Unschöne neue Arbeitswelt (3) Bürodesign: Warum moderne Großraumbüros der Horror sind

Office Design ist aus organisationswissenschaftlicher Sicht eher verheerend als modern
Foto: Corbis"Mimikry" steht für das Nachmachen von als erfolgswirksam angesehenen Gestaltungsmustern. "Lemminge" ist ein Ausdruck für unkritisches Nachfolgen. Beides spiegelt sich aktuell wider in den verlockenden Ideen, wie wir in unserer schönen neuen Arbeitswelt arbeiten sollen: offen, transparent, flexibel, dynamisch, kommunikativ, kreativ, kollaborativ und vor allem unglaublich erfolgreich.
Ob im Neubau von Adidas in Herzogenaurach oder bei Axel Springer in Berlin: Überall findet sich räumliche Großzügigkeit gepaart mit architektonischer Brillanz. Das, was man in modernen Klassikern wie dem Unilever-Haus in Hamburg sieht, dringt mit immer individuelleren Entwürfen in immer neue architektonische Höhen -irgendwo zwischen dem Pekinger Olympiastadion und dem neuen Apple Campus.

Christian Scholz ist Experte für Personalwirtschaft und war bis 2018 Professor an der Universität des Saarlandes . Sein Schwerpunkt ist die Erforschung der Arbeitswelt, 2003 entstand die Trendstudie "Spieler ohne Stammplatzgarantie", 2014 das Nachfolgebuch zur Generation Z . Der Titel seines aktuellen Buches lautet "Mogelpackung Work-Life-Blending: Warum dieses Arbeitsmodell gefährlich ist und welchen Gegenentwurf wir brauchen¿.
Meist geht diese tatsächlich schön anzusehende Architektur einher mit einer neuen Form der Innenarchitektur, die ebenfalls oft umwerfend aussieht. Hier im Inneren, im Office Design, beginnt allerdings eine unschöne neue Arbeitswelt, die viele Unternehmen in stets wiederkehrender Form glauben schaffen zu müssen. Sie orientieren sich dabei an ewig gleichen Grundmustern - die aus organisationswissenschaftlicher Sicht eher verheerend als modern sind.
Der Abbau von Schreibtischen ist ein Fehler
Am Anfang steht die Reduktion von Schreibtischen. Sei es Lufthansa , Commerzbank oder einer der unzähligen anderen Nachahmungstäter: Pro Mitarbeiter gibt es weniger als einen Schreibtisch. Egal ob das Verhältnis bei 1:2 oder 1:4 liegt, allmorgendlich startet die Reise nach Jerusalem, bei der sich jeder einen freien Schreibtisch suchen muss. Dank Urlaub, Krankheit und externer Termine geht die Rechnung auch meist auf. Trotzdem: In dieser Vision des Büros der Zukunft besitzen Mitarbeiter keine eigenen Schreibtische mehr, Schränke dank papierlosem Office sowieso nicht, wenn überhaupt gibt es einen persönlichen Rollcontainer.
Zur Kommunikation begibt man sich in elektronisch buchbare Besprechungsräume (Bushaltestellen), die einzig verbleibenden Räume mit eigenen Wänden und Türen. In kleiner Form (Telefonzelle) gibt es noch die Single-Besprechungsräume als letztes semi-privates Refugium, in dem man umgeben von Glaswänden einigermaßen ungestört skypen kann.
Und schließlich ist alles komplett variabel: Die gesamte Struktur der Zusammenarbeit richtet sich am Arbeitsfluss aus und ändert sich dynamisch-flexibel permanent. In dieser schönen Neuen Arbeitswelt der kompromisslosen Offenheit soll es zu permanenter Interaktion, explosionsartiger Innovation und spontaner Selbstorganisation kommen. Die Arbeitswelt wird also agil, smart und auch sonst absolut hip. Doch das ist nur die halbe Wahrheit.
Was wirklich hinter der neuen Büroideologie steckt
Hinter dem, was ich einmal vereinfacht als Open Office bezeichne, stecken ganz klare Kosten- und Nutzenziele. An oberster Stelle: Es werden weniger Quadratmeter Bürofläche und weniger Möbel gebraucht. Sicher ist das Abschaffen von Schreibtischen bei Beratern und Außendienstmitarbeitern sinnvoll. Aber sonst? Rückt hier nicht eine falsch berechnete Wirtschaftlichkeit als zentraler Unternehmenswert immer mehr in den Mittelpunkt? Und noch ein Aspekt wird gern verheimlicht: Die architektonische Transparenz eröffnet weitreichende Kontrollmöglichkeiten für Kollegen und Führungskräfte. Nicht nur der Chef wird zum Aufseher in dieser gläsernen Transparenz, sondern gleichermaßen die Kollegen und bei Führungskräften - gelobt sei das 360-Grad-Feedback mit anonymen Bewertungen - auch die eigenen Mitarbeiter. Jetzt bekommt jeder mit, was jeder andere gerade tut, und jeder weiß, dass es jeder andere mitbekommt. Fremd- und Selbstkontrolle plus technologische Kontrolle durch die IT-Systeme legen hier den Grundstein für etwas, das leicht in eine pathologische Kontrollkultur ausarten kann.
