Wie wird man digitalschlau? 18 Top-Manager über die Mühen ihrer digitalen Fortbildung

Wie bleibt (oder wird) man im Zeitalter der Digitalisierung kompetent? Zwei Autoren haben sich bei Spitzenkräften nach deren Rezepten umgehört
Von Markus Klimmer und Jürgen Selonke
Foto: DPA; PR

Seit etwa 1700 ist im deutschen Sprachraum eine Redewendung gebräuchlich, die sich bis heute erhalten hat: Alle Wege führen nach Rom. Der Spruch ist unverändert aktuell und bedeutet bekanntlich so viel wie "alle Möglichkeiten führen zum Ziel". In diesem Sinne hat ihn auch die deutsche Führungs-Elite adaptiert: Es gibt unendlich viele Wege, sich in Sachen Digitalisierung sachkundig und bewertungssicher zu machen. Aufgepeppt könnte man also auch sagen: Alle Wege führen in das Denken des Silicon Valley.

Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, wie die persönliche Annäherung des Einzelnen an das Thema aussieht. In der Sache stehen die Verantwortlichen hier auf einem gemeinsamen Fundament: Ohne grundsätzliche Kenntnisse der digitalen Welt und ihrer Möglichkeiten ist heute kein Unternehmen mehr zu führen. Das hat sich fest im Bewusstsein verankert und lässt sich als roter Faden bei allen Gesprächen heraushören. Dabei scheint der erste Schritt zur neuen Wissens-Aneignung den CEOs nicht immer leichtzufallen. Freenet-Chef Christoph Vilanek formuliert es so:

Ich halte es für ein Privileg, Nichttechniker zu sein. In der Diskussion mit Technikern erlebe ich immer, dass die gar nicht verstehen, was Menschen für Probleme mit der Technik haben können. Dazu eine kleine Anekdote: Wir hatten vor drei Jahren mal entschieden, dass wir zu unseren Android-Handys Virenschutz verkaufen. Da haben unsere Techniker gesagt: Das kann man doch gratis im Internet herunterladen. Da habe ich gesagt: Ihr schon - ich nicht.

Bei diesem Schlaumachen feiert als eine Möglichkeit die gute alte Messe ein Comeback - jetzt kommen immer mehr Chefs persönlich. Vilanek: "Seit rund drei Jahren besuche ich relativ viele Messen, weil ich das Gefühl habe, sonst den Anschluss zu verlieren. Messen vermitteln mir eine Stimmung über den Fortschritt und darüber, was unsere Industrie bewegen wird. Sie werden durch die Digitalisierung nicht überflüssig. Im Gegenteil."

Messen als Informationsquelle nennt auch Eckhard Nagel, Mitglied des Aufsichtsrats der Charité: "Es gibt zumindest in Deutschland eine wichtige, die Medica in Düsseldorf. Dort wird in einer großen Bandbreite der technische und technologische Fortschritt in der Medizin dargestellt. Dies gilt auch für die verschiedensten Anwendungsformen der IT. Die Medica ist sicher ein Ort, an dem man sich umfänglichst informieren kann." Wobei Nagel allerdings einschränkt: "Die Bandbreite des IT-Angebots ist mittlerweile so groß, dass man nur schwer einen Überblick gewinnt. Wenn man die verschiedensten Ideen hört, die Firmen im Gesundheitsbereich platzieren wollen, erkennt man, dass solche Entwicklungen einfach ihre Zeit brauchen." (...)

Skepsis im Hinblick darauf, sich bewertungssicher zu machen, äußert Nagel in Bezug auf Berater:

Natürlich braucht es Experten, um die Digitalisierung auch im Krankenhausbereich zu etablieren. Heute sind das in aller Regel Berater, die vor dem Hintergrund ihrer eigenen Spezialisierung ein Angebot unterbreiten, das sie selbst abdecken können. Damit wird häufig die Komplexität der Probleme nicht ausreichend abgedeckt. Ich persönlich bin also diesem Verfahren gegenüber eher skeptisch. Denn um die individuellen Bedürfnisse und die übergeordnete Infrastruktur abdecken zu können, bräuchte es nicht nur gute Ratschläge und Konzepte, sondern auch das umfassende technische Equipment und die Fähigkeit, es zu implementieren.

