So wurden Termine wiederholt nicht eingehalten, Treffen nicht vorbereitet - all das macht den Gesprächspartner unglücklich und senkt die Chancen auf eine Einigung. Völlig unnötig wurde Unzufriedenheit erzeugt durch abfällige und (von griechischer Seite) bisweilen auch beleidigende Äußerungen über die andere Seite. Das mag politisch erklärbar sein, doch den Verhandlungen schadete das sehr.
3. Argumente werden überschätzt
3. Argumente werden überschätzt
Menschen sehen sich gerne als rationale Wesen, die durch das Austauschen von Argumenten um die richtige Lösung ringen. In Verhandlungen nützen Argumente indes wenig, oft schaden sie sogar. Woran liegt das? In Verhandlungen sind wir auf den Konsens, das "Ja", der Gegenseite angewiesen. Niemand kann die Gegenseite dazu zwingen, unsere Argumente zu akzeptieren und sich überzeugen zu lassen.
Ein einfaches "Aber trotzdem..." überwindet in Verhandlungen jedes noch so valide Argument. Wer mit den besseren Argumenten gewinnen will, braucht einen neutralen Dritten, der sich die Argumente anhört und dann darüber urteilt, wer die überzeugenderen Argumente hat. Im Gerichtsaal entscheiden Argumente, im Verhandlungssaal nicht.
Im Verhandlungssaal schaden Argumente häufig, weil sie bei der Gegenseite Unzufriedenheit erzeugen und so das abgestrebte "Ja" als Ergebnis von Zufriedenheit verhindern. Wer hört schon gerne, dass er den Vertrag vorsätzlich verletzt hat oder dass eine Forderung verjährt ist? Die Verfahrenszufriedenheit des Adressaten sinkt. Solche Argumente sind daher negative Zufriedenheitstreiber, die man in Verhandlungen besser unterlässt. Argumente helfen in Verhandlungen dann, wenn sie sich positiv auf die Zufriedenheit der Gegenseite auswirken.
Wer in Verhandlungen der Gegenseite erklären kann, dass die zu verhandelnde Zahlung steuerlich abzugsfähig ist oder der Kaufgegenstand mit einer fünfjährigen Garantie daherkommt, macht seinen Gegenüber ein Stück glücklicher und erhöht so die Chance auf eine Einigung. Solche Argumente sind positive Zufriedenheitstreiber; auf sie konzentriert sich der gute Verhandler.
In der Griechenlandkrise verwendeten die Verhandler häufig negative Zufriedenheitstreiber: "Griechenland hat über Kredite statt über Leistung Einkommen generiert und deshalb über die eigenen Verhältnisse gelebt", "Griechenland wird nur durch scharfe Einschnitte wieder auf den Wachstumspfad zurückfinden" oder "Die Geberländer haben die Schuldenkrise jahrelang toleriert, weil die Exporte nach Griechenland den heimischen Unternehmen nutzten" - all das mögen inhaltlich zutreffenden Argumente sein, doch helfen sie kaum, die Zufriedenheit der Verhandlungsparteien zu steigern. Ohne diese Zufriedenheit wird es am Ende aber kein "Ja" zu einer Einigung geben.
4. Relatives Denken in Verhandlungen
Wer erfolgreich verhandeln will, muss die Zufriedenheit der Gegenseite so steuern, dass die Gesamtzufriedenheit am Ende für ein "Ja, einverstanden" reicht. Die Gesamtzufriedenheit setzt sich zusammen aus der Ergebniszufriedenheit und der Verfahrenszufriedenheit. Der kompetente Verhandler konzentriert sich auf die Steigerung der Zufriedenheit mit Verhandlungsverlauf, weil ihn dies keine Konzessionen beim Ergebnis kostet. Um die Verfahrenszufriedenheit der Gegenseite zu steigern, gibt viele Techniken, von denen eine herausragt: Zufriedenheit ist kein absolutes Gefühl, sondern wird gebildet im Vergleich zu einem Bezugspunkt.
Wir denken und bilden Empfindungen relativ, also in "im Vergleich zu"-Denkmustern. Wir beurteilen den Verhandlungserfolg deshalb subjektiv nicht danach, was wir am Ende objektiv erhalten, sondern wie weit wir uns mit dem Verhandlungsergebnis von der Ausgangsforderung der Gegenseite wegbewegt haben.