Orwellsches System totaler Kontrolle
Es ist paradox: In den Reden über die Neue Arbeitswelt wird unter Applaus über Demokratie, Kommunikation auf Augenhöhe und individuelle Selbstentfaltung gesprochen. Gleichzeitig wird damit ein darwinistisch-orwellsches System mit totaler Kontrolle propagiert. Hinzu kommt die brutale Ent-Individualisierung: Das persönliche Territorium, früher symbolisiert durch den eigenen Schreibtisch mit Gummibaum, soll verschwinden. Wer glaubt, seinen Rollcontainer mehrmals an die gleiche Stelle rollen oder gar den Schreibtisch durch ein Blatt Papier für den nächsten Tag reservieren zu dürfen, findet am Morgen ein Warndreieck mit der Aufschrift "Camping verboten" vor.
Die einzige Verheißung dieser neuen Arbeitswelt, die tatsächlich Wirklichkeit wird, ist der disruptive Wandel. Dieser tritt immer mehr zutage - aber nur selten auf Wunsch und noch seltener zum Wohle der Mitarbeiter. Zudem muss aus wissenschaftlicher Sicht massiv bezweifelt werden, ob wirklich alle Unternehmen diesen permanenten Wandel brauchen und tatsächlich neue Ideen im Stundentakt generiert werden sollen. Auch wenn puristische Architekturkonzepte modern und preisgekrönt sind, lösen manche Entwürfe bei Betroffenen eher negative Assoziationen wie Bunker, Fabrikhalle oder Gefängnis aus. Anderes erinnert an die Arbeitsstätten der Näherinnen in Bangladesch, an gläserne Tiefkühlschränke oder Massentierhaltung. Entsprechend verbringen die Mitarbeiter viel Zeit mit der Entwicklung von Abwehrstrategien. Die einfachste kennt jeder Tourist vom Pool des Hotels auf Mallorca: Man kommt früh und blockiert mit dem Handtuch schon mal seinen Platz. Im Büro werden Schreibtische durchgebucht. Die gewünschte Kreativität fließt - statt Wert für das Unternehmen zu schaffen - ins Erfinden immer neuer Umgehungshilfen ("Hacks"), um die negativen Effekte des Open Space abzumildern.
Für einige Entwicklungen gibt es keine Abwehrstrategien: die extreme und offenkundige Geräuschbelästigung, die permanente Ablenkung im Sichtbereich und Diskussionen wie "Fenster auf - Fenster zu" oder "Raumtemperatur runter - Raumtemperatur rauf".
Spätestens jetzt müsste klar sein: Die Kostenersparnis durch Einsparung an Quadratmetern steht in keiner Relation zur Reduktion der Leistungsfähigkeit und Motivation der Mitarbeiter. Und wenn sich daraufhin Mitarbeiter krank melden oder High Potentials kündigen, weil sie in derartigen Strukturen einfach nicht arbeiten können oder wollen, sollten Unternehmen hellhörig werden.
Von wegen mitarbeiterfreundlich
Den stolzen Umschwung auf Open-Office-Konzepte begründen die Unternehmen meist damit, dass sie auf expliziten Wunsch und im Interesse ihrer Mitarbeiter handeln. Moderne Mitarbeiter wollen anscheinend genau so arbeiten.
Dies mag für Mitarbeiter aus der sogenannten Generation Y (geboren überwiegend in den 1980er Jahren) sogar teilweise zutreffen: Diese Generation gilt als extrem leistungsorientiert und kommunikativ, arbeitet bei schönem Wetter im Straßencafé oder zu Hause im Garten und steht dafür dem Unternehmen auch am Wochenende zur Verfügung. Hier gilt die Devise: Mitarbeiter können arbeiten wann sie wollen, wo sie wollen und wie sie wollen - solange sie die Arbeit erledigen, zur Not auch am Abend oder Wochenende. Die Grenzen zwischen Beruf und Privatleben verwischen hier ebenso wie Strukturen und Grenzen im Unternehmen. Die Folgen dieses Work-Life-Blending habe ich im ersten Teil dieser Serie beschrieben. Der Traum vom Open Office scheint also zu den Arbeitsgewohnheiten der Generation Y zu passen - wobei man auch dieser These noch nachgehen sollte. Es wird aber definitiv ein böses Erwachen für Unternehmen geben, wenn sie potenziellen Mitarbeitern aus der sogenannten Generation Z ihre innovativen Bürokonzepte präsentieren. Die Mitglieder der Generation Z sind mehrheitlich nach 1990 geboren und wollen in keinem Open Office arbeiten. Sie lieben klare Strukturen und Ordnung sowie eine überschaubare Konstanz. Sich wohlzufühlen, ist für Vertreter der Generation Z die Bedingung für Leistung. Deshalb möchten sie ihr Büro selbst gestalten. Der Enactus-Studie zufolge würden 64 Prozent der Generation Z am liebsten in einem kleinen Team im eigenen kleinen Büro arbeiten. Die Generation Z will eine behagliche Zweitwohnung. Sie will einen eigenen, frei gestaltbaren Bereich, einen eigenen Schreibtisch mit Bild von Freund oder Freundin, vielleicht sogar Zimmerpflanzen. Die Generation Z will in keinem Großraumbüro arbeiten, auch wenn es sich innovativ Open Office nennt. Sie will im übrigen - anders als die Generation Y - auch nicht zu Hause oder im Kaffeehaus arbeiten.