Von Ausstellungen und Messen, um sich als Vorstand zu vergewissern, wohin die Reise geht, hält dagegen Tanja Wielgoß ,Vorstandschefin der Berliner Stadtreinigungsbetriebe, wenig:

Ich versuche eher, mir ungefilterte Einschätzungen von außen geben zu lassen. Das kann auch implizit geschehen: Wer bewirbt sich bei uns, gerade auch im IT-Bereich? Gelingt es uns überhaupt, das Interesse guter Bewerber zu wecken? Wollen Start-ups mit uns zusammenarbeiten? Mein Eindruck ist hier vor diesem Hintergrund, dass wir in der digitalen Welt, auch im Vergleich zu unseren Partnern und Wettbewerbern, gut aufgestellt sind.

Freiraum räumt Tanja Wielgoß ihren IT-Experten ein: "Die machen in der Tat oft ihr eigenes Ding." Und das sei im Endeffekt wichtiger als dirigistische Vorstände. Wenn IT-Verantwortliche und IT-Nutzer Freiraum haben, eigene Ideen zu entwickeln, brächten sie oft eine Organisation voran.

Die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dass die Beschäftigten auf den Ebenen zwei, drei oder vier viel näher dran sind an der realen Welt und insbesondere auch die Jüngeren an der digitalen Welt. Klar können sich zum Beispiel Eltern über Kinder auf dem Laufenden halten. Aber es ist etwas anderes, als wenn ich wirklich selbst in der digitalen Welt lebe und in ihr aufgehe. Ich arbeite zwar viel digital, bin aber kein Digital Native.

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DigitalLeadership: Wie sich Top-Manager digital schlau machen

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anja Wielgoß betont die Notwendigkeit, die eigene IT weitgehend selbstständig arbeiten zu lassen: "Wenn wir unserer IT eine weitere Organisation zur Seite stellen, wäre das kontraproduktiv. Unsere ITler sind stolz, zur Spitze in Berlin zu gehören." Ihrer Überzeugung nach ergeben sich nachhaltigere Lösungen für ein Unternehmen, wenn Entwicklungen aus der eigenen Organisation heraus kreiert werden. Wielgoß: "Da sich unsere Kundenbetreuer und IT-Experten auf die Kunden einstellen und deren Bedürfnisse kennen, ergeben sich eine Menge wertschöpfender digitaler Lösungen für beide Seiten: der elektronische Rechnungsaustausch ist ein Beispiel dafür."

In manchen Fällen reicht es den Chefs also offensichtlich, ein Gespür dafür zu entwickeln, was angesagt ist. Man muss es nicht unbedingt verstehen. Wichtig ist, den Trend zu erkennen und zu wissen, wo im eigenen Unternehmen Leute sitzen, die sich dafür interessieren. Mit denen wird der Austausch gesucht. Die digitale Wissensvertiefung der Chefs hat insoweit klassische Hierarchien aufgebrochen. Sie lassen gezielt Kompetenz an sich heran oder organisieren diese um sich herum.

Ein internes Netz von Mitarbeitern, die der Chef fragen kann, wird zunehmend wichtiger. Erst danach werden als weitere Informationsmöglichkeiten Gespräche mit Vorstandskollegen und den Spezialisten im Unternehmen genannt. Wissenssuche ist also auf breitester Basis angesagt. Vilanek: "Wenn ich weiß, der kennt sich aus, renne ich zu dem hin und lasse mir das erklären. Das größte Hemmnis ist, die Frage auch als Chef zu stellen. Diese Hemmung muss man ablegen."

