Aus dem Leben eines Personalberaters Was bei der Rekrutierung von Führungskräften alles schief gehen kann

Bewerbungsgespräch: Wie man bei der Besetzung von Top-Positionen Fehler vermeidet, zeigen Beispiele aus der Praxis
Foto: imago images / Westend611. Zeitdruck und Euphorie: Wie der falsche Kandidat den Job bekam
Vor einigen Jahren half ich bei der Besetzung eines Vorstandsmandats bei einem IT-Service-Unternehmen. Es hatten mehrere persönliche Gesprächsrunden mit unterschiedlichen Kandidatinnen und Kandidaten stattgefunden. Am Ende blieb ein Kandidat übrig. Alle waren sich einig: Er ist fachlich exzellent, er soll es werden. Doch nachdem wir ihr diese Nachricht samt einem Vertragsangebot überbracht hatten, veränderte sich das Verhalten des Kandidaten deutlich. Er stellte plötzlich Nachfragen, die man längst für geklärt hielt. Und machte Aussagen, bei denen Zweifel aufkamen, ob er wirklich der Richtige sei.
Karsten Berge ist Vorstand der Nelex AG, eine auf Führungskräfte spezialisierte Personalberatung für digitale Positionen. Er ist seit mehr als 15 Jahren Personalberater.
Konsequenterweise wurde dem Kandidaten abgesagt. Leider hatte man selbiges der Fairness halber im Vorfeld auch schon bei den anderen Kandidatinnen und Kandidaten getan. Und so scheiterte der Besetzungsprozess zum geplanten Zieldatum.
Wenig später lernte ich einen Kandidaten kennen, der einen sehr qualifizierten Eindruck machte und hervorragend auf die Vakanz zu passen schien. Ich empfahl meinem Kunden, ein erstes Gespräch zu führen. Das Feedback: Positiv, nahezu begeistert. Das Management meines Kunden beraumte nun einen kurzfristigen Gesprächsmarathon an, aus dem am Ende ein Vertragsangebot für den kurzfristig gefundenen Neu-Kandidaten hervorging.
Das Problem schien gelöst. Scheinbar. Denn schon ein Jahr später trennte man sich von dem neuen Vorstandsmitglied.
Was war geschehen? Dem Zeitdruck wich eine so überschwängliche Euphorie, doch noch schnellstmöglich einen Erfolg verkünden zu können, dass die Besetzungsprozesse nicht mehr eindeutig eingehalten wurden. Die Gespräche waren zu kurzfristig, vielleicht zu unreflektiert oder zu emotional - und es war kaum möglich, den Kandidaten wirklich mit Referenzen auf Herz und Nieren zu prüfen. Mein Fehler: Ich hatte - auch etwas angesteckt von der Euphorie meines Kunden, doch noch eine schnelle Lösung zu finden - die Zügel aus der Hand gegeben. Die Prozesse wurden nicht mehr klar eingehalten, die Checks stimmten nicht mehr, es wurde überwiegend mit dem Bauch und nicht mehr mit dem Kopf entschieden. Und am Ende wurde der falsche Kandidat ausgewählt. Eine spätere Besetzung hätte dem Unternehmen deutlich weniger Schaden hinzugefügt als die Falschbesetzung.
Daraus habe ich gelernt: Auch wenn der Kunde es noch so eilig hat: Es ist unser Job als Personalberater, für die Einhaltung des Prozesses zu sorgen. Und intensiv auf unseren Kunden einzuwirken, diesen zu befolgen. Weigert er sich, ist es die vernünftigere Entscheidung, das Mandat niederzulegen. Jedoch werden Sie überrascht sein: Das habe ich danach nie tun dürfen. Im Gegenteil: Gerade die Personalchefs haben es als große Hilfe empfunden, dass ein Externer ihnen hilft, auch ihr eigenes Management zurück auf den geordneten Weg zu begleiten.
Den Job schön geredet: Wie die Erwartungshaltung von Kandidatinnen und Kandidaten bitter enttäuscht wurden
2. Den Job schön geredet: Wie die Erwartungshaltung von Kandidatinnen und Kandidaten bitter enttäuscht wurden
Ein Personalberater muss auch ein wenig wie ein Anwalt oder PR-Manager agieren: Seine Kunden sagen ihm am besten genau und ehrlich, was im Unternehmen gut läuft und was nicht. Wenn dieses Vertrauen nicht vorhanden ist, beginnt der Personalberater seine Mission möglicherweise unter vollkommen falschen Voraussetzungen. Mir ist das einst mit einem ausländischen Software-Anbieter passiert, der in Deutschland einen Wachstumskurs einschlagen wollte.
