Dax-Aufsichtsräte verpassen Chance zur Erneuerung Niemand unter 40 - die Pseudo-Vielfalt der Aufsichtsräte

Von Arvid Kaiser
Die Frauenquote wirkt - aber nur bis zum Erreichen der 30-Prozent-Marke

Die Frauenquote wirkt - aber nur bis zum Erreichen der 30-Prozent-Marke

Foto: DPA

Die Erfolgsmeldung zuerst: Erstmals haben die Aktionäre von Dax-Konzerne mehr als 30 Prozent Frauen in ihre Aufsichtsräte gewählt. Nach den Hauptversammlungen dieses Jahres steigt der Anteil von 29,34 auf 31,25 Prozent, hat das Centrum für Strategie und höhere Führung für seinen Board Diversity Index errechnet. Die Commerzbank hat fünf Frauen und fünf Männer benannt - erstmals Parität auf der Kapitalseite.

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Allerdings belegt das bloße Einhalten der gesetzlichen Frauenquote noch keine besonderen Anstrengungen für mehr Vielfalt. Adidas und die Deutsche Bank fielen sogar unter die 30-Prozent-Marke zurück, indem sie je eine Frau durch einen Mann im Aufsichtsrat ersetzten. Weitere fünf Dax-Konzerne haben laut dem Bericht "Nachholbedarf bis zum Erreichen der gesetzlichen Quote" - dazu zählt auch Henkel, das immerhin mit einer weiblichen Doppelspitze von sich reden