Wann schriftliche Kommunikation hilfreich ist und wann nicht Management by Hirtenbrief

Von Stefan Wachtel
Conti-Chef Elmar Degenhart: "Auf diesem Gleis keinen Meter weiter"

Conti-Chef Elmar Degenhart: "Auf diesem Gleis keinen Meter weiter"

Foto: Arne Dedert/ dpa

Kajo Neukirchen hätte so was noch persönlich erledigt. Der einstige Chefsanierer der deutschen Industrie hätte seine Manager antreten lassen, eine kleine Gerte in der Hand - und dann drauf! Der hätte keinen "Dialog" zugelassen, kein Handout verteilt, kein freundliches Glückauf am Ende. Seine Methode hieß: Action, und die gibt es so nicht mehr, Gott sei Dank.

Stefan Wachtel
Foto: Etienne Fuchs

Stefan Wachtel ist Executive Coach und bereitet beispielsweise Spitzenmanager auf öffentliche Auftritte vor. Er ist Autor von fünf Büchern, zuletzt "Executive Modus" bei Hanser . Außerdem ist der promovierte Sprechwissenschaftler gefragter TV-Experte, u.a. bei Bundestagswahlen.
www.expertexecutive.de 

Dafür ist inzwischen das Gegenteil umso mehr verbreitet: Es wird Papier versandt, viel Papier. Und PDFs, die sich die Manager auf ihren Smartphones angucken. Führungskräfte werden heute per Rundschreiben zusammengefaltet. Die CEOs schießen aus sicherer Entfernung, verstecken sich hinter Schießscharten. Aber das ist nur die eine Seite. Ich bin zwar ein Apostel der Mündlichkeit, und weiß, wie viel man mit reden und antworten erreichen kann. Aber auch die Schriftlichkeit hat ihre Berechtigung - und die professionelle Aufgeregtheit über die Brandbriefe der vergangenen Wochen könnte überzogen sein.

Los Lettres Wochos

Erst Continental (Kurswerte anzeigen), dann die Deutsche Bahn: Diese Wochen scheinen Vorstandsbriefwochen zu sein. Erlebt die Briefkommunikation als Führungsinstrument gerade ihr Comeback? Durchaus nicht, denn die beiden Konzernchefs schreiben eben nicht nur.

Elmar Degenhart und Richard Lutz und die allermeisten Konzernchefs sind heute auf vielen Kanälen gleichzeitig unterwegs. Beides, Schriftliches wie Mündliches, macht zudem der ganze Vorstand. Sie schreiben Texte, sprechen aus Podcasts, im Social Intranet und auf Führungskräftetagungen. Conti veranstaltet eine große im Frühjahr, bei der Bahn gibt es sogar mindestens vier pro Jahr, wo sich Vorstand und Führungskräfte mal so richtig die Meinung sagen können.

Warum also jetzt die Briefe?

Die beiden Briefe sind ganz verschieden: Bei Conti ist die Frage, wie man Menschen für die Zukunft in Bewegung bringt, die in der Gegenwart gerade volle Auftragsbücher vor sich haben.

Digitalisierung, gänzlich disruptiv, das Ganze in kaum mehr als drei, vier Jahren? Der Vorstandschef Elmar Degenhart schlägt Alarm, haut verbal auf den Tisch und regt sich etwas künstlich auf. Das Ziel ist die Inszenierung einer nicht authentischen Krise, in der Hoffnung, die künftige authentische Krise dadurch vermeiden zu können. Dazu passen Formulierungen wie "auf diesem falschen Gleis fahren wir keinen Meter weiter" oder "Dieser Zug stoppt genau hier und jetzt!" und solche Sachen.

Natürlich, eine Gewinnwarnung ist der sehr reale Hintergrund, der Brief schlägt nicht nur Schaum. Eine solche Generalkritik darf man aber nicht zu oft abschießen; bei Conti etwa findet man Vergleichbares alle sieben bis acht Jahre. Rhetorisch ist der Brief auf einer guten Flughöhe. Es werden die ganz hohen Werte bemüht: Verlässlichkeit, Zukunft, Kundenvertrauen. Wer so schreibt, nimmt sich ein Stück vom Himmel. Chapeau!