Über eine Empfehlung hatte ich einen Termin beim lokalen Management erhalten, das mir die neuartigen Produkte als der nächste große Trend in ihrem Bereich beschrieb und gleichzeitig das Thema Unternehmenskultur wie ein Mantra vor sich hertrug. Nun habe ich bereits mit einer Vielzahl an IT- und Software-Unternehmen zusammengearbeitet, habe selbst in diesen Firmen gearbeitet. Es gab für mich keinen Grund, an den Aussagen zu zweifeln. Und der strategisch-langfristige Wachstumsplan überzeugte mich.
Also begannen wir den lokalen Markt nach den Talenten und Führungskräften zu durchleuchten, die sich der Kunde gewünscht hatte. Zwar war die Marke noch nicht breit bekannt. Doch wir sorgten dafür, dass über unsere Reputation in der Branche das Unternehmen bei den Kandidatinnen und Kandidaten mit einer hohen Glaubwürdigkeit wahrgenommen wurde. Es fiel uns leicht, innerhalb weniger Monate mehrere relevante Stellen zu besetzen.
Enttäuscht von den neuen Jobs - weil der Suchfokus nicht passte
Die Probleme begannen einige Monate später, als sich vermittelte Kandidatinnen und Kandidaten bei uns meldeten und sich enttäuscht zeigten ob ihres neuen Jobs. Wir wurden hellhörig: Die Software war noch lange nicht auf dem Stand der Entwicklung, wie man es uns mitgeteilt hatte. Die Unternehmenskultur war - wie richtig mitgeteilt: leistungsorientiert - allerdings auch ein stückweit kalt und weniger Zwischenmenschliches fördernd, als das Management sie uns angepriesen hat.
Die Kandidatinnen und Kandidaten fühlten sich in ihrem neuen Job überwiegend nicht wohl, weil die Diskrepanz zwischen dem, für das wir geworben hatten und der Realität zu groß war.
Dabei wäre das alles überhaupt kein Problem gewesen. Hätte uns der Kunde ehrlich erzählt, wo der Stand der Software ist: Wir hätten die richtigen 'Troubleshooter' identifiziert, die genau eine solche Aufgabe gesucht hätten. Und hätte uns das Management mitgeteilt, dass die zwischenmenschliche Komponente sich in Events, aber nicht in der Alltagskultur ausdrückte: Wir hätten nach denjenigen Kandidatinnen und Kandidaten Ausschau halten können, die ein ähnliches System bereits kennen und sich darin bewiesen haben - ohne etwas anderes zu vermissen. Wir hätten die Richtigen gefunden, die mit realistischer Erwartung sehenden Auges in den neuen Job gegangen wären. Das hätte noch nicht einmal länger gedauert, wir hätten nur den Suchfokus ändern müssen.
Daraus habe ich gelernt: Heute hinterfrage ich neue Kunden lieber dreimal mehr. Ich versuche ihnen die Furcht zu nehmen, sich so zu zeigen, wie sie wirklich sind. Und offen mitzuteilen, wo sie Probleme haben und welche Herausforderungen wirklich anstehen. Wenn jemand heute behauptet, bei ihm laufe alles und grundsätzlich gut, hake ich erst recht so lange nach, bis ich verstanden habe, welche Seele das Unternehmen wirklich hat, mit dem ich es künftig zu tun habe. Um dann mit meinem Team im Markt genau die richtigen Kandidatinnen und Kandidaten zu finden, die sowohl fachlich als auch kulturell passen. Und ihnen ein realistisches Angebot machen zu können, das zu ihrer Erwartungshaltung passt. Davon profitieren alle Seiten.
Von der Operative erschlagen: Warum wichtige Besetzungen an profanen Themen zu scheitern drohten
Von der Operative erschlagen: Warum wichtige Besetzungen an profanen Themen zu scheitern drohten
Seit jeher arbeite ich nicht nur für deutsche Konzerne, sondern auch für mittelständische Unternehmen oder ausländische Gesellschaften. So unterschiedlich letztere sein mögen, eins haben sie häufig gemein: Es gibt eine nur sehr schmal gehaltene Personalabteilung, insbesondere wenn es um die Rekrutierung von Fach- und Führungskräften geht.
Auch bei Mittelständlern ist es durchaus üblich, nur ein bis zwei Personen in der Rekrutierung zu beschäftigen - teils ohne nachgeordnete Mitarbeiter und wiederum in direkter Berichtslinie zur Geschäftsführung, um die Prozesse möglichst schlank zu halten.
