Selbst im Heimatland: Irische Ryanair-Piloten streiken für bessere Sozialstandards und bessere Entlohnung
Foto: Brian Lawless/ dpaTäglich beklagt sich Ryanair im Kurznachrichtendienst Twitter über ausgefallene und verspätete Flüge. Die europäische Kommission müsse endlich etwas unternehmen gegen den Lotsenmangel und die Streiks in den nationalen Flugsicherungen, lautet die Dauerkritik der Iren. Doch deren Kunden müssen in diesem Sommer auch noch diverse Streiks des fliegenden Personals fürchten, das die Hauptreisezeit nutzt, um seine Ziele durchzusetzen.
Ryanair steckt in einem tiefgreifenden Wandel, seit sich Piloten und Flugbegleiter zunehmend in Gewerkschaften organisieren und europaweit vernetzen. Sie setzen sich für höhere Löhne, gegen Leiharbeit und für bessere Arbeitsbedingungen ein.
Die einstmals strikt anti-gewerkschaftliche Airline hat sich schon im vergangenen Jahr zu einem Kurswechsel entschlossen und erste Verhandlungen mit den Arbeitnehmern aufgenommen. Jährliche Mehrkosten von bis zu 100 Millionen Pfund (112 Millionen Euro) haben die Iren für das laufende Geschäftsjahr schon eingerechnet. Für den etwas sanfteren Kurs steht der von Malaysia Airlines geholte Organisationschef Peter Bellew, der manchen bereits als Nachfolger des Hardliners und Ryanair-Chefs Michael O'Leary gilt.
Im Video: Ryanair vor größtem Streik seiner Geschichte
Kleinkrieg und Schikane im Detail
Zu einem Erfolg haben die seit Wochen auf nationaler Ebene geführten Verhandlungen bislang allerdings nicht geführt. Im Detail zeigen sich die Ryanair-Manager extrem hartleibig, berichtet beispielsweise Markus Wahl von der deutschen Pilotengewerkschaft Vereinigung Cockpit. Kleinteilig wird beispielsweise über Freistellungen für die Mitglieder der Verhandlungskommission gestritten, bereits vereinbarte Termine verstreichen ungenutzt. Bellew und Personalchef Eddie Wilson berichten hingegen frohgemut von konstruktiven Gesprächen.
Einem ersten Piloten-Warnstreik zu Weihnachten in Deutschland und einem mehrtägigen Ausstand der Kabinencrews zu Ostern in Portugal folgen nun in der Hauptreisezeit im immer engeren Takt kleinteilige Arbeitskämpfe irgendwo im weiten Ryanair-Reich. Für diesen Freitag (20.7.) hat die Fluggesellschaft bereits 24 Flüge zwischen Irland und Großbritannien abgesagt, weil die irischen Piloten bereits ein zweites Mal die Arbeit niederlegen.
600 Flüge fallen kommende Woche aus
In der kommenden Woche wollen sie das auch noch einmal am Dienstag (24.7.) tun, bevor die Flugbegleiter in Italien, Spanien, Portugal und Belgien am Mittwoch und Donnerstag (25./26.7) folgen. An beiden Tagen hat Ryanair jeweils 300 von mehr 2400 geplanten Flügen abgesagt. Betroffen sind je rund 50 000 Passagiere. Ob deutsche Flughäfen von den Ausfällen betroffen sind, konnte die Airline nicht sagen. Betroffene Passagiere würden informiert, hieß es.
Die scheinbar lokalen Ausstände können jeweils auch Folgen für Passagiere in anderen Ländern haben, denn die Umläufe der Jets gehen natürlich jeden Tag quer durch das Netz. Ein Jet, der morgens in Italien wegen Personalmangels stehen bleibt, kann mittags auch nicht in Deutschland oder England zu einem Folgeflug abheben.
"Der Ryanair droht ein Dauerkonflikt, in dem irgendwo immer gestreikt wird", sagt Christoph Drescher, Präsident des europäischen Kabinenbeschäftigtenverbandes Eurecca, der einen Teil der Flugbegleitergewerkschaften vereinigt. Er glaube daher, dass die Gesellschaft schon aus eigenem Interesse diese offene Flanke ihres Geschäftsmodells schließen wird.
86 Basen, 37 Länder - Vieles ist nur auf nationaler Ebene tariflich regelbar
Dem führenden Billigflieger Europas wird seine mittlerweile erreichte Größe mit mehr als 13.000 Beschäftigten und seine kontinentweite Aufstellung mit 86 Basen und 37 angeflogenen Ländern zum Problem, denn er trifft auf eine extrem zersplitterte Gewerkschaftslandschaft. Einkommen und Sozialvorschriften sind nur auf nationaler Ebene tariflich regelbar, andere Themen wie Beförderungspläne oder Einsatzregeln wären wohl am besten auf Konzernebene aufgehoben. Größere Beschäftigtengruppen hat Ryanair in Irland, Großbritannien, Spanien, Deutschland und Italien. Den Managern, so sagt es zumindest Eurecca-Chef Drescher, fehle es dabei noch im erschreckenden Maß an Kenntnissen des jeweiligen Sozialrechts.