Subjektives Erfolgskriterium ist also, wie umfangreich die herausverhandelten Konzessionen durch die Gegenseite sind. Wer kompetitiv verhandelt, wird am Anfang der Verhandlung daher eine maximal-plausible Position einnehmen, um die Gegenseite zu ankern. Maximal-plausibel ist dabei die Position, die immerhin so gut begründet ist, dass die Gegenseite die Verhandlungen nicht sofort abbricht. Der kompetitive Verhandler bleibt bei dieser Position eine Weile, damit sie sich beim Verhandlungspartner wirklich "einbrennt" und so zum dauerhaften Referenzpunkt wird, wenn es später das erzielbare Verhandlungsergebnis zu beurteilen gilt.
Am Ende soll also bei der Gegenseite die Empfindung stehen: "Im Vergleich zum Anfang der Verhandlungen sind wir doch sehr weit gekommen und haben durch unser Verhandlungsgeschick erhebliche Konzessionen erhalten." Wer so denkt, ist zufrieden - und erkennt nicht, dass die Zufriedenheit aus einem Vergleich zu einer manipulativ-überzogenen Ausgangsforderung herrührt, nicht aus einem inhaltlich guten Ergebnis.
Ein Regierungswechsel ändert nichts an vertraglichen Verpflichtungen
Die griechischen Verhandlungsführer haben geschickt nach dieser kompetitiven Strategie verhandelt. Sie kündigten die Auflagen der getroffenen Kreditvereinbarung sofort nach ihrem Wahlsieg auf und blieben beharrlich bei ihren Standpunkt, es müsse einen Schuldenerlass geben und dem griechischen Volk stünden weitere Hilfen zu. Als plausible Begründung diente vor allem die demokratische Wahlentscheidung des griechischen Volkers für die neue Regierung und damit auch für den Kurswechsel in den Verhandlungen. Sachlich richtig war diese Begründung sicher nicht, denn eine ausgewechselte Regierung ändert nichts an vertraglichen Verpflichtungen.
Richtig muss die Begründung aber auch nicht sein, sondern nur so gut, dass sich die Gegenseite auf Verhandlungen einlässt. Die Kreditgeber haben auf dieses Manöver verhandlungstaktisch falsch reagiert, indem sie nicht die Begründung angriffen, sondern sich sogleich konstruktiv auf diese Verhandlungen unter neuen Vorzeichen einließen.
Wenn man das schon tut, wäre es taktisch angezeigt gewesen, selbst eine maximal-plausible Position einzunehmen, etwa mit der Aussage: "Wenn ihr die vertraglich vereinbarten Auflagen leugnet, werden wir unsere Vertragspflicht, nämlich die Auszahlung der Kredite, einstweilen aussetzen."
Das tat man indes nicht, sondern äußerte nur halbherzig die Forderung, die getroffenen Vereinbarungen müssen eingehalten werden. Durch diese Versäumnisse wurde das Verhandlungsfeld günstiger für die griechische Seite, denn die absehbare Einigung lag nun auf eine Linie zwischen den alten, bindenden Kreditverträgen und den Vorstellungen der griechischen Seite - also für Griechenland in jedem Fall vorteilhaft gegenüber den alten Kreditverträgen. Es verwunderte daher nicht, dass schon bald die Rede von "Kompromissen" war. Inhaltlich war jeder Kompromiss nicht anderes als ein Zugeständnis, dass die bindende Kreditvereinbarung zugunsten der griechischen Seite modifziert werden konnte.
Die Kreditgeber wären am Ende aber mit einem "Kompromiss" zufrieden gewesen, weil man doch der griechischen Seite erhebliche Zugeständnisse abgerungen hatte, also vordergründig die Verhandlungen gewonnen, jedenfalls aber nicht verloren hätte. Das war klassisches und an dieser Stelle auch erfolgreiches kompetitives Verhandeln.
5. Begriffshoheit gewinnen - wer hat schon was gegen einen "Marshall-Plan"
Verhandlungsgegenstände sich häufig komplex und überfordern in dieser Komplexität die Verhandlungsführer. Deshalb vereinfachen viele den Verhandlungsgegenstand gerne, indem sie auf schlagwortartige Zusammenfassungen ausweichen. Dabei kann ein inhaltlich zweifelhaftes Argument durch die richtige Begriffswahl an Überzeugungs- und Durchsetzungskraft gewinnen. Gleichzeitig erzeugen Begriffe Emotionen, die sich positiv wie negativ auf die angestrebte Zufriedenheit der Parteien auswirken können. Und schließlich bestimmen Schlagworte auch die öffentliche Diskussion in den Medien, so dass sich dort durch zielgerichtete Begriffswahl Unterstützung für die eigene Verhandlungsposition mobilisieren lässt.
