Die Wahrheit über Körpersprache (4) Verraten sich Lügner unbewusst selbst?

Bauch rein, Brust raus, Knie zusammen - und immer schön die Wahrheit sagen. Denn Lügner verraten sich von selbst durch ihre Körpersprache. Wie diese funktioniert, glaubt jeder zu wissen. Doch bei näherem Hinsehen stellt sich heraus: Ganz so einfach ist es nicht. Eine Aufklärung in fünf Teilen.
Von Stefan Verra
"Habe mit dem größten Wahlmänner-Vorsprung seit Ronald Reagan gewonnen": Selbst wenn Trump lügt, zeigt er dabei keine Anzeichen von Verspannung

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Foto: SAUL LOEB/ AFP

Klar doch, Lügner verraten sich grundsätzlich über ihre Körpersprache, weiß doch jeder. Man muss die Signale nur richtig zu deuten wissen. Buchen Sie dazu am besten das Seminar: "So werde ich zum menschlichen Lügendetektor" und kaufen Sie die dazugehörige DVD "Lügen erkennen leicht gemacht".

Es wird viel Geld gemacht mit einem sehr alten Wunsch der Menschen, die Wahrheit zu erfahren. Seit Urzeiten wollen wir wissen, ob man uns auf der Nase rumtanzt oder für dumm verkauft. Früher wurden Kaffeesatz gelesen und Orakel befragt. Im Mittelalter wurden Hexen hanebüchenen Prüfungen unterzogen, die ihre Glaubwürdigkeit belegen - meist eher: widerlegen - sollten. Das Ziel war immer dasselbe: zu erfahren, ob jemand lügt oder die Wahrheit spricht.

Verräterisch zuckende Muskeln

Seit der Jahrtausendwende muss die Körpersprache als Orakel und als Kaffeesatz herhalten. Besonders nach dem Anschlag vom September 2001 auf das New Yorker World Trade Center wurden Budgetmittel frei gemacht um potenzielle Terroristen der Lüge zu überführen. Und zwar anhand ihrer angeblich verräterischen Mimik und Gestik. (Hollywood ist prompt auf diesen Zug aufgesprungen und hat die Serie "Lie to me" daraus gemacht. Auch dort werden Verbrecher anhand ihrer Lügensignale beim Verhör überführt. Dabei wird suggeriert, Lügen ließen sich anhand von Körpersprache zuverlässig erkennen.)

Diese vermeintlich todsicheren Signale sind: Lügner verschließen häufiger den Mund und sie vermeiden direkten Blickkontakt. Manche meinen, Lügner schauten mit ihren Augen unbewusst häufig nach links oben. Besonders die Mikromimik - also minimale Bewegungen der Gesichtsmuskeln - überführten Lügner besonders zuverlässig.

Jetzt stellen Sie sich vor, Sie plaudern mit einem Kollegen. Während des Gesprächs bemerken Sie, wie er sich langsam von Ihnen abwendet, die Hand vor den Mund legt und immer öfter den Blick von Ihnen abwendet... Gut möglich, dass er Sie gerade anlügt.

Es kann aber auch sein, das ihm gerade eingefallen ist: "Verdammt!!! Ich habe vergessen, diese wichtige E-Mail an den Chef zu schicken." Auch in diesem Fall würde er den Blickkontakt meiden, sich abwenden und vor Schreck die Lippen verbeißen.

Wissenschaftlicher Humbug

Genau das ist die Schwierigkeit: Das Hauptproblem beim Erkennen von Lügen über die Körpersprache liegt nämlich nicht im Lesen der Körpersprache. Vielmehr liegt das Problem im Gehirn. Wir können zwar Körpersprache gut und genau beobachten. Was wir aber nie wissen, ist, welcher Gedanke eine konkrete Mimik oder Gestik ausgelöst hat.

Nicht einmal mithilfe von Hirnscans ist das möglich. Körpersprache ist zu diffus, als dass wir sie einem einzelnen Gedanken zuordnen könnten. Selbstverständlich ist es mit wissenschaftlichen Methoden heute möglich, Signale der Angst, Zurückhaltung und des Versteckens in menschlichen Gesichtsausdrücken und Gesten zu erkennen. Aber darauf zu schließen, dass diese Signale die Folge einer Lüge sind, ist wissenschaftlicher Humbug.

Die weltweit größte Metastudie hat ergeben, dass die Erfolgswahrscheinlichkeit, einen Lügner anhand seiner Körpersprache zu überführen bei 54 Prozent liegt. (University of Texas, UCLA, 2006) Nicht einmal geschulte Polizeibeamte schnitten besser ab. Merken Sie was? Bei dieser Quote können Sie genauso gut beim Raten bleiben.

Die CIA wartet weiterhin auf Lügendetektor-Wunderwuzzis

Noch ein Tipp: Wenn Sie wieder einmal einem Lügendetektor begegnen, empfehlen Sie ihm, sich bei der CIA zu bewerben. Die wartet dringend auf solche Wunderwuzzis.

Klar ist es bemerkenswert, wenn jemand seine gewohnten Routinen verlässt. Wenn der Ruhige plötzlich hektisch wird oder wenn dem lebhaften Menschen die Gestik einfriert. Halten Sie aber in solchen Momenten inne und fühlen Sie sich nicht sofort angelogen.

Wer sich zu viel mit Lügensignalen beschäftigt, wird nur eines zuverlässig erreichen: unter Verfolgungswahn zu leiden. Diese angeblichen eindeutigen Lügensignale sind im Alltag nämlich in allen möglichen, völlig harmlosen Situationen zu beobachten.

Mit einer antrainierten Skepsis anderen Menschen gegenüber werden Sie noch mehr Signale der Verschlossenheit ernten, die Sie dann erneut fälschlicher Weise als Lügensignale deuten. Ein Teufelskreis. Zeigen Sie also Ihrem Gegenüber Offenheit und Sympathie - und Sie werden Offenheit und Vertrauen ernten.


Was mich noch interessiert: Was empfinden Sie als wichtiger? Die Körpersprache oder den Inhalt der Worte? Schreiben Sie mir dazu eine E-Mail: info@stefanverra.com 


Unser Gastkommentator Stefan Verra  ist einer der gefragtesten Körpersprache-Experten in Deutschland. Er ist Dozent und Autor zahlreicher Bücher. Verra ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.

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