
Leere Strandkörbe am Strand der Nordseeinsel Amrum
Foto: picture alliance/dpaDie Zukunft, wie sie Javier Pérez Jiménez zeichnet, hat etwas von einem Science-Fiction-Roman. Und doch sieht der Chef der spanischen Luxushotelkette VP darin den einzigen Weg, die Corona-Krise zu überleben: Mit dicken roten Kreuzen hat Jiménez auf einem Lageplan etwa jeden zweiten Tisch seines Fünf-Sterne-Hotels an der zentralen Plaza España in Madrid durchgestrichen.
Vor dem Betreten des Hotels soll jeder Gast - womöglich in einem dafür eingerichteten Krankenwagen vor der Tür - einen Corona-Schnelltest machen, nach dem er sich - vorausgesetzt er ist negativ getestet - an der Rezeption ein Sicherheits-Kit aus Maske, Schutzhandschuhen und Desinefektionsmittel abholen kann. Wer in die Sky-Bar will, muss sich dafür beim Personal vorher anmelden, so Jiménez gegenüber der spanischen Zeitung "El Pais". Erst dann kann er - in gebührendem Abstand zu den anderen Gästen entlang einer Sicherheits-Route - den Weg zur Sky-Bar antreten. Und dort mit Plexiglasscheiben räumlich von den anderen Gästen abgetrennt, seinen Gin Tonic mit Blick auf die spanische Hauptstadt genießen.
Sämtliche Türen müssen künftig automatisch öffnen, Fernbedienungen in Plastik verpackt, Servicepersonal statt mit Wischlappen mit Dampfreinigern ausgestattet werden. Und auch das Frühstücksbüffet hat Jiménez abgeschafft: Es wird von individuellen Picknickkörbchen ersetzt.
Was aktuell wirkt, wie eine Dystopie könnte angesichts der weltweiten Corona-Pandemie womöglich bald Wirklichkeit werden. Der Ausbruch des Virus und seine Folgen haben in der einst boomende Tourismus-Branche eingeschlagen wie ein Blitz. Seitdem zahlreiche Länder eine Ausgangssperre verhängt und Grenzen geschlossen haben, geht in der Branche gar nichts mehr. Hotels haben dicht gemacht, ihre verbliebenen Gäste und Beschäftigten nach Hause geschickt, Airlines den Großteil ihres Flugbetriebs eingestellt und Veranstalter ihre Touren abgesagt. Und wann und wie ein Exit aus dem Lockdown möglich werden wird - und welche Unternehmen diesen überleben wird - ist völlig unklar.
Es sind Zahlen, wie sie drastischer kaum sein könnten: Um bis zu 30 Prozent, könnten die internationalen Ankünfte in diesem Jahr sinken, schätzte die Welttourismusorganisation UNWTO bereits im März. Die weltweiten Tourismus-Ausgaben um bis zu 450 Milliarden Dollar sinken, und damit mehr als bei jeder Krise zuvor: 2009 angesichts der Finanzkrise hatte der Rückgang gerade einmal bei 4 Prozent gelegen, 2003 bei Sars gerade einmal bei 0,4 Prozent.
Sogar Booking.com erwägt Jobabbau

Stillgelegte Lufthansa-Flieger in Frankfurt mit zum Schutz abgeklebten Triebwerken
Foto: Boris Roessler/dpaDiesmal ist alles schlimmer - mit drastischen wirtschaftlichen und sozialen Folgen. Der Tourismus, so die Bewertung von UNWTO-Generalsekretär Zurab Pololikashvili, sei einer der am härtesten getroffenen Wirtschaftssektoren.
Und diesmal sind nicht nur die kleinen, sondern auch die großen Player betroffen. Die Lufthansa, die zuletzt nur 2 Prozent des normalen Flugprogramms absolvierte, blutet Cash und verhandelt mit dem Bund um einen Staatseinstieg. Alleine im ersten Quartal lief ein operativer Verlust von 1,2 Milliarden Euro auf. Die British-Airways-Mutter IAG erwägt den Abbau von 12.000 Jobs und rechnet fürs Gesamtjahr aktuell mit einem Wegfall von mehr als der Hälfte des Umsatzes. Die skandinavische AirlineSAS kündigte an, 5000 Beschäftigte zu entlassen. Emirates, die ihren Passagierbetrieb zeitweise komplett einstellen mussten, hat die Gehälter der Beschäftigten um bis zu 50 Prozent gekürzt. Und selbst der lange so erfolgsverwöhnte Billigflieger Ryanair will die Gehälter seiner Beschäftigten kürzen und 3000 Jobs abbauen.
Selbst Buchungsplatformen, die keine umfangreiche eigene Infrastruktur wie Hotels, Busse oder Flugzeuge besitzen, sind im Zuge der Krise ins Trudeln geraten. Bei Booking.com, dem größten Onlinereisebüro der Welt, brach der Umsatz angesichts der Krise um schwindelerregende 85 Prozent ein - die Aktie verlor zweitweise mehr als 40 Prozent. Weswegen der Buchungsriese die Belegschaft schon einmal auf Jobabbau einstellte. Bei der Hotelbuchungsplattform Trivago brach der Umsatz zweitweise um 95 Prozent ein, weshalb nun Jobs gestrichen werden und gespart werden soll.
Auch beim deutschen Vorzeige-Start-up, dem Erlebnisvermittler GetyourGuide, ist das Geschäft von einem auf den anderen Tag weggebrochen und das Unternehmen musste Kunden Buchungen in einem Umfang erstatten, der sogar einzelne Zahlungsdienstleister überfordert habe, wie CEO Johannes Reck erzählt. Zusammen mit anderen CEOs fordert er nun von Google, Reiseunternehmen die Kosten für Werbung zu stunden.
"Die Lage ist eine Katastrophe"
Auch bei den Campingplätzen, die hierzulande im Juli und August rund 80 Prozent ihres Umsatzes machen, sieht es schwarz aus. Laut dem Bundesverband der Campingwirtschaft wurden in den vergangenen Wochen 75 Prozent der Buchungen für den Sommer storniert, weswegen die Betreiber verzweifelt auf Lockerungen hoffen.
Wie schlimm die Krise für die Hotels ist, davon kann auch Motel-One-CEO Dieter Müller ein Lied singen. Um mehr als 95 Prozent sind bei der Hotelkette mit 73 Häusern in Europa die Buchungen eingebrochen. "Die Lage ist eine Katastrophe", berichtet er. "Wir haben keine Einnahmen und die Kosten laufen weiter." Mit den wenigen Buchungen in den 15 noch offenen Hotels ließe sich nicht einmal das dortige Notpersonal bezahlen. Pro Monat koste ihn die Krise aktuell 20 Millionen Euro.
Motel-One blutet 20 Millionen Euro pro Monat

Hygienemaßnahme in China: Ein Mann desinfiziert die Wartehalle des Bahnhofs Suifenhe
Foto: Zhang Tao/XinHua/dpaEine Erfahrung die er mit Robert Jopp vom Sylter 5-Sterne-Hotel Fährhaus teilt. In dem idyllisch gelegenen Hotel zwischen Kampen und Keitum geht seit Mitte März nichts mehr, weswegen Hoteldirektor Jopp mittlerweile das Gros der Belegschaft in Kurzarbeit geschickt hat. Derzeit wird an der Rezeption eine Glasscheibe installiert, was weitere Corona-Schutzmaßnahmen angeht, sind Jopp nach eigenen Worten aber die Hände gebunden - weil noch völlig unklar ist, wann es wieder weiter geht und welche Vorgaben für das 40-Betten-Haus dann gelten. "Wir brauchen Fakten", sagt Jopp. "Aktuell sind wir im totalen Blindflug."
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Wie lange die Covid-Krise die Tourismusbranche im Klammergriff halten wird, ist noch völlig offen und dürfte - wie so vieles - davon abhängen, wie schnell es gelingt einen Impfstoff sowie Medikamente gegen das Virus zu finden.
Dass sich der Fernreisemarkt noch in diesem Jahr erholt, schließt der der Schweizer Tourismusforscher Christian Laesser von der Uni St. Gallen aber aus. "Vor 2021", schätzt er, "wird das interkontinentale Reisen wohl nicht wieder groß losgehen".
Wie schnell dann die Erholung ausfallen wird und wie viele Betriebe dann noch übrig sein werden, ist völlig offen. "Das hängt ganz massiv davon ab, wie tief die Wirtschaftskrise ausfällt. Und ob die Menschen dann überhaupt Geld zum Reisen haben werden."