In Deutschland stimmen die Ryanair-Piloten in der Vereinigung Cockpit bis zum Ende dieses Monats über einen unbefristeten Streik ab. Ihre Forderungen orientieren sich an den Tarifbedingungen bei den Konkurrenten Tuifly und Easyjet. Bei den deutschen Flugbegleitern balgen sich noch die Gewerkschaften Verdi und Ufo wie bei der Lufthansa um den Vertretungsanspruch. Am Ende wird Ryanair voraussichtlich mit beiden Organisationen sprechen müssen, weil jede einen relevanten Teil des streikfähigen Personals vertritt.
Michael O'Leary stößt an die Grenzen seines Konfrontationskurses. Erstmals in der Geschichte von Ryanair wollen Piloten europaweit streiken - plötzlich erkennt das Unternehmen deren Gewerkschaften als Verhandlungspartner an. Noch vor Tagen hatte der Firmenchef, ein bekennender Gewerkschaftshasser, dies ausdrücklich ausgeschlossen. Nun erklärt er, "radikaler Wandel" sei für Ryanair nichts Neues.
Der Ire führt die Fluggesellschaft, die er inzwischen "Nummer eins in Europa" nennen kann, schon seit 1994. Ryanair und O'Leary sind kaum voneinander zu trennen - obwohl das Unternehmen nicht seinen Namen trägt.
Gegründet wurde Ryanair von dem 2007 verstorbenen Unternehmer Tony Ryan 1985, der eine 15-sitzige Maschine seiner Leasing-Maschine unter eigenem Namen fliegen lassen wollte. Als die Firma floppte, holte Ryan seinen Steuerberater hinzu: den jungen Michael O'Leary von der Wirtschaftsprüfungsfirma Stokes Kennedy Crowley in Dublin.
Noch Anfang der 1990er empfahl O'Leary, die nicht wettbewerbsfähige Airline zu schließen. Dann fand er jedoch in Texas ein Vorbild: die Billigfluglinie Southwest Airlines, die radikal Kosten senkt und konsequent auf alle Extras verzichtet. Dieses Modell kopierte Ryanair und brachte es nach Europa. Dazu gehört, die gesamte Flotte ausschließlich mit Boeing 737 zu bestücken.
Die Liberalisierung des Luftverkehrs in der EU, zusammen mit Subventionen von Regionalflughäfen, verhalf Ryanair mehr noch als anderen Billigfliegern zum Aufschwung. O'Leary stellte den Zugang der Massen als antielitäre soziale Tat dar - oder auch mal etwas bunter: "Ryanair bringt eine Menge verschiedener Kulturen zu den Stränden von Spanien, Griechenland und Italien, wo sie sich im Interesse des paneuropäischen Frieden paaren und kopulieren."
Die schrillen und noch schrilleren Töne wurden schnell zu Ryanairs Markenzeichen - und nährten das Image des aggressiven Angreifers, der die Domäne der etablierten nationalen Fluggesellschaften schleift. Dem Traum vom Fliegen setzte O'Leary seine spröde Sparlogik entgegen. "Ich wollte nie ein Pilot werden wie diese anderen Kolonnen von Dummköpfen, die die Flugbranche bevölkern."
Die Liste der provokanten O'Leary-Zitate kann hier nur stark gekürzt wiedergegeben werden. Ob gegenüber Passagieren, Beschäftigten, Konkurrenten, Lieferanten, Politikern oder auch den eigenen Kollegen im Management - für jeden hatte der Ryanair mal einen deftigen Spruch übrig, gerne auch mehrere. Kostprobe: "Sie bekommen keine Rückerstattung, also fuck off."
Um Aufmerksamkeit zu erregen, brachte O'Leary auch mal ein Flugverbot für Übergewichtige, eine Bordtoilettengebühr ("Wenn Sie einen Fünfer zahlen, wische ich Ihnen auch den Hintern ab") oder Stehplatz-Flüge ins Gespräch. Den Einwand, bei einem Unfall könnten die stehenden Passagiere sterben, entgegnete er entwaffnend: "Mal ehrlich, die sitzenden Leute sterben auch."
Unbestritten hat die Strategie zum Erfolg geführt: Seit 2016 befördert Ryanair als einzige europäische Fluglinie mehr als 100 Millionen Passagiere pro Jahr. Auch mit der Umsatzrendite von 20 Prozent und dem Börsenwert von 20 Milliarden Euro stehen die Iren an der Spitze der Branche.