Der Bahn-Brief ist anders gestrickt, etwas common groundiger und gemeinplätziger, er verwendet mehrmals das Wort "zusammenrücken". Zwar ist das Ziel profanes Sparen und das Umwerfen von Managerstühlen, operativ besser zu werden, das übliche Programm. Aber auch das wird aus großer Flughöhe hergeleitet: Immer wieder Vertrauen, Ehrlichkeit.

Sprechen statt schreiben

Ist ein solcher Hirtenbrief nun ein guter Managementstil? Ja und nein. Ich höre nicht auf das zu predigen: Wer im Executive Modus ist, sollte vor allem mündlich kommunizieren. Andere sagen das auch, etwa Reinhard Sprenger, der ein klares Plädoyer gegen Vorstände abgegeben hat, die versuchen, Menschen durch Texte einzunorden. Bei schriftlichen Mitteilungen fehlt es an direkter Ansprache, an Augenkontakt, an Stimme, an Zuwendung und Zuhören. Ich meine damit nicht nur Lob, wenn die Mannschaft etwas geleistet hat, sondern unvoreingenommenes, bedingungsloses Zuhören. Schrifttexte können nur informieren, und - wie in diesen beiden Fällen - aufrütteln. Dafür haben sie ihre Berechtigung. Aber Beziehungen herstellen, eben das, was gute Führung ausmacht, das schafft kein Brief.

Texte aus Schießscharten

Aber ein Brief bietet auch Chancen, er kann Wirkung erzielen.

Erstens: Er verhindert den Dialog. Niemand kann unmittelbar danach fragen: Was soll das? Was haben Sie denn unternommen? Sie waren doch auch dabei?

Zweitens: Die Nachricht ist wiederholbar. Ein Brief kann wieder und wieder gelesen werden, Freunden, Kollegen und Verwandten gezeigt werden. Manch einer wird ihn vielleicht abends noch mal rausholen und denken: "Dem werde ich's zeigen", "Das können die mit mir nicht machen!" Man nennt das dann Nachhaltigkeit.

Drittens: Ein schriftliches Dokument ist immer auch eine Vorwärtsverteidigung. Dann demonstriert Handlungsfähigkeit. Gegenüber den Mitarbeitern, den Anteilseignern und der Öffentlichkeit. Arbeit dokumentiert, Pflicht erfüllt.

Brandbriefe als Ultima Ratio

Brandbriefe oder auch nur einfache Rundschreiben sollten die Ultima Ratio bleiben. Sie haben gravierende Nachteile gegenüber der mündlichen Kommunikation, aber in Sachen Alarmfunktion kann keine Power-Point-Präsentation und kein Post im Intranet schaffen, was ein Hirtenbrief vermag. Reden ist wirkungsvoller, aber nur, wenn man die Adressaten dafür auch alle zusammenrufen kann.

Wenn man allerdings die Briefform wählt, empfehle ich zusätzlich den sprechenden Kopf aus einem Video - vorausgesetzt, der Chef beherrscht den überzeugenden Auftritt in visuellen Medien. Womit wir bei einem weiteren Vorteil des Brandbriefs wären: Ein Schreiber kann sich immer auch der Formulierungskünste anderer bedienen.

Zum Schluss noch einmal zurück zu unserem Auslaufmodell aus Frankfurt. Kajo Neukirchen hasste "Feedback". Continental-Vorstand Degenhart dagegen schrieb an etwa 400 Führungskräfte und bekam weit über 100 Rückmeldungen. Kommunizieren, sich gemein machen, das geht am besten mündlich. Wenn Sie als Manager Alarm schlagen wollen, dann reden Sie mit den Leuten. Wenn es zu viele sind, schreiben Sie meinetwegen auch, aber nehmen Sie die Rückmeldungen ernst.

Stefan Wachtel ist Executive Coach und bereitet beispielsweise Spitzenmanager auf öffentliche Auftritte vor. Er ist Mitglied der MeinungsMachervon manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren