Folgen des Brexit für den Arbeitsmarkt Unternehmen müssen auf den Brexit reagieren - jetzt

Großbritannien hat für den Austritt aus der EU gestimmt. Die Folgen des Brexit für den britischen Arbeitsmarkt und insbesondere den Finanzplatz London sind ungewiss.
Von Verena Braeckeler-Kogel
Churchill-Statue am Parliament Square in London: Der EU-Ballon ist inzwischen weggeflogen

Churchill-Statue am Parliament Square in London: Der EU-Ballon ist inzwischen weggeflogen

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Angesichts der Masse und Komplexität rechtlicher und faktischer Themen ist für Unternehmen ein bloßes Abwarten bis zum Abschluss der Verhandlungen gefährlich. Die öffentliche Reaktion der Unternehmen ist bislang unterschiedlich: Jaguar hat sich bereits zu seinem britischen Standort bekannt, Vodafone hingegen erwägt die Verlagerung von Stellen. Auch bei führenden internationalen Finanzinstituten wird von Verlagerungserwägungen berichtet, die sicherlich auch mit der wohl erforderlichen Verlegung der in London ansässigen europäischen Bankaufsichtsbehörde EBA zusammenhängen dürften.

Verena Braeckeler-Kogel
Foto: Simmons & Simmons

Verena Braeckeler-Kogel ist Partnerin, Fachanwältin für Arbeitsrecht und Leiterin der deutschen Arbeitsrechtspraxis von Simmons & Simmons.

Aufgrund der langen, mit großer Unsicherheit verbundenen Verhandlungsphase tun Unternehmen mit Standorten in Großbritannien gut daran, frühzeitig einen Plan für die wahrscheinlichsten Veränderungen und auch einen Plan B für den Fall parat zu haben, dass es zu keiner Light-Mitgliedschaft nach dem Vorbild Norwegens und der Schweiz kommt. Wer noch keinen Plan hat, sollte bald aktiv werden, um für die anstehenden Veränderungen gewappnet zu sein. Auch für Unternehmen, die keine Verlagerung von Arbeitsplätzen aus Großbritannien in andere EU-Mitgliedsstaaten in Betracht ziehen, gibt es nämlich Arbeit.

Was Unternehmen jetzt tun müssen

So sollte es eine Bestandsaufnahme der Nationalitäten und des damit verbundenen aufenthaltsrechtlichen Status von Mitarbeitern geben, damit reagiert werden kann, falls sich Änderungen im Hinblick auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit ergeben und möglicherweise zukünftig eine Arbeitserlaubnis für Mitarbeiter erforderlich wird. Dies gilt nicht nur für in Großbritannien tätige EU-Bürger, sondern auch für in anderen EU-Staaten tätige Briten.

Auslandsentsendungen sollten ebenfalls überprüft werden. Hier kann es nämlich zusätzlich Probleme im Bereich der Sozialversicherung geben, die derzeit durch unmittelbar in den Mitgliedsstaaten geltende EU-Verordnungen geregelt ist. Möglicherweise wird es sogar erforderlich, Entsendungen vorzeitig zu beenden.

Ob die bestehenden Vereinbarungen mit dem Mitarbeiter dies zulassen, sollte geprüft werden. Sofern derzeit Entsendungen anstehen, die einen Bezug zu Großbritannien haben, sollte ebenfalls vorgesorgt werden, damit erforderlichenfalls Anpassungen vorgenommen oder der Mitarbeiter zurückbeordert werden kann.

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Aus Mitarbeitersicht könnte die nunmehr bestehende Unsicherheit dazu führen, dass man sich nach Alternativen auf dem Arbeitsmarkt umsieht, die angesichts der geänderten Sachlage sicherer oder langfristig attraktiver erscheinen. Unternehmen sollten daher ihre Leistungsträger in Großbritannien identifizieren und gegebenenfalls Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung wie Retention-Boni in Erwägung ziehen. Insbesondere im Bereich der Finanzinstitutionen könnte eine solche Incentivierung von Betriebstreue aufgrund der starken Regulierung der Vergütung allerdings schwierig umsetzbar sein. Hier gilt es rechtlich zulässige Lösungsansätze zu finden.

Fallstricke bei Standortverlagerungen

Sofern es im Unternehmen oder Konzern einen europäischen Betriebsrat gibt, der nach britischem Recht errichtet wurde, muss die bestehende Regelung überdacht und angepasst werden - selbst dann, wenn der Standort in Großbritannien unverändert erhalten bleibt.

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Unternehmen, die tatsächlich Arbeitsplätze aus Großbritannien in andere Staaten verlegen wollen, müssen selbstverständlich noch eine ganze Reihe weiterer Hausaufgaben erledigen: So müssen, sofern nicht schon vorhanden, Informationen über die Sach- und Rechtslage in potenziellen Zielländern eingeholt werden. Insbesondere der Arbeitsmarkt am potenziellen neuen Standort sollte genau analysiert werden - gibt es dort überhaupt einen hinreichenden Talentpool, der die voraussichtlich erforderlichen Anforderungsprofile erfüllt?

Auch muss geprüft werden, ob aufgrund der Verlegung von Arbeitsplätzen Informations- und Konsultationspflichten gegenüber Mitarbeitern, Mitarbeitervertretern oder Gewerkschaften bestehen. Solche Verpflichtungen können insbesondere bei der Zeitplanung eine Rolle spielen und bei Verstößen zu Kostenfallen werden.

Sind einseitige Versetzungen von Mitarbeitern aus Großbritannien ins EU-Ausland aufgrund des Arbeitsvertrages möglich? Oder kann die Verlagerung sogar möglicherweise zu einem grenzüberschreitenden Betriebsübergang von Großbritannien an andere Standorte führen? Beides mag gar nicht wünschenswert sein, denn ein Londoner Gehalt, das in beiden Fällen ja weiterhin zu zahlen wäre, dürfte deutlich höher ausfallen als die Vergütung eines vergleichbaren Kollegen in Frankfurt oder Amsterdam.

Bleibt also die Variante des lokalen Vertrags mit neuen Konditionen. Ob der Mitarbeiter zu einem Wechsel in einen anderen Staat bereit ist, wenn dies finanzielle Einbußen bedeutet, ist fraglich, verlangen Expats doch regelmäßig ein besonders hohes Vergütungspaket. Schließlich verlässt man den bisherigen Lebensmittelpunkt, muss die Familie mit in ein anderes Land nehmen, dessen Sprache man im Zweifelsfall nicht spricht, oder aber muss zukünftig zwischen zwei Staaten pendeln.

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Eine Incentivierung mag daher erforderlich sein, um zumindest Leistungsträger zu einem Umzug zu bewegen. Wie man mit der Ungleichbehandlung gegenüber den lokalen Mitarbeitern umgeht, ist dann eine Folgefrage.

Eine Verlagerung von Arbeitsplätzen dürfte sicherlich auch zu Kündigungen in Großbritannien führen, sofern Mitarbeiter nicht ins Ausland versetzt werden. Hiermit dürften ganz erhebliche Kosten verbunden sein, auch wenn der englische Schutz vor Kündigungen weniger streng ist als der deutsche.

Die lange Phase der Unsicherheit wird eine Herausforderung, die ohne einen Plan B für Unternehmen nur schwer zu bewältigen sein dürfte.

Verena Braeckeler-Kogel ist Fachanwältin für Arbeitsrecht und schreibt als Gastkommentatorin für manager-magazin.de - trotzdem gibt ihre Meinung nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wider.

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