Während Lufthansa und Co. das Ryanair-Modell mit eigenen Billigflug-Ablegern zu kopieren versuchen, lässt das enorme Wachstum O'Leary den etablierten Airlines zumindest eine Spur näherkommen. Eine früher als überflüssig abgetane Business Class gibt es jetzt (wenn auch ohne viel Komfort), auch die großen Drehkreuze wie Frankfurt werden zunehmend angeflogen - und dafür manche der Dumping-Airports in der Provinz aufgegeben. Sie haben ihre Schuldigkeit als Gebührenbrecher getan.
Politisch äußert der bekennende "Unwählbare" Michael O'Leary sich immer wieder, wenn es sein Geschäft betrifft. So bezeichnet er den Klimaschutz als "Unsinn", wünscht Umweltschützern den Tod - hebt aber gleichzeitig die hohe Energieeffizienz seiner gut ausgelasteten Flieger hervor. Der Manager wird nicht müde, vor dem Brexit zu warnen. Vielleicht fehlt ihm ohne die Briten in der EU auch das Erbe Margaret Thatchers, "ohne die wir heute alle in einer französischen Arbeitslosenrepublik leben würden".
Was O'Leary bisher bei allem rasanten Wachstum nie gelang, ist die Übernahme einer anderen Fluggesellschaft. Am heimischen Wettbewerber Aer Lingus hielt Ryanair zeitweise ein Drittel der Aktien, gab sie 2015 nach Blockade durch die Wettbewerbshüter aber an die British-Airways-Mutter IAG ab. Bei Alitalia zog sich Ryanair ebenso zurück wie bei Air Berlin.
Ryanair-Piloten wie Maria Pettersson können Instagram-Stars werden, aber keine Großverdiener. Schon früh tat O'Leary die Aussage, Personal sei das größte Asset einer Firma, als Betriebswirte-Bullshit ab: "Personal ist der größte Kostenblock." Ryanair hält den Personalaufwand mit rund 50.000 Euro pro Beschäftigten gering. Dass neuerdings Flüge wegen Pilotenmangels gestrichen werden müssen und sogar ein Streik droht, ist eine neue Herausforderung.
Michael O'Leary selbst ist dank seiner Ryanair-Aktien inzwischen Milliardär, will seinen vier Kindern aber Bodenständigkeit vermitteln. Mit seiner Frau Anita Farrell, einer Bankerin, lebt er auf dem Gutshof Gigginstown House, wo er Angus-Rinder und Rennpferde züchtet - der Hengst "Rule The World" gewann 2016 das Hindernisrennen Crabbie's bei Liverpool. Strandurlaub findet O'Leary übrigens überflüssig - macht ihn aber, damit die Kinder normal bleiben.
Während Lufthansa und Co. das Ryanair-Modell mit eigenen Billigflug-Ablegern zu kopieren versuchen, lässt das enorme Wachstum O'Leary den etablierten Airlines zumindest eine Spur näherkommen. Eine früher als überflüssig abgetane Business Class gibt es jetzt (wenn auch ohne viel Komfort), auch die großen Drehkreuze wie Frankfurt werden zunehmend angeflogen - und dafür manche der Dumping-Airports in der Provinz aufgegeben. Sie haben ihre Schuldigkeit als Gebührenbrecher getan.
Foto: SUZANNE PLUNKETT/ REUTERSWas O'Leary bisher bei allem rasanten Wachstum nie gelang, ist die Übernahme einer anderen Fluggesellschaft. Am heimischen Wettbewerber Aer Lingus hielt Ryanair zeitweise ein Drittel der Aktien, gab sie 2015 nach Blockade durch die Wettbewerbshüter aber an die British-Airways-Mutter IAG ab. Bei Alitalia zog sich Ryanair ebenso zurück wie bei Air Berlin.
Foto: © Paul McErlane / ReutersWährend Lufthansa und Co. das Ryanair-Modell mit eigenen Billigflug-Ablegern zu kopieren versuchen, lässt das enorme Wachstum O'Leary den etablierten Airlines zumindest eine Spur näherkommen. Eine früher als überflüssig abgetane Business Class gibt es jetzt (wenn auch ohne viel Komfort), auch die großen Drehkreuze wie Frankfurt werden zunehmend angeflogen - und dafür manche der Dumping-Airports in der Provinz aufgegeben. Sie haben ihre Schuldigkeit als Gebührenbrecher getan.
Foto: SUZANNE PLUNKETT/ REUTERSWas O'Leary bisher bei allem rasanten Wachstum nie gelang, ist die Übernahme einer anderen Fluggesellschaft. Am heimischen Wettbewerber Aer Lingus hielt Ryanair zeitweise ein Drittel der Aktien, gab sie 2015 nach Blockade durch die Wettbewerbshüter aber an die British-Airways-Mutter IAG ab. Bei Alitalia zog sich Ryanair ebenso zurück wie bei Air Berlin.
Foto: © Paul McErlane / Reuters