Innerbetriebliche Kapazitäten nutzt auch Tanja Gönner, Vorstandssprecherin der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit. Sie hat für das Thema Digitalisierung über alle Organisationseinheiten hinweg eine übergreifende Arbeitsgruppe eingerichtet: "Darin haben wir Leute, die in unterschiedlichen Bereichen arbeiten und zwischen 25 und 60 Jahre alt sind. Sie bearbeiten das Thema gemeinsam und treten auch gemeinsam auf im Gespräch mit dem Vorstand. Sie haben einen Orientierungsrahmen für die Thematik erstellt und machen jetzt noch die weiteren Schritte in der Operationalisierung des Ganzen."

Wesentliche Basis-Informationen dazu liefert die unternehmensinterne Arbeitsgruppe Digitaler Wandel:

Sie hat die Aufgabe zu sagen, was wir in unserem Leistungsangebot verändern müssen. Sie kümmert sich gleichfalls um die Fragen, welche Digital Skills für die eigenen Mitarbeiter notwendig sind, wie sich die Digitalisierung auf unsere Arbeitswelt auswirkt und, ganz wichtig, wie wir unsere internen Prozesse durch die Digitalisierung effizienter gestalten können. Außerdem wollen wir unser sogenanntes 'digitales Ökosystem' stärken - also stärker in den Netzwerkaufbau investieren mit Start-ups, Wirtschaft und Wissenschaft, insbesondere auch in unseren Partnerländern. Denn Innovationen entstehen nicht unbedingt im klassischen Umfeld der Entwicklungszusammenarbeit. Insbesondere auch die verantwortungsvolle Datennutzung wird ein großes Thema werden.

Nicht alle Punkte wurden selbstständig und allein in Angriff genommen. Teilweise waren Berater involviert, es gibt außerdem eine erfolgreiche Arbeitsgemeinschaft mit der Bundesagentur für Arbeit. Gönner: "In diesem Rahmen sind wir sehr intensiv in die Diskussion über die Frage IT-Strategie und Digitalstrategie gegangen. Damit haben wir uns als Vorstand beschäftigt und die weiteren Schritte eingeleitet."

Nach ihrer Ansicht ist Change auch im öffentlichen Sektor möglich und notwendig. Tanja Gönner: "Ich würde jede andere Behauptung immer von mir weisen. Der ist auch nicht langsamer, wie es ja gern behauptet wird. Teilweise kann er durchaus auch Treiber sein. Wenn man einmal an einem Punkt eine negative Erfahrung gemacht hat, wirkt dies sehr viel länger nach als vielleicht in einem Unternehmen. Aber es ist falsch, der öffentlichen Hand per se Langsamkeit nachzusagen."

Für Johann Bizer ist es bei der Wissensbildung hilfreich, dass er ein Problem zum besseren Verständnis im Gespräch mit den Mitarbeitern "auch mal anfassen" darf. Nur dann hätte er die Chance, selber zu wissen, wo das Unternehmen steht. Gleichzeitig sei es für ihn wichtig, dass ihm Kollegen ihr Produkt selbst vorstellen. Dataport habe rund 160 Produktverantwortliche, alle seien ihm persönlich bekannt. Bizer: "Und über die Jahre waren die auch alle schon bei mir. Bei diesen Kontakten verbindet sich das, was technisch geht und was gemacht worden ist, sofort mit der Zukunftsvision. Das sauge ich auf wie ein Schwamm. Dieser Vorgang ist für mich ein innovativer Prozess. Das fixt mich an. Das vergesse ich auch nicht."

Das persönliche Gespräch habe gegenüber der Schriftform den weiteren Vorteil, dass die Mitarbeiter über die durchgeführte Präsentation ergänzende Details anbringen: "Sie erzählen dann auch, was sie sich noch vorstellen. Was sie vielleicht ergänzend machen könnten, wenn es mehr Budget geben würde, was sie dem Auftraggeber gern vorstellen würden."

Christoph Straub sieht es ähnlich: "Meine persönliche Technik ist es, mit vielen Menschen zu sprechen und möglichst Schritt für Schritt auf der Basis eigener Erfahrungen zu lernen." Wie wichtig gerade der letztgenannte Punkt ist, unterstreicht er mit einer Erfahrung aus dem eigenen Berufsleben:

Vor einigen Jahren kam jemand mit einer damals revolutionären Idee auf mich zu. In einer Reha-Klinik im Allgäu wollte der Chefarzt den Patienten nach der Behandlung in der Klinik die Möglichkeit geben, über einen längeren Zeitraum sich in einem Chat-Raum einzuloggen, um dabei mit dem Therapeuten die Therapieerfolge zu besprechen. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt in meinem Leben noch nie gechattet und hielt die Idee für Unfug. Trotzdem haben wir es gemacht, und das Modell war erfolgreich. Seither versuche ich immer, mit den Leuten intensiv zu reden und unterschiedliche Meinungen einzuholen.

Das Einholen solcher verschiedenen Gedanken hat für Straub höchste Priorität:

Das gezielte Nutzen der Kompetenzen vieler Menschen kommt meiner eigenen Bewertungssicherheit zugute. Gerade im Bereich der digitalen Technologien, der wie kein anderer Bereich sich rasant weiterentwickelt, ist der regelmäßige Austausch mit Kennern und Experten sehr wichtig. Denn auch hier zählt nicht immer die schnellste Entscheidung, sondern die strategisch klügste. Man muss sich vor denen schützen, die sich nicht vorstellen können, welche extreme Veränderung auf uns zurollt. Man muss sich aber auch vor denen schützen, die zu euphorisch sind.

IBM-Deutschlandchefin Martina Koederitz hat in ihrem Unternehmen beobachtet, dass ein Initiativschwung durchaus Erfolg haben kann - wenn es denn die Ausrichtung des Unternehmens erfordert: "Unsere Branche war von Anfang an eine digitale Branche. Wir haben die letzten vierzig Jahre nichts anderes gemacht, als die Prozesse unternehmensweit zu digitalisieren, im Sinne von Automation, Produktivität und Effizienz. Wir unterlagen immer einer anderen Art von Wettbewerb bezüglich der Geschwindigkeit, in der man neue Produkte, Technologien und Leistungen an den Markt bringen muss."

Der eine vertraut also dem Learning by Asking, der andere setzt auf das klassische Learning by Doing. Ex-Vodafone-Deutschlandchef Jens Schulte-Bockum bringt zusätzlich ein Learning by Testing in die Diskussion: "Die CEOs heute sind alle zwischen 40 und 60, also keine Digital Natives. Deshalb muss man als CEO alles selber früh ausprobieren. Diese Aufgeschlossenheit wird jetzt immer wichtiger." (...)

Eberhard Veit, Ex-Chef von Festo, (...) nimmt sich und seine Kollegen streng in die Pflicht:

Heute kann sich kein Vorstand aus der Verantwortung schleichen, selber auch an der Front der Technologien dabei zu sein, gerade weil die so schnelllebig sind. Man muss ein Gefühl dafür entwickeln, nicht über irgendwelche Berichte, Zahlen und sonst irgendwas, sondern das muss man erleben. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Deshalb darf sich der CEO nie von den Kerntrends und Kerntechnologien entfernen und muss sich selber einen Trend einfallen lassen. Um Geschwindigkeit aufzunehmen, muss man bei der Durchsetzung dieses Ganze als Aufgabe eines CEO begreifen. Nur dann lassen sich solche Themen mit noch höherem Tempo betreiben. Es geht darum, die Geschwindigkeit gegenüber Asiaten und allen anderen nicht zu verlieren. Denn die erkennen aktuelle Trends auch.