Beispiele für diese Verhandlungstechnik tauchen auch bei den Griechenland-Verhandlungen vielfach auf: So ging es von Anfang an um die "Suche nach einem Kompromiss", was suggeriert, dass beide Seiten von legitimen Ausgangsforderungen aus starteten, obwohl Griechenland sich schlicht nicht an getroffene Vereinbarung hielt. Dass die Milliarden vor allem zur "Bankenrettung" und nicht für das griechische Volk verwendet wurden, fokussiert auf ein allseits beliebtes Feindbild und verdeckt, dass die bösen Banken mit den Krediten überhöhte Löhne und Renten der Griechen finanziert hatten.
Und wer wollte als Deutscher die Forderung kritisieren, dass Griechenland einen "Marshall-Plan" braucht, eine viel bessere Formulierung als die Forderung nach schlicht mehr Geld.
6. Die Griechen und das BATNA: Die Alternative zur Einigung
6. Konzentration auf das BATNA
Das Harvard-Verhandlungskonzept fordert vom Verhandler, sein BATNA zu kennen und aktiv zu verbessern. BATNA steht als Akronym dabei für "Best Alternative to a Negotiated Agreement", also die Alternative zur Einigung. Dahinter steckt die Erkenntnis, dass Macht in Verhandlungen nicht derjenige hat, der über die stärkere rechtliche Position, die besseren Argumente oder mehr Geld verfügt.
Macht ist in Verhandlungen definiert als die Möglichkeit, das Risiko eines Scheiterns der Verhandlungen einzugehen. Eingehen kann dieses Risiko, wer die bessere Nichteinigungsalternative hat.
Deshalb lohnt es sich in Verhandlungen immer, statt einer subjektiv festgesetzten "Schmerzgrenze" genau zu wissen, was objektiv die eigene Alternative zu einer Einigung ist. Und wer die eigene Machtposition verbessern will, muss in die Nichteinigungsalternative investieren, auch wenn dies teuer ist. Ein Beispiel: Wer mit seinem Chef über ein höheres Gehalt verhandeln will, sollte sich über alternative Stellenangebote informieren und im Idealfall ein anderes Angebot in der Tasche haben, wenn er das Büro des Chefs betritt.
Immer neue Konzessionen der Geldgeber
Die Information über den Arbeitsmarkt und das Kümmern um einen neuen Job kostet Mühen, Zeit und Geld - eben Transaktionskosten - und das ist ärgerlich, weil man die Einigungsalternative ja gar nicht ziehen will und im Falle einer Einigung auch gar nicht braucht. Aber die Verbesserung des eigenen BATNA ist eine Investition, die man zur Optimierung von Verhandlungen tätigen muss.
In der Griechenlandkrise haben die Kreditgeber das BATNA lange völlig vernachlässigt, indem sie ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion kategorisch ausschlossen. Politisch mag die Leugnung einer Einigungsalternative vernünftig gewesen sein, etwa zur Beruhigung der Kapitalmärkte. Verhandlungstaktisch klug war das sicher nicht, insbesondere weil auch hinter den Kulissen offenbar keine Vorbereitungen für einen GREXIT getroffen wurden.
Wer aber keine Einigungsalternative hat, ist dazu verdammt, mit immer neuen Konzessionen einen Einigung anzustreben. Wer der Gegenseite keine Einigungsalternative kommuniziert und glaubhaft ankündigt, agiert machtlos und ermutigt dazu, weitere Konzessionen zu verlangen. So gelangt es der griechischen Delegation dann auch, die Verhandlungen über Monate hinzuziehen und immer neue Konzessionen zu erhalten.
7. Differenzierung zwischen Verhandlungspartei und Verhandlungsproblem
Zufriedenheit entsteht nicht nur in Bezug auf Sachthemen, sondern wird auch durch persönliches Verhalten beeinflusst. Deshalb fordert das Harvard-Verhandlungskonzept, strikt zwischen Verhandlungsgegenstand und der Verhandlungspartei zu trennen. Denn der nüchterne Blick auf den Verhandlungsgegenstand wird getrübt, wenn man ein zu gutes Verhältnis zur Gegenseite hat (Stichwort: Keine Verhandlung unter Freunden) oder auch ein zu schlechtes Verhältnis hat (Stichwort: Keine Verhandlung unter Feinden).
In den Griechenland-Verhandlungen ist diese Differenzierung zwischen Person und Problem völlig missglückt. Geradezu slapstickhaft lassen sich hier verschiedene Konstellationen aufspüren, die jedem Verhandlungsprofi bekannt sein sollten: Da ist der griechische Finanzminister Varoufakis, der mit unangepasster Kleidung und rüden Äußerungen bewusst negative Emotionen auf sich zieht.