Generation Biedermeier
Sicherlich kann man diese Wünsche der jungen Generation als biedermeierlich oder ikeagleich abtun. Nur sollte man berücksichtigen, dass gerade die als spießbürgerlich abqualifizierte Epoche in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht nur die bürgerliche Kultur und das Glück in den eigenen vier Wänden ausdrückte, sondern auch politische Veränderung. In der Architektur wird Biedermeier mit den Attributen elegant, schlicht und behaglich verbunden - und passt damit perfekt zur Generation Z.
Menschen sind Lebewesen, die ein eigenes Territorium brauchen. Das gilt auch für Mitarbeiter in Unternehmen, für die das Fehlen des eigenen Schreibtisches auch eine traurige symbolische Bedeutung hat: "Ich bin dem Unternehmen nicht mal einen eigenen Schreibtisch wert." Unbewusst entsteht eine bedrohliche Nähe zwischen dem Verschwinden des eigenen Schreibtischs und dem Verschwinden des eigenen Arbeitsplatzes. Und wer möchte schon gern täglich mit einem solchen Gefühl zur Arbeit gehen? Sicherlich gibt es in manchen Punkten weiteren Forschungsbedarf: So existieren auch Studien, wonach vor allem jüngere Mitarbeiter ein Office Without Walls wollen. Das widerspricht jedoch Befragungen, die - zugegebener Weise nicht repräsentativ für aktive Mitarbeiter - der Verfasser dieses Beitrages bei Studierenden durchgeführt hat. Und es widerspricht ganz klar dem, was wir inzwischen über die Generation Z und ihre Wünsche an eine liebens- und lebenswerte Arbeitswelt wissen.
So sollte ein ideales Büro aussehen
Unternehmen könnten natürlich weiterhin den Traum der wunderschönen offenen Bürolandschaften mit grenzenloser Kommunikation und einer angeblich so beeindruckenden Kostenkalkulation träumen. Dann haben sie aber bald nicht nur keine Schreibtische, sondern auch keine Mitarbeiter mehr. Eine moderne Büroarbeitswelt braucht überschaubare und klar strukturierte Einheiten ohne reguläres Layout. Neben kleineren Teambüros sollte es innovative Kommunikationsräume geben, beschreibbare Wände und Möglichkeiten zur Individualisierung. Trotz eigener Schreibtische kann es zu einem Activity-Based-Arbeiten kommen, bei dem durchaus Arbeitsabläufe aufgaben- und projektbezogen gestaltet werden; allerdings liegt die Gestaltungshoheit bei den Mitarbeitern selbst. Außerdem wollen und brauchen Mitarbeiter aus allen Generationen funktionierende und einfache Informationstechnologien. Diese sind in vielen Unternehmen aber nicht vorhanden. Es gibt in der real existierenden Unternehmenswelt groteske Situationen, in denen Digital Natives zwar in einem modernen, großen Großraumbüro arbeiten, aber am Arbeitsplatz keinen Zugang zu Social Media haben und auf ihr privates Smartphone zurückgreifen müssen.
Selbst einfache Gestaltungsmöglichkeiten wie variable Wände erlauben es den Mitarbeitern, je nach Interessenlage, kleine Büros oder Teambüros zu konzipieren. Ganz wichtig: Im Interesse eines kreativen Umfeldes sind Clean-Desk-Policies ein absolutes No-Go. Einiges von dem, was sich Architekten für moderne Neubauten ausdenken, lässt sich genauso ohne groteske und menschenunwürdige Auswüchse realisieren. Bei einigen Ideen allerdings sollte umgedacht werden: Denn auch in unserer digitalen Welt sollten Gebäude nicht nur wegen des ästhetischen Charmes, sondern primär für Menschen und aufgrund ihrer Funktionalität gebaut werden.
Gerade weil gegenwärtig nahezu alle Unternehmen wie Lemminge den architektonischen Konzepten von Adidas bis Unilever nachlaufen, gibt es eine strategische Chance, durch ein alternativ-innovatives Bürodesign als Arbeitgeber bei Mitarbeitern aller Generationen zu punkten.
Unschöne neue Arbeitswelt (1): Der Irrtum vom Work-Life-Blending
Unschöne neue Arbeitswelt (2): Big Data Hype - Schluss mit blinder Dummheit!
Christian Scholz ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.