Die Rezepte von Frank-Jürgen Weise und Timotheus Höttges

Einen gegensätzlichen Ansatzpunkt pflegt heute Frank-Jürgen Weise, Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. Er erschließt sich alles über Menschen: "Ich schaue mir nicht mehr im PC die Cluster zu den Finanzen oder die Lage der Agenturen an. Ich lasse mir den Ausdruck geben und spreche dann mit dem Zuständigen." Rückblickend hält er für sich fest:

Ich war immer Controller und Logistiker. Ich habe direkt und höchst intensiv mit Digitalisierung gearbeitet. Das war das Medium, mit dem ich mich ausgedrückt habe. Ich habe die Unternehmenswelt über Zahlenreihen, Grafiken und Korrelationen erfasst und dadurch eine Unternehmenswirklichkeit beschrieben. Das habe ich alles selbst gemacht und auch darin gearbeitet. So habe ich mich bewertungssicher gemacht und orientiert.

Dennoch hat er aktuell seine Methode umgestellt. Weise:

Allein in der BA habe ich ein differenziertes Geschäft mit drei Business-Units: Familienkasse mit höchster Komplexität, steuerfinanzierte Grundsicherung, im Volksmund Hartz IV genannt, mit einer komplexen Governance-Struktur und die Versicherung. Dazu kommen dann noch die regionalen Ebenen in einem föderalen Staat. Wenn ich mir das alles selbst am PC erschließen würde, wäre das zu aufwendig. Ich sitze stattdessen hier, habe nichts mehr in der Hand und höre dem Menschen zu. Darüber erschließe ich mir die Themen.

Deshalb ist für ihn klar: Die Basis ist Digitalisierung, aber in der letzten Meile läuft es über Führungskräfte und direkte Berichterstattung. Digital auf dem aktuellen Stand fühlt er sich trotzdem:

Wenn für mich neue Themen kommen, wie die Entwicklung von neuen digitalen Perspektiven, dann lese ich viel, und zwar nicht unbedingt Fachjournale. Ich lerne also die Community kennen und wähle dann diejenigen aus, von denen ich denke, dass sie etwas Bedeutendes sagen. Ich lese übrigens auch viel von den Beratern, etwa zum Thema Führung. Deren Broschüren zu bestimmten Themen sind in der Regel richtig gut. Man bekommt den Überblick, hat aber auch eine Fachexpertise dabei. Auch sehe ich mir das Internationale an, sodass ich mir insgesamt über das Lesen und im Gespräch den Zugang zu den Themen erarbeite.

(...) Alle, denen die letzten Details der digitalen Entwicklung verborgen bleiben, können sich mit dem trösten, was Florian Bieberbach sagt, Chef der Stadtwerke München. Der hat immerhin sein Informatikstudium einst als Jahrgangsbester abgeschlossen. Bieberbach, bei Amtsantritt keine 40 Jahre alt und damit einer der jüngsten CEOs in Deutschland überhaupt:

Ich könnte mich heute nicht mehr in die IT-Abteilung setzen und als Software-Entwickler diese irgendwie nennenswert unterstützen. Ich bräuchte wahrscheinlich ein halbes Jahr Einarbeitungszeit, um dort überhaupt wieder produktiv tätig sein zu können. Ich möchte also von mir nicht behaupten, dass ich wirklich auf dem aktuellen Stand bin. Jetzt interessiert mich nur noch, was da ungefähr passiert. Ich habe aber nicht mehr den Anspruch, selbst zu wissen, was die neusten Apps und Gimmiks sind, was also 'leading edge' ist. Ich glaube auch nicht, dass das notwendig ist oder dass es möglich ist, den Überblick zu behalten.

Im Hinblick auf eigene Entscheidungsfindungen spielt seine IT-Ausbildung heute nur noch eine schwächer gewordene Rolle. Bieberbach:

Aber ein paar Grundprinzipien aus der Informatik vergisst man wahrscheinlich nie. Das Wichtigste ist die Art und Weise, wie man komplexe Problemlösungen angeht. Ein Informatiker versucht immer, das komplexe Gesamtproblem in Teilprobleme zu modularisieren, und bricht es so weit runter, bis er auf banale Rechenoperationen kommt. Ich versuche also überschaubare Einzelprobleme zu finden, die ich dann lösen kann.

