Dilma Rousseff: Die Ex-Präsidentin sieht ihre Amtsenthebung als "Putsch"
Foto: EVARISTO SA/ AFPBrasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ist des Amtes enthoben worden. Der Senat in Brasília votierte am Mittwoch mit der notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit für die Absetzung der ersten Frau an der Spitze des fünftgrößten Land der Welt.
Insgesamt stimmten 61 Senatoren dafür und 20 dagegen. Nachfolger wird der bisherige Vizepräsident Michel Temer von der Partei der demokratischen Bewegung (PMDB), der das Land mit einer liberal- konservativen Regierung nun bis zur nächsten Wahl 2018 führen wird.
Rousseff wurden Trickserien zur Schönung des Defizits und nicht vom Kongress genehmigte Kreditvergaben vorgeworfen - sie wies die Vorwürfe zurück und spricht von einem "Putsch".
Richtungswechsel nach 13 Jahren Führung der Arbeiterpartei
Temers PMDB hatte die Koalition platzen lassen, ein Bündnis der PMDB mit Oppositionsparteien brachte die notwendigen Mehrheiten für das umstrittene Impeachment-Verfahren zustande. Im Mai wurde Rousseff zur Prüfung der Vorwürfe zunächst suspendiert, in den letzten Tagen fand der juristische Prozess im Senat statt.
Damit steht das Land nach 13 Jahren Regierung unter Führung der linksgerichteten Arbeiterpartei vor einem Richtungswechsel. Die 68 Jahre alte Rousseff hatte seit 2011 regiert und war 2014 wiedergewählt worden. Aber eine Rezession und Korruptionsskandale ihrer Regierung ließen das Ansehen Rousseffs rapide schwinden.
Schwarze Nacht um den Präsidentenpalast Alvorada in Brasilia: Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff hat den Kampf gegen ihre Amtsenthebung verloren und ist vom Senat suspendiert worden, ihr Vize Michel Temer wird noch am Donnerstag die Amtsgeschäft übernehmen. Seit Monaten beherrschen Chaos, Korruption, politische Intrigen und Misswirtschaft das Land ...
Rousseff, die in brasilianischen Medien oft nur "Dilma" genannt wird, spricht von "Verrätern" und "Putsch". Die Berufung ihres Vorgängers Lula als Kabinettschef wirft auch kein gutes Licht auf Dilma...
... denn auch gegen Lula selbst wird in einem großen Korruptionsfall ermittelt. Der Ex-Präsident galt einst als einer der populärsten Politiker weltweit, aber das war in einer Zeit des rasanten Wachstums in Brasilien.
Nun wird Vizepräsident Michel Temer das Präsidentenamt übernehmen - dem jedoch ein Abwahlverfahren mit der gleichen Begründung wie gegen Dilma Rousseff droht: Verantwortung für geschönte Zahlen im Staatshaushalt. Bizarr ist ebenso seine Distanzierung - er habe in fünf Jahren als Vizepräsident praktisch nie am Regieren teilgenommen - wie die Tatsache, dass seine per Handy aufgenommene Übung für die Sieges- und Versöhnungsrede vorab an die Öffentlichkeit gelangte.
Und die Parlamentarier, die den Abwahlantrag beförderten, stehen sogar mehrheitlich unter Korruptionsverdacht - darunter die Präsidenten beider Kammern, die im Zweifel als nächste Anspruch auf das höchste Staatsamt haben und sich durch das politische Manöver vor Strafverfolgung schützen. Eduardo Cunha, der wichtigste Drahtzieher der Absetzung Rousseffs, hat sein Mandat inzwischen verloren - und droht, noch etliche Rivalen mit in den Abgrund zu reißen.
Im Mittelpunkt der Staatsaffäre steht der halbstaatliche Ölkonzern Petrobras. In der Vergangenheit wurden Milliarden an Schmiergeldern über Petrobras an Politiker geleitet, im Gegenzug für lukrative Aufträge an Baukonzerne. Zu den Urhebern zählen führende Unternehmer des Landes wie Marcelo Odebrecht, der bereits verurteilt wurde.
Das Land ist tief gespalten. Vorsorglich wurde vor dem Parlament ein kilometerlanger Zaun gezogen, um die feindlichen Lager zu trennen.
Dilmas und Lulas Anhänger sind vor allem die Armen des Landes, die von riesigen Sozialprogrammen und dem Aufstieg einer konsumstarken Mittelschicht in den 2000er Jahren profitierten, aber ...
... die gegnerischen Proteste sind deutlich größer. Die schwerste Rezession seit den 30er Jahren hinterlässt Eindruck. Vorbei die Zeit, als das ganze Land sich im Erfolg sonnte ...
Brasiliens Wirtschaft weist weltweit mit die schlechtesten Zahlen auf: 2016 wird ein Rückgang des BIP um mehr als 3 Prozent vorausgesagt, ebenso wie im Vorjahr. Zugleich ist die Inflationsrate zweistellig, die Landeswährung Real tief gestürzt. Ebenso schnell wie ausländisches Kapital in den Boom-Jahren ins Land strömte, zieht es jetzt ab. Und der Stillstand des Wirtschaftsriesen Petrobras lähmt das Land zusätzlich.
Nicht nur die von der Korruptionsaffäre direkt betroffenen Großprojekte wie mehrere Raffinerien, deren Bauaufträge sich Odebrecht und Co. ergaunerten, stehen still. Petrobras muss auch Milliardenverluste verkraften und kommt deshalb kaum mit der beispiellosen Expansion in die Tiefsee voran. Das Megaprojekt, aus Tausenden Kilometern Tiefe unter einer dicken Salzschicht Öl zu fördern, brachte Petrobras 2011 zur größten Kapitalsammlung der Weltgeschichte.
Ex-Präsident Lula konnte den größten Ölfund seit Jahrzehnten 2007 noch als Zeichen deuten, dass Gott tatsächlich Brasilianer sei, wie ein Sprichwort besagt. Das größte aktive Ölfeld der brasilianischen Tiefsee trägt jetzt den Namen "Lula". Gesegnet fühlen sich die Brasilianer aber kaum noch, da das Fass Öl keine 50 Dollar einbringt.
Private Petrobras-Herausforderer wie der deutschstämmige Unternehmer Eike Batista mussten schon vor der Rohstoffkrise aufgeben, weil sie sich im Ölrausch übernommen hatten. Batista, zeitweise einer der reichsten Menschen der Erde, hat sein Vermögen nahezu komplett verloren - und etliche seiner Investoren auch, ebenso wie andere Glücksritter. Inmitten der Politkrise will die Regierung jetzt ein Tabu brechen und internationalen Multis wie Shell Zugriff aufs brasilianische Öl geben.
Ein Unglück kommt selten allein: Im November sorgte auch noch ein Dammbruch in einem Werk des weltgrößten Eisenerzlieferanten Vale dafür, das Tal des Rio Doce auf mehreren 100 Kilometern Länge mit giftigen Erzschlämmen zu verseuchen.
Und dann kämpft das Land auch noch mit dem Zika-Virus. "Eine Mücke ist nicht stärker als ein ganzes Land", beschwört das Plakat der Militärkampagne. Hoffentlich, denn ...
... die Einsätze von Insektiziden zur Bekämpfung der Zika-Viren übertragenden Moskitos beschwören ein apokalyptisches Bild herauf.
Und unter diesen Umständen sollen im August die Olympischen Spiele in Rio de Janeiro stattfinden. Die Vergabe galt zu Boomzeiten als Krönung einer Erfolgsgeschichte, ebenso wie die Fußball-WM 2014. Doch auch das hob die Stimmung kaum.