Es reicht nicht, wenn Tsipras nur gut aussieht
Da verhandelt man doch lieber mit dem gut aussehenden Ministerpräsidenten Tsipras, der über den alles überstrahlenden HALO-Effekt (Halo = Heiligenschein, engl.) seines Aussehens eine Kompetenz attestiert bekommt, die er nicht mehr nachweisen muss. Dass hier eine "Bad Cop - Good Cop" - Routine inszeniert wurde, drängt sich auf. Gleichwohl war zu beobachten, wie sehr so die Verhandlungen zwischen Personen in den Mittelpunkt rückten statt der Verhandlung um Themen. Die vermeintlichen Verhandlungsführer der Europäischen Union, Jean-Claude Junker, Jeroen Dijsselbloem und Martin Schultz, begrüßten Tsipras immer wieder freudestrahlend, nahmen ihn in den Arm und betonen die bestehende Freundschaft und die anstehende Verhandlung unter Freunden.
So aufgesetzt, überschatten persönlichen Beziehungen der Verhandlungsparteien schnell die Konzentration auf die sachgerechte Lösung des Verhandlungsproblems. Das ist nie gut. Eine zu freundschaftliche Atmosphäre führt dazu, dass man der Person und nicht der Sache wegen Zugeständnisse macht.
Umgekehrt kann die zunächst freundschaftliche Atmosphäre auch zum Scheitern der Verhandlungen führen, wenn ein Verhandler von seinem Gesprächspartner auf der anderen Seite persönlich "enttäuscht" wird, also sich mehr auf die Parteibeziehung konzentriert als auf den Verhandlungsgegenstand.
Der einzige, der hier durchgängig professionelle Distanz zeigt, war der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble.
8. Der Faktor Zeit - nach dem Spiel ist vor dem Spiel
8. Der Faktor "Zeit"
Zeit spielt eine enorme Rolle in Verhandlungen. Einmal begreifen wir Verhandlungszeit als Investition, für die wir mit einer Einigung belohnt werden wollen. Je länger verhandelt wird, desto größer ist grundsätzlich die Einigungsbereitschaft, weil wir die bereits investierte Zeit nicht als Fehlinvestition abschreiben wollen. Ökonomisch ist dieser Gedanke falsch - es handelt sich bei der investierten Zeit um versunkene Kosten - aber psychologisch prägt es unser Denken und Handeln. Zum anderen führt ein bestehendes Zeitlimit der Verhandlungen dazu, dass kurz vor Erreichen dieses Limits noch einmal maximale Anstrengungen unternommen werden, um doch zu einer Einigung zu kommen - denn sonst ist ja die ganze bisher investierte Zeit verloren und die Verhandlungen scheitern.
Auch diese Zeitkomponente tauchte in den Verhandlungen immer wieder auf. Die griechische Seite war offenbar wild entschlossen, die Verhandlungen bis zur letzten Minute hinzuziehen - mit dem angenehmen Begleiteffekt, dass über die Notfallkredite der EZB immer mehr Liquidität an Griechenland bereit gestellt wurde. In der Presse wurde kolportiert, dass die Geldgeberseite auf das herannahende Zeitlimit tatsächlich mit immer neuen Konzessionen in Bezug auf Rentenkürzungen und Mehrwertsteuererhöhungen reagierte, nur um doch noch "irgendwie" zu einer Einigung zu kommen.
Die Zeit arbeitete so vorhersehbar für Griechenland. Warum hat die griechische Seite dann das letzte, mehrmals nachgebesserte Angebot nicht akzeptiert? Ihr BATNA, die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands, war doch klar schlechter als der angebotene Kompromiss mit der Möglichkeit weiterer Nachverhandlungen in den nächsten Monaten. Haben sich die Griechen schlicht verzockt, weil sie auf weitere Konzessionen hofften oder auf eine Einigung um Fünf nach Zwölf? Oder setzte sich hier tatsächlich eine sozialistische Ideologie gegenüber jeder nüchternen Verhandlungsvernunft durch? Die Verhandlungsanalyse kann das nicht mehr beantworten, hier werden einst die Historiker das Wort haben.
Der griechische Verhandlungsmarathon ist einstweilen zu Ende. Aber nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Es wird neue Verhandlungsrunden geben, sei es um einen GREXIT oder um Hilfsprogramme für die griechische Bevölkerung. Es bleibt zu hoffen, dass die Verhandlungsparteien dann professioneller agieren.
Jörg Risse, LL.M. (Berkeley) ist Partner bei Baker & McKenzie; er lehrt außerdem Verhandlungsführung an der Universität Mannheim.
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