Heute ist ihm wichtig, dass es "hier im Haus ein paar Leute gibt, die auf dem aktuellen Stand sind. Das geht wahrscheinlich realistisch nur dadurch, dass man permanent frisches Blut von der Uni reinbringt. Man braucht ständig neue Leute, die ins Unternehmen kommen. Denen muss man gut zuhören und in einem gewissen Maße auch vertrauen."

Diese Methode löst das klassische Denken in Positionsebenen zunehmend ab. Tatsächlich hat sich bei den meisten CEOs eine klare Erkenntnis durchgesetzt: Bei technischen Fragen rund um die Digitalisierung gibt es keine Hierarchie. Und bei persönlicher Neugierde und auch beim Stellen dummer Fragen gibt es keine Grenzen. Insoweit seien die Zeiten persönlicher Eitelkeit vorbei. Ähnlich sieht es auch Christoph Vilanek: "Kein Mitarbeiter erwartet, dass sein Vorstand ein digitaler Experte ist. Die eigene Glaubwürdigkeit steigt jedoch, wenn der Chef deutlich machen kann, dass er sich positiv mit den Dingen beschäftigt. Die Mitarbeiter nehmen ihn dann ernster."

Mehr als eine oberflächliche Beschäftigung wollte Deutsche-Telekom-Chef Timotheus Höttges:

Mein Aufenthalt im Silicon Valley, bei dem ich mehrere Wochen bei großen Internet-Konzernen und kleinen Start-ups, aber vor allem in der Universität Stanford sozusagen auf der Schulbank gesessen habe, war eine besonders konzentrierte Lernphase. Das kann ich jedem Kollegen nur empfehlen. Es war eine Auszeit und zugleich eine sehr intensive In-Zeit. Ich wollte bei dieser Lernreise verstehen, warum die Firmen im Silicon Valley so einzigartig sind. So einzigartig erfolgreich, dynamisch und groß. Ich habe mir von Kollegen, aber auch von Professoren und Forschern erklären lassen, was die Innovations- und Arbeitskultur im Valley ausmacht und wo wir in Europa besser werden können. Ich habe aber zugleich erkennen und fühlen können, wo unsere europäischen Stärken und Werte liegen. Wir müssen nicht nur hinterherlaufen, sondern können eigene Wege finden.

Im Arbeitsalltag setzt er viel auf Gespräche:

Mit Mitarbeitern, anderen Industrievertretern und Kunden. Da gibt es so viel Kreativität, Erfahrung und Knowhow. Das bereichert das eigene Wissenskapital und führt zu neuen Denkanstößen und Ideen. Und natürlich ist der Dialog mit Kunden essentiell, um zu verstehen, was sie benötigen, sich wünschen oder erwarten. Die Digitalisierung ist ja kein Selbstzweck, sondern soll den Menschen das Leben erleichtern, es sicherer machen und schöner.

Als generelle Grundlinie sieht Höttges: "Neugierde, permanentes Lernen und Austausch. Und noch wichtiger: Zeit nehmen. Wer sich als CEO im Hamsterrad fühlt, getrieben vom Alltag, macht etwas grundlegend falsch."

(...)

Alf Henryk Wulf, Vorstandschef der GE Power AG, macht es einfach Spaß, sich mit neuen Themen zu beschäftigen:

Für mich war der Jobwechsel von der Telekommunikation hin zur Energie in der Wahrnehmung wie ein frischer Wind durchs Gehirn. Beim Herangehen an das Digitale ist bei mir eine grundlegende Affinität da und andererseits ein ständiges Weiterdenken - nicht beharren, nicht stehenbleiben, nicht den Status quo als endgültig abhaken. In der Energiebranche dachten früher alle, das Geschäftsmodell sei stabil auf Dauer und man müsse da nicht weiterdenken. Man konnte gutes Geld verdienen, und Innovation war eigentlich nicht wirklich erforderlich. In der Telekommunikationsbranche sind der Wandel und die extrem kurzen Lebenszyklen normal. Das sickert jetzt nach und nach in die Energiebranche ein. Es ist aber wirklich ein Sickern und kein großer Schwall, wie er vielleicht nötig wäre.