Zum Problem kommt es regelmäßig, wenn kompliziertere Rekrutierungen oder gleich eine große Anzahl an Neueinstellungen zu bewältigen sind. So bin ich für ein grundsätzlich exzellent geführtes, produzierendes Industrie-Unternehmen tätig gewesen. Die Geschäftsführung hatte mehrere Fach- und Führungspositionen neu als Vakanzen ausgerufen und wir sollten helfen, diese Vakanzen zu füllen. Als Ansprechpartner intern standen exakt zwei Rekrutierer zur Verfügung, die neben den mit uns zu besetzenden Positionen auch für eine fortlaufende Anwerbung von Mitarbeitern zuständig waren. Unterstützt wurden sie von einer Assistentin.
Die Probleme begannen schon wenige Tage nach Beauftragung durch die Geschäftsführung. Wir versuchten Termine zur Definition von passgenauen Profilen abzustimmen. Zunächst war es gar nicht so leicht, unseren neuen Kunden ans Telefon zu bekommen. Dann wurden mehrere Termine mit uns festgelegt, die kurz darauf wieder verschoben wurden.
Wenn der Kunde im Workshop immer wieder zum Handy greift
Ein Workshop drohte gar völlig aus den Fugen zu geraten, denn selbst in den wahrgenommenen Terminen mussten Mitarbeiter unseres Kunden immer wieder den Raum verlassen, um zu telefonieren oder um Emails beantworten. Das setzte sich fort: Wir hatten mühsam alle Abstimmungen abgeschlossen und erste Kandidatinnen und Kandidaten sortiert - da stießen wir erneut auf ein, ich möchte fast sagen, Termin-Chaos. Jetzt noch verschärft dadurch, dass wir Dritte ebenfalls mit in die Termine einbinden mussten.
Die Gespräche liefen teils schlecht vorbereitet, die Rekrutierer waren wenig konzentriert. Der ein oder andere exzellente Kandidat sprang uns mitten im Prozess ab, weil ihn der potenzielle neue Arbeitgeber so nicht überzeugen konnte. Und wir konnten es ihm nicht einmal verübeln.
Zum Schutz der Rekrutierer ist zu sagen: Das waren eigentlich sehr gut Leute, die wirklich alles versuchten, ihrem Job gerecht zu werden. Die aber aufgerieben wurden zwischen kurzfristigen Notwendigkeiten - vor allem was Mitarbeiter anging - und langfristigen strategischen Besetzungen auf Führungsebene.
Nachdem wieder eine tolle Kandidatin abgesagte hatte, fasste ich mir ein Herz und sprach sie direkt darauf an. So gehe es nicht weiter. Und beide reagierten ganz offen: Sie hätten der Geschäftsführung schon mehrfach vorgeschlagen, mehr Ressourcen und Personal einzusetzen. Aber man wolle diesen Weg nicht gehen, um die Kosten nicht ausufern zu lassen. Es sprach auch eine Menge Frust aus den Worten dieser Rekrutierer. Man bat uns, ebenfalls für sie bei der Geschäftsführung Partei zu ergreifen.
Ehrlich gesagt hatte ich das erwogen. Und es dann wieder verworfen. Denn mir wurde klar: Die Entscheidung der Geschäftsführung war nicht grundsätzlich falsch. Es gab Spitzenzeiten, in denen die Rekrutierer - wie gerade - überlastet waren. In anderen Zeiten jedoch hatten sie deutlich weniger zu tun und würden mit größerer Teamstärke nicht adäquate Kosten verursachen. Darum ging ich mit einem anderen Vorschlag auf sie zu. Ich schlug vor, die Aufgaben und damit Verantwortung klarer zu teilen. Wir übernahmen zum Beispiel die Koordination der Termine. Wollten die Rekrutierer bisher stets nach jedem Gespräch selbst einen Bericht schreiben, erstellten nun wir eine entsprechende Vorlage, die sie der Geschäftsführung zur Verfügung stellen konnten. Sie gaben an uns ab und erlangten so die Möglichkeit, sich intensiver auf die Gespräche vorzubereiten und sie konzentrierter wahrzunehmen. Am Ende gelang es wieder, Kandidatinnen und Kandidaten zu begeistern.
Daraus habe ich gelernt: Als Dienstleister sind wir maximal adaptiv hin zum Kunden - aber manchmal ist es eben auch notwendig, Prozesse völlig neu zu definieren und auszufüllen. Dazu bedarf es keiner klagenden Worte, sondern nach klarer Analyse eines ehrlichen Rats und Vorschlags, wie man effizienter und effektiver die Zusammenarbeit gestalten kann. Und dazu braucht es nicht immer mehr Geld und Ressourcen, sondern vor allem Vertrauen.
Karsten Berge ist Vorstand der Nelex AG, eine auf Führungskräfte spezialisierte Personalberatung für digitale Positionen. Er ist seit mehr als 15 Jahren Personalberater.