
Wenn Aufsichtsräte Fehler machen Wie Hasen aus dem Hut - die Chefs wechseln immer schneller


Ex-Baukonzern Bilfinger: Auf Roland Koch folgte Per Utnegaard folgte (kommissarisch) Axel Salzmann folgt Thomas Blades (Foto) - und das alles binnen zwei Jahren.
Foto: Tobias Hase/ picture alliance / dpa
Heiner Thorborg gehört zu den profiliertesten Personalberatern in Deutschland. Nach zehn Jahren als Partner bei Egon Zehnder Int. gründete er die Heiner Thorborg GmbH & Co. KG, die Heiner Thorborg & Co. (Zürich) sowie die Initiative "Generation CEO".
Auf den Chefetagen geht es zu wie im Taubenschlag. 2015 verließen 16,7 Prozent der Vorstandschefs der größten börsennotierten Unternehmen im deutschsprachigen Raum ihren Posten. Im Jahr davor waren es nur zehn Prozent.
Weltweit mussten vergangenes Jahr 17 Prozent der CEOs der 2500 weltweit größten börsennotierten Konzerne abtreten - deutlich mehr als in den 15 Jahren davor, wie Strategy& berechnet hat, PwCs Unternehmensberatung, die jährlich eine Studie zum Thema Chefwechsel vorlegt.
In Deutschland galt bislang eigentlich die Devise: Einmal Vorstandsvorsitzender, immer Vorstandsvorsitzender - ungewöhnlich viele Abgänge fanden traditionell nur in wirtschaftlich wirklich schwierigen Zeiten statt. Wenn es irgendwie möglich war, wurde in vielen Unternehmen an den Chefs festgehalten.
Diese Zeiten sind vorbei und nun klagen viele: Das Klima wird immer unfreundlicher, Chefs bekommen immer weniger Chancen, sich zu beweisen, manche sind nach 100 Tagen schon wieder weg.
Jetzt kollektiv in Tränen auszubrechen und das Schicksal der armen CEOs zu beweinen, die sich in diesen unmenschlich harten Zeiten immer schneller und immer öfter einen neuen Job suchen müssen, ist jedoch die falsche Reaktion. Viele der Besetzungen, die zu frühzeitig beendeten Engagements führen, basierten nämlich von vorne herein auf Fehlurteilen.
Alleingang: Wenn der AR-Chef seinen Lieblingskandidaten durchdrückt
Immer wieder lässt sich beobachten, wie ein Aufsichtsratschef die Suche nach einem neuen Vorstandsvorsitzenden zur Chefsache macht, die er dann im Alleingang durchzieht. Häufig wird dabei eine bestimmte Person durchgedrückt, oft ein Lieblingskandidat des Oberkontrolleurs. In solchen Fällen werden vor allem Eitelkeiten bedient, aber nicht die Bedürfnisse des Unternehmens.
Die anderen Aufsichtsräte im Konzern sagen meist nicht viel dazu, auch weil es vielen an fundierten HR-Kompetenzen fehlt. Die in solchen Fällen engagierten Personalberater dienen dann nur als Camouflage, die den Eindruck eines fundierten Suchprozesses erwecken soll, selbst wenn der künftige Entscheidungsträger schon feststeht, bevor das eigentliche Assessment überhaupt begonnen hat. Hinzu kommt, dass es auch Headhunter gibt, die schlampig arbeiten und Referenzen kaum oder gar nicht prüfen.
Das Ergebnis sind krasse Fehlbesetzungen. Da werden CEOs ernannt, die entweder fachlich oder persönlich für die fragliche Position ungeeignet sind. Schlimmstenfalls beides. Die Medien reagieren in der Regel schmerzfrei: Ein neuer Macher wird erst bejubelt und wenn klar wird, dass die von ihm zunächst gegebenen großen Versprechen leer bleiben werden, auch wieder zusammengefaltet. Im Ergebnis häufen sich dann die Abgänge.
Immer mehr Seiteneinsteiger - ein gefährlicher Trend
Diese Zusammenhänge werden dadurch verschärft, dass heute laut Strategy& etwa 22 Prozent der geplanten Neubesetzungen Außenseiter sind - also Chefs, die aus anderen Unternehmen oder gar Branchen kommen. 2004 wurden nur 14 Prozent der neuen Bosse aus Firmenfremden rekrutiert.
Dabei ist eigentlich bekannt, dass sich Insider auf einem Chefposten leichter tun als Seiteneinsteiger, die sich erst mal in die neue Unternehmenskultur einarbeiten und ein Netzwerk aufbauen müssen. Bis 2012 haben sich daher die Aktienkurse von Unternehmen mit internen Chefbesetzungen auch im Durchschnitt um fünf Prozent besser entwickelt als die Vergleichswerte im Markt.
In den vergangenen drei Jahren ist dieser Vertrauensaufschlag verschwunden, der unternehmenseigenen Kandidaten im Markt entgegen gebracht wurde. Die Partner von Strategy& begründen das mit der hohen Veränderungsgeschwindigkeit in vielen Branchen - mitten in einer digitalen Revolution hätten Außenseiter aus Sicht der Aufsichtsräte oft einfach die innovativeren Ideen als die alten Besen im Haus.
Der firmenfremde Tausendsassa scheint in Europa gerade in Mode zu sein
Gegen diese Interpretation spricht, dass in Westeuropa angesiedelte Konzerne deutlich häufiger externe Kandidaten bevorzugten (30 Prozent) als Unternehmen in Nordamerika (18 Prozent), doch das Veränderungstempo ist hüben wie drüben des Atlantiks ähnlich hoch. Zudem wurden ausgerechnet in der sich extrem schnell wandelnden IT-Branche mit 15 Prozent spürbar weniger Chefs ausgetauscht als in der Gesamtstichprobe.
Für mich klingen die Ergebnisse von Strategy& vor allem danach, als sei es in Europa unter vielen Aufsichtsratschefs gerade einfach Mode, so wie der Magier den Hasen, den firmenfremden Tausendsassa aus dem Hut zu ziehen. Bislang machen es Märkte und Medien klaglos mit, dass fundierte, wohl bedachte Besetzungsprozesse unterlaufen werden.
Wenn sich in Folge die Zahl der - teuren! - Abgänge aber weiter erhöht, wird sich das wieder ändern. Denn hinter jeder funktionierenden Neubesetzung steckt eine generalstabsmäßig geplante, wohl beratene und intelligent umgesetzte Nachfolgeregelung.
Wenn dabei eine Fremdbesetzung herauskommt, ist das fein; sollte ein interner Kandidat das Rennen machen: wunderbar. Alles besser, als sich mit einem magischen Hasen auf dem Thron wiederzufinden.
Heiner Thorborg ist Personalberater und Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.