Diesen von Alf Henryk Wulf erwünschten Schwall hat IBM schon vor langer Zeit in Gang gesetzt. Hier diskutiere man jetzt bereits die nächste Stufe der Digitalisierung im Sinne eines datengetriebenen Geschäftsmodells. Koederitz:

In der Digitalisierung entscheidet nicht der Prozess darüber, ob ein Geschäftsmodell gut ist. Es geht vielmehr darum, wie gut man es schafft, aus vorhandenen Daten den besten Nutzen für den Kunden zu stiften. Diesen Sprung haben noch nicht viele gemacht. Denn wir diskutieren zur Zeit in die Richtung, dass wir diese Modelle nicht wollen, weil wir mehr Datenschutz wollen, um unsere Bürger zu schützen. Da frage ich: Wovor denn genau?

Die Methoden von IG-Metall-Chef Hofmann und Erich Sixt

Die Möglichkeiten, die sich im eigenen Betrieb bieten, nutzt Frank Briegmann, Zentraleuropachef von Universal Music und Deutsche Grammophon:

Ich würde mich nicht als Digital Native, sondern eher als Digital Immigrant mit erfolgreich bestandenem Einwanderungstest bezeichnen. Ich mache mit zwei jungen, talentierten Digital Native Mitarbeitern regelmäßig eine Art Intensiv-Workshop, in dem wir die neuesten Entwicklungen analysieren. Was anfangs Nachhilfe auf hohem Niveau war, ist heute ein spannender Austausch auf technologischer Augenhöhe.

Frank Briegmann ist "relativ viel in der Start-up-Szene unterwegs" und schwört auf Vehikel, die für direkten Kontakt zur Szene sorgen: "Wir haben in Fonds investiert und auch direkte Investments platziert. Unser Fokus liegt dabei auf Start-ups, die einen Link zu uns, zur Musikbranche beziehungsweise zu unseren Produkten, haben. Das heißt, mit denen wir perspektivisch auch operativ zusammenarbeiten können." (...)

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann weiß, dass er in Sachen Digitalisierung zumindest technisch nicht mehr auf dem neusten Stand ist. Dabei war Sachkenntnis in diesem Bereich einmal der Grund für seine Einstellung: "Ich habe meine hauptamtliche Karriere in der IG Metall 1987 begonnen. Ich wurde damals eingestellt, weil der damalige Bevollmächtigte jemanden brauchte, der sich mit Computern auskennt. 30 Jahre später sage ich, dass ich jemanden brauche, der sich mit der heutigen Technologie auskennt."

Er sieht dieses ehrliche Bekenntnis als einen Teil der Antwort auf die Frage, wie man heute den Wissens-Transfer hinbekommt. Deshalb setzt er auf eine Personalplanung und -entwicklung, die auf die "technischen Veränderungen und auch auf den damit verbundenen kulturellen Wandel" reagieren kann. Man müsse dieser Entwicklung einen aktiven Part zumessen - auch durch neue Köpfe. Hofmann: "Es ist zwingend erforderlich, fachlich versierte Beschäftigte mit an Bord zu bringen."

Seine persönliche Annäherung an die Thematik hängt heute mehr mit organisations-politischen Entwicklungen zusammen. Auch vor der Ersteinführung von IT habe es in der IG Metall Veränderungsprozesse gegeben. Etwa als die Zeit des Markenklebens und der Hausbesuche, um Beiträge zu kassieren, allmählich in den bargeldlosen Bankeinzug überging. Dabei sei die IT ein Treiber gewesen.

Hofmann: "Der nächste Treiber, bei dem wir das Thema IT noch einmal wesentlich weiterentwickelt haben, ereignete sich in den letzten Jahren. Das war die Phase, in der wir uns sehr intensiv um das Thema beteiligungsorientierte Gewerkschaft gekümmert haben. Transparenz und Mitmach-Möglichkeiten sind dazu zwei Schlagworte."

