US-Studie So schlecht hat Big Pharma die Kosten im Griff

Volkswirtschaftliche Verschwendung: Steigende Arzneimittelkosten überlasten die Gesundheitssysteme weltweit
Foto: CorbisHamburg - Noch hat Joe DiMasi seine Studie nicht veröffentlicht. Doch die Zahl, die der Forscher von der Bostoner Tufts-Universität per Pressemitteilung kommuniziert, macht in der Pharmaindustrie bereits die Runde: Auf 2,558 Milliarden Dollar belaufen sich demnach die Entwicklungskosten der Industrie pro erfolgreich vermarktetem Medikament. Vor zehn Jahren hatte DiMasi in einer ähnlichen Untersuchung noch die Zahl von 802 Millionen Dollar (um Inflation bereinigt, zu heutigen Preisen 1,04 Milliarden) publiziert.
Wenn die Zahl stimmt, signalisiert sie eine gewaltige Kostenexplosion, die weltweit die Gesundheitssysteme zu überlasten droht. Da es sich um Daten gewinnorientierter Unternehmen handelt, müssen die Last letztlich die Patienten beziehungsweise die Gemeinschaft der Krankenversicherten tragen.
Die Organisation "Ärzte ohne Grenzen", die für bezahlbaren Zugang zu Medikamenten auch in armen Ländern wirbt, reagiert mit einem wütenden Statement auf die Rechnung. "Wer das glaubt, glaubt wohl auch, dass die Erde eine Scheibe ist", ätzt Rohit Malpani, politischer Leiter der Kampagne.
Es gebe andere Studien, die den echten Entwicklungsaufwand mit 186 Millionen Dollar pro Arznei bezifferten - selbst unter Berücksichtigung der gescheiterten Forschungsvorhaben. Zudem werde heute die Hälfte der Forschungskosten gar nicht von den Konzernen selbst getragen, sondern von gemeinnützigen Organisationen oder dem Staat. Der Steuerzahler bezahle doppelt - ein Echo auf die Thesen der Innovationsökonomin Mariana Mazzucato.
Malpani sieht die Tufts-Forscher, deren Institut sich nach eigenen Angaben zu 40 Prozent aus Beiträgen der Unternehmen finanziert, als Lakaien der Industrie. Als Kronzeugen beruft er sich auf Andrew Witty. Der Chef von GlaxoSmithKline habe selbst von einem "Mythos" gesprochen, dass neue Arzneien Milliardenbeträge kosteten.
Ökonom sieht in den Zahlen "Schuldspruch für die Industrie"
DiMasi beharrt gegenüber dem Blog "Pharmalot" des "Wall Street Journal" darauf, dass seine Zahlen umfassender und aktueller seien als alle anderen. Sie beruhten nur auf den Daten der Industrie. Forschungskosten etwa der staatlichen National Institutes of Health etwa kämen noch hinzu.
Was DiMasi allerdings einrechnet, sind "Zeitkosten": Gewinne aus anderweitigen Geldanlagen, auf die Investoren verzichten, indem sie ihr Geld in langwieriger Pharmaforschung gebunden halten. Diese Kosten machen bis fast 1,2 Milliarden Dollar fast die Hälfte der Rechnung aus, können aber nicht die Kostenexplosion erklären. Tatsächlich seien die Verfahren zur Entwicklung und Genehmigung gegenüber der vorigen Studie sogar beschleunigt worden.
Teurer geworden sei die Forschung vor allem, weil mehr Projekte scheitern - nur noch 7 Prozent schaffen es bis zur Zulassung - und weil die Konzerne sich zunehmend auf komplexere biotechnische Arzneien gegen speziellere Krankheiten verlegen. Das Potenzial, mit herkömmlichen pharmakologischen Mitteln große Blockbuster herzustellen, die massenhaft konsumiert werden, ist weitgehend erschöpft.
Ökonom Dean Baker vom Washingtoner Center for Economic and Policy Research deutet die Zahlen als Beleg für das Versagen der Forschungsförderung über die durch Patentschutz garantierten Monopole. "Rasch steigende Kosten sind genau das, was man von einer Branche erwartet, die vor dem normalen Marktwettbewerb geschützt wird", erklärt Baker in seinem Blog. Zu den moralischen Problemen überteuerter Arzneien komme noch die wirtschaftliche Verschwendung.
"DiMasis große Zahlen können eher als Schuldspruch für die Pharmaindustrie gelesen werden denn als Argument für höhere Arzneimittelpreise", findet Baker. Je teurer die von den Konzernen betriebene Forschung, desto stärker seien die Argumente, um nach öffentlich finanzierten Alternativen zu suchen.