Wird der Traditionskonzern untergepflügt? Opels Zitter-Zukunft unter der Peugeot-Herrschaft

Warum General Motors Opel los werden will. Wo liegen die Chancen, wo die Risiken und was ist zu tun? Eine exklusive Analyse des langjährigen Betriebsratschefs und Vize-Aufsichtsratschefs Klaus Franz.
Von Klaus Franz
Opel-Logo.

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Foto: PAWEL KOPCZYNSKI/ REUTERS
Klaus Franz
Foto: Oliver Ruether für manager magazin

Klaus Franz wurde als oberster Arbeitnehmervertreter in dem Überlebenskampf 2008/10 von Opel/Vauxhall und General Motors in Europa zu einem wichtigen Krisenmanager. Dafür wurde der heute 64-Jährige unter anderem 2009 mit dem internationalen Preis "Kommunikator des Jahres" ausgezeichnet. Heute berät er ArbeitnehmerInnen und Management in Veränderungsprozessen.
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Der König ist tot, es lebe der König. Tina Müller, Marketingvorstand von Opel, twittert am 6.3.2017: "Die Franzosen hatten schon immer einen guten Geschmack! Freue mich auf die gemeinsame Zukunft mit PSA". Karl-Thomas Neumann, CEO von Opel/Vauxhall: "Bon jour Paris, historische Ankündigung. Bin ergriffen".

Erstaunlich, wie nach Jahren der überschwänglichen Treue zu General Motors die Verantwortlichen bei Opel/Vauxhall unmittelbar ihr Fähnchen nach dem neuen Wind aus Paris richten.

Indes teilt Carlos Tavares, CEO von PSA, über Twitter sein Unternehmenskonzept und eine klare Botschaft in Richtung Rüsselsheim mit: "Wenn man der Beste ist, ist man auch geschützt".

Er gibt damit die Marschrichtung für das Opel-Management vor. Bis zum endgültigen Vertragsabschluss Ende 2017 muss ein Plan stehen, der Opel ab 2020 wieder in die Gewinnzone führt und für 2026 eine Rendite von 6 Prozent vorsieht. Übrigens: Die durchschnittliche Rendite in der Autoindustrie bei Volumenherstellern beträgt derzeit 5 Prozent.

Dieses ambitionierte Ziel soll durch jährliche Einsparungen bei Opel/Vauxhall von 1,7 Milliarden Euro erreicht werden. Mit einer weiteren Botschaft legt Tavares nach: "Die Freiheit ist streng proportional zur Profitabilität." Die Träume von einer Elektro-Marke Opel pariert er freundlich, elegant aber bestimmend. Opel muss zuerst alleine und nachhaltig den Turnaround schaffen. Erst dann können die Träume von einer reinen Elektro-Marke blühen und der Export außerhalb Europas in Angriff genommen werden.

Diese Positionierung von Carlos Tavares zeigt einen entscheidenden kulturellen Unterschied zwischen der PSA-Group und der Welt von General Motors. Konnte in der Vergangenheit gegenüber GM lediglich angekündigt und versprochen werden, zählt bei PSA das Ergebnis.

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Knapp 30.000 Arbeitsplätze und eine Fabrik wurden seit 2011 bei PSA gestrichen; jährlich werden weiterhin 2000 Beschäftigte abgebaut. Nach harten Kämpfen und Betriebsbesetzung der CGT-Gewerkschaft dürfte in der Belegschaft die Bereitschaft gering sein, einen Beitrag zur Gesundung von Opel zu leisten. Natürlich wird Tavares den Beschäftigten bei PSA und Opel die "Wettbewerbskarotte" bei Konstruktions- und Produktionsvergaben hinhalten. Das Ganze heißt dann "Site Selection Process" oder einfach " Standortwettbewerb".

In der Vergangenheit investierte GM Milliarden Dollar in Opel und bekam keine Dividende. Heute steht die Autoindustrie vor einer Zeitenwende bei grundsätzlicher Umwälzung. Milliarden an Investitionen in Mobilität der Zukunft sind insbesondere in Europa durch die strengen Abgasvorschriften notwendig. In den USA werden diese Vorschriften erst 2025, wenn überhaupt, zum Tragen kommen. Die Trump-Administration hat den Umweltvorschriften der Obama-Regierung den Kampf angesagt und Mary Barra, CEO von GM, sitzt mit am Trumpschen Beratertisch.

Bei CO2 hängt Peugeot klar ab

Opel hat heute einen Flottendurchschnitt von 127,3 Gramm CO2-Ausstoß und liegt damit im hinteren Drittel der internationalen Autoindustrie. 2020 sind 95 Gramm CO2 gesetzlich vorgeschrieben. Bei zwei Dritteln der Opel-Flotte müssen in Zukunft wegen der Gewichtsklasse sogar 91 Gramm CO2 erreicht werden. Derzeit ist keine breite Aufstellung bei Hybrid- und BEV-Fahrzeugen zu erkennen, die durch sogenannte "Creditpoints" den CO2-Flottendurchschnitt signifikant senken würden. PSA hat dagegen nach eigenen Angaben mit 101,4 Gramm CO2 einen klaren Wettbewerbsvorteil.