Gewerkschaftskollege Michael Vassiliadis, Chef der IGBCE, sieht sich mit der ersten Generation von PCs groß geworden: "Das war ja noch basteln. Solange wir über Hardware und Software und Betriebssysteme reden, bin ich noch einigermaßen gut dabei. Bis heute. Denn die Logik bleibt immer die gleiche. Was ich dann gemerkt habe, waren Defizite beim Umgang mit dem Internet. Doch da habe ich jetzt wieder aufgeholt." Allerdings mit einer Einschränkung: "Was dahinter passiert, kann ich nur noch bedingt wirklich erfassen."

Vassiliadis sieht darin ein Phänomen unserer Zeit: "Wir werden zunehmend zum User. Die App-Kultur, das Angebot, es simpel zu machen, gewinnt zunehmend, das ist jetzt wie ein Tool. Die meisten nutzen einfach, ohne sich mit diesem sonderbaren Werkzeug näher zu befassen."

Man sei nicht mehr in der Lage, wirklich zu beeinflussen, was behind the scene läuft. Daraus entsteht eine Form von Kritiklosigkeit, weshalb Vassiliadis empfiehlt, sich einer wichtigen Frage zu stellen: "Was ist der Benefit von was? Wir haben eine ordentliche IT-Landschaft, wir haben vieles - aber was ist der Benefit, was ist sozusagen der Zweck? Dabei stößt man dann immer auf ein Thema, auch in einer Gewerkschaft. Vor allem nämlich werden dadurch Arbeitsprozesse in einem Maße standardisiert, dass die Kreativität häufig zu kurz kommt."

Unternehmer Erich Sixt schätzt seine eigene Situation ganz anders als die der meisten Führungskräfte ein: "Technologie ist mir nicht fremd, obwohl CEOs normalerweise ja nicht IT-affin sind. Ich bin aber historisch in diese Aufgabe hineingewachsen. Ohne IT wären wir verloren gewesen. Deswegen habe ich selbst programmiert. Bis vor fünf Jahren lief sogar noch ein von mir geschriebenes Programm, das hat 20 Jahre überdauert. Es war zwar nicht in einem schönen Stil geschrieben, hat jedoch seinen Zweck erfüllt." (...)

Dass geschäftlich ohne IT nichts mehr läuft, darin sind sich die CEOs einig. In der privaten Nutzung allerdings bestehen Unterschiede. So ist Joachim Breuer, Hauptgeschäftsführer Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung, nach anfänglicher Euphorie zum gelegentlichen Verweigerer geworden:

Verändert hat sich mein Verhalten in der Form, dass anfangs eine gewisse Faszination da war. Als die ersten Palms auf den Markt kamen und danach die BlackBerrys, da musste ich die alle haben, auch aus einer gewissen Spiel-Funktion heraus. Man wird dann sehr affin bis hin zu 'addicted'. Aber irgendwann gibt es ein Schlüsselerlebnis. Für mich war das ein dreiwöchiger Urlaub in Kanada, als es dort noch keine perfekte Netzabdeckung gab. Da habe ich gemerkt, dass es auch ohne ständigen Kontakt zum Unternehmen geht.

Heute ist sein Smartphone im Urlaub ausgeschaltet: "Man erreicht mich dann über Handy, das ich gezielt nur in der SMS- und Telefonfunktion nutze. Und für die Wochenenden und Abende hilft aus meiner Sicht das gute alte Telefon: Ich bin also erreichbar, aber nur auf die traditionelle Art und Weise."


Der Text ist ein Auszug aus dem Buch "#DigitalLeadership - Wie Top-Manager in Deutschland den Wandel gestalten" von Markus Klimmer und Jürgen Selonke, 267 Seiten, Springer Gabler, November 2016, Preis: 19,99 Euro. Bei Amazon kaufen. 

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