Land schlägt Stadt
Laesser und viele andere Experten wie etwa der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung Thomas Bareiß rechnen damit, dass es erst einmal kürzere Reisen sein werden, die wieder erlaubt werden. "Das wird vor allem Urlaub im eigenen Land sein", sagt Laesser. Und vielleicht wird es auch noch bilaterale oder trilaterale Abkommen geben." Beispielweise mit Ländern wie Österreich, die bereits signalisiert haben, eventuell deutsche Touristen einreisen lassen zu wollen, um der heimischen Tourismusindustrie die Möglichkeit zur Erholung zu geben. Und "die Buchungen werden kurzfristiger werden", ist er überzeugt, da viele Kunden angesichts wiederkehrender Infektionswellen mit ihren Plänen vorsichtiger werden dürften.
Wo die Preise steigen werden

Reisende am Flughafen Düsseldorf: Auch das Geschäftsreisensegment ist von Corona schwer getroffen - und könnte sich womöglich noch schwerer erholen als der Freizeitmarkt
Foto: Federico Gambarini/dpaIn jedem Fall sieht Laesser aber ländliche Ziele für eine Weile im Vorteil, da sich dort aufgrund der niedrigeren Menschendichte die Infektionsrisiken leichter in Schach halten ließen. Eine Einschätzung die auch Motel-One-CEO Müller teilt. Bevor ein Impfstoff oder ein wirksames Medikament gefunden ist, rechnet er nicht mit einer wirklichen Erholung des Reisegeschäfts. Und Getyourguide-CEO Johannes Reck glaubt auch, dass sich Reisende in diesem Sommer womöglich auf steigende Preise für Ferienhäuser einstelle müssen. Denn der Andrang darauf dürfte bei gleichbleibendem Angebot wachsen.
Dass Ferienimmobilien aktuell trotz Krise gefragt sind, davon berichtet auch der neue Mehrheitseigner Europas viertgrößten Reiseveranstalters FTI, Samih Sawiris. Zwar ruhe der Hotelbetrieb, der Verkauf von Ferienimmobilien laufe derzeit trotz Krise aber stabil, berichtet Sawiris, der mit seiner Orascom Development Holding auch im Immobiliengeschäft tätig ist und Urlaubsdestinationen entwickelt "Für den Kauf eines Feriendomizils braucht man Zeit - die haben Menschen momentan offenbar."
"Corona-Korridor" soll Tourismus-Geschäft retten
Um trotz Corona Reisen zu verkaufen und ihre Betten voll zu bekommen, arbeiten Fremdenverkehrsverbände und Tourismusunternehmen bereits an Konzepten, die auch ohne Impfstoff reisen möglich machen sollen. So wird in Kroatien und der Tschechei aktuell über einen "Corona-Korridor" nachgedacht, über den negativ getestete Reisende - ohne Berücksichtigung von Quarantänevorschriften - in sichere Urlaubsorte reisen können.
Andere arbeiten an Hygienekonzepten oder Testmöglichkeiten. So hat die Airline Emirates bereits Testläufe unternommen, bei denen sämtliche Passagiere eines Flugzeugs vor dem Boarding am Flughafen auf Corona getestet wurden.
Andernorts wir an Hygienekonzepten geschmiedet, damit zumindest ein Teil der bisherigen Kunden bedient werden können. Er habe dem ägyptischen Tourismusminister vorgeschlagen, in Ägypten Hotels im Sommer zunächst nur mit etwa der Hälfte der Besucher zu belegen, berichtet etwa Sawiris, der schwerpunktmäßig in Ägypten aktiv ist. Dort erreiche man "dank der niedrigeren Kostenbasis auch mit einer niedrigeren Auslastung die Gewinnschwelle", ist er überzeugt. "Und wir hätten damit einen Wettbewerbsvorteil."
Motel-One-Gründer Müller, der es mit seinen Stadthotels mit ganz anderen Kostenstrukturen zu tun hat, versucht die Krise indes mit neuen Hygienekonzepten zu überstehen - und schmiedet bereits Pläne, wie sich mit Hygieneconcierge, Bio-Zimmervernebelung und Abkehr vom Frühstücksbuffet zumindest ein Teil des Geschäftes retten lässt.
Daran, dass bald alles wieder so wird, wie es einmal war, glaubt kaum einer - vor allem nicht bei Geschäftsreisen. Ein Teil davon, glaubt Müller, der selbst 60 Prozent des Umsatzes mit Businesstravellern macht, werde angesichts der angespannten wirtschaftlichen Lage vieler Betriebe und der Gewöhnung an Videokonferenztechnologie wohl wegfallen, fürchtet er. "Der Markt wird kleiner."