General Motors hat die Lust an Opel verloren

Bei 6,6 Prozent Marktanteil in einem gesättigten europäischen Markt und keiner signifikanten Ertragskraft hat GM die Lust an der Opel-Tochter verloren. 2009 war ein zentrales Argument der US-Regierung, dass General Motors die "Green Technologie" von Opel brauche, und Opel deshalb nicht verkauft werden sollte.

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Dieses Argument zieht heute nicht mehr. GM hat systematisch seit 2012 die Wasserstoff- und Elektrokompetenz aus Deutschland in die USA abgezogen. Dazu kommt, dass Opel nur noch 20 Prozent Gemeinsamkeit im Produktportfolio mit GM hat und zukünftig kapitalintensive Investitionen auf Grund der europäischen Regulationen anstehen.

General Motors ist inzwischen von der Wall Street getrieben, die Aktie  tritt seit Jahren auf der Stelle, was die Anleger ungeduldig werden lässt. Insbesondere Dan Ammann, Corporate Officer von General Motors, vertritt die Auffassung, dass Profit vor Größe stehe. Deshalb ist das GM-Management bereit, sich aus dem verlustreichen Europageschäft zurück zu ziehen. Alle anderen Alternativen bezüglich der Zukunft von Opel schätzt GM als zu teuer ein.

Deshalb gibt GM der Tochter eine gute Aussteuer mit auf den Weg, damit die Tochter auch wirklich genommen wird. Das sind 4,5 Milliarden Dollar Abschreibungen auf Investitionen, 3 Milliarden Euro Pensionsverpflichtungen für deutsche Opel-Mitarbeiter und die ersten beiden Jahre keine Lizenzgebühren (Royalties) auf genutzte Fahrzeugarchitekturen. PSA bezahlt 1,3 Milliarden Euro für Opel, 900 Millionen Euro durch die BNP Paribas  für die Opel Bank sowie 4,2 Prozent Aktienoptionen an PSA, die nach fünf Jahren verkauft werden können, wenn GM nicht als Aktionär einsteigen will. Ein wahrhaftes Schnäppchen für die PSA-Group.

Die Entwicklung von dem einst profitabelsten Unternehmen - in den 1970er Jahren hatte Opel eine Rendite von 9 Prozent -, zur ungeliebten Tochter in den letzten 88 Jahren wäre eine eigene Geschichte wert. Diese kann hier nicht erzählt werden.

Opel fehlt es an Größe, Marktanteilen und Ertragskraft, um alleine existieren zu können. Deshalb ist ein Zusammengehen mit PSA derzeit alternativlos.

Dennoch hat Opel natürlich einiges zu bieten: die Marke, deutsche Ingenieurskunst, Qualität und einen guten Marktzugang in Mittel- und Nordeuropa. Bei Opel/Vauxhall stellen 35.000 Beschäftigte in Europa 1,1 Millionen Fahrzeuge her. Das sind 31 PKW pro Kopf. Bei PSA sind es 172.000 Beschäftigte bei 3.15 Millionen Fahrzeugen, was 18 PKWs pro Beschäftigtem entspricht.

Also braucht sich Opel mit seiner Produktivität nicht zu verstecken. Die Pensionsverpflichtungen gehen an GM und die Filetstücke in die neue Company. Opel wird weiterhin für Holden und Buick Produkte bauen. PSA/Opel kann sich in die Wasserstoff-Allianz zwischen GM und Honda einbringen und wird den Ampera e in Europa verkaufen dürfen.

Die Konfliktherde zwischen PSA und Opel

PSA und Opel sind direkte Konkurrenten in Europa, mit ähnlichem Produktportfolio, Kunden und Preisen. Durch die gesamte Modellpalette hat PSA die besseren und effektiveren Motoren. Beide spielen im Wesentlichen in Europa eine Rolle, wo die Zuwachsraten wegen der Marktsättigung und dem harten Preiskampf gering sind. Beide haben in der Konstruktion und Produktion Überkapazitäten. Bei einem harten Brexit wird die Zuliefererindustrie nach UK verlagert werden müssen, wenn die Werke in Ellesmere Port und Luton erhalten bleiben sollen, um im Pfund-Raum Fahrzeuge und Teile abzurechnen.

Dies kann zu Problemen im Komponentenwerk Kaiserslautern führen. Immerhin steht der britische Markt für rund 2,5 Millionen Neuwagen pro Jahr. PSA und Vauxhall kämen dort zusammen auf mehr als 300.000 Verkäufe. Dazu kommt, dass PSA seine Komponentenfirma Faurecia extrem auslasten wird, um entsprechende Skaleneffekte zu generieren.

Die Synergien der Verschmelzung werden Stück für Stück in Konstruktion, Einkauf, Verwaltung und Produktion mit jedem neuen Modell vollzogen. Mit der nächsten Generation Corsa wird begonnen. Diese Entwicklung wurde im November 2016 um 9 Monate verschoben, um auf einer gemeinsamen Plattform mit PSA gebaut zu werden. Wo diese Gemeinschaftsentwicklung dann produziert werden wird, ist offen. Auf jeden Fall wird der Druck auf das spanische Werk in Zaragoza, ausgehend von den osteuropäischen PSA-Werken enorm sein.

Wie sagt Carlos Tavares gebetsmühlenhaft: "Das Einzige, was uns beschützt, ist Leistung." Unter diesen Umständen kann zu Beginn 2019 der Wettbewerb um die nächste Generation Mokka von neuem losgetreten werden, denn Zaragoza ist ein hochrentables Werk, aber nur bei Volllast. Sicher wird PSA genau analysieren, ob die Fahrzeuge Mokka und Crossland X nicht zu nahe beieinander liegen und die Modellpalette bereinigt werden kann.

Nach Angaben des Auto-Wissenschaftlers Ferdinand Dudenhöffer verliert Opel derzeit im Schnitt 200 Euro pro Auto und PSA gewinnt 710 Euro. Alleine diese Tatsachen zeigen die Dimensionen der Herausforderungen für Management, IG Metall und Betriebsrat in den Verhandlungen.

Mit Opel auf die Wachstumskarte zu setzten, um die Rationalisierungseffekte zu kompensieren, wird in den nächsten fünf Jahren schwierig sein. Denn GM hat mit dem Zugriff auf Patente und Lizenzen die Märkte vorgeschrieben, die Opel beliefern darf.

Was tun im Interesse des neuen Unternehmens und der Beschäftigten

Essenziell wird die Absicherung des Opel-Produktplanes für mindestens fünf Jahre hinsichtlich Entwicklungsverantwortung und Fertigungsstandorte. Es gilt festzulegen: Wer hat welche Motoren- und Getriebeverantwortung? Wie sieht die gemeinsame Zukunftsstrategie für autonomes Fahren und Elektromobilität aus, insbesondere, wo wird das "Center of Expertise" angesiedelt?

Um Opel profitabel zu entwickeln, müsste sich GM verpflichten, in den nächsten fünf Jahren keine Konkurrenzfahrzeuge auf den europäischen Markt zu exportieren. Der globale Marktzugang für Opel-Fahrzeuge darf durch GM nicht beschränkt werden.

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Im Rahmen des Turnarounds werden sicherlich Arbeitnehmerbeiträge eingefordert werden. Eine Möglichkeit ist, diese in Form einer Mitarbeiter-Kapitalbeteiligung abzusichern. Bei PSA haben die Beschäftigten heute schon 2,4 Prozent Anteil am Unternehmen, ein Stimmrecht im Wert von 3,1 Prozent. Um die Mitbestimmungsrechte umfassend wahrnehmen zu können, ist die zukünftige Unternehmensform entscheidend. Wie wird die Eigenständigkeit der Marken Opel/Vauxhall abgebildet und wie wird die Management- und Verantwortungsstruktur innerhalb des neuen Konzerns festgeschrieben?

Von zentraler Bedeutung ist, dass ein Prozess vereinbart wird, entlang dessen die Synergien und damit die Einsparungen bei der Zusammenlegung gehoben werden. Es darf nicht sein, dass ausschließlich den Beschäftigten die direkten Einsparungen aus den Personalkosten angerechnet werden und alle anderen Einsparungen einseitig auf dem Konto von PSA positiv verbucht werden.

Wettbewerb gegeneinander

Es ist notwendig, mit Transparenz, Offenheit und eigenen Vorstellungen wie Visionen zu dem zukünftigen Unternehmen, den Produkten und Unternehmensplan in die Verhandlungen zu gehen. Wichtig als Ausgangsposition im Interesse der Beschäftigten von Opel/Vauxhall ist es zu treiben und nicht abzuwarten, bis das Management mit seinem Plan um die Ecke kommt. Ansonsten ist man als Getriebener in der Defensive.

Es sind die Gemeinsamkeiten mit den französischen Gewerkschaften zu suchen, sich als europäische Interessenvertretung mit einer Sprache gegenüber dem Management zu positionieren. Für PSA-CEO Tavares ist Wettbewerb gegeneinander das treibende Prinzip für Performance. Diesem Prinzip von "Spalte und Herrsche" muss die europäische Solidarität der Belegschaften entgegengesetzt werden.

Als europäischer Champion, der PSA/Opel werden will, ist es den Versuch wert, um eine europäische Aktiengesellschaft (SE) mit einer Mitbestimmungsvereinbarung nach deutschem Vorbild zu streiten. Ein Erfolg in dieser Frage wäre auch für die französischen Gewerkschaften ein Gewinn, der die Möglichkeit eröffnet, intensiver Einfluss im neuen Opel/PSA Konzern zu nehmen. Die Hochzeit kann gelingen, wenn ein guter Ehevertrag ausgehandelt wird und neben dem gemeinsamen Bett jeder auch sein eigenes Zimmer unter dem PSA-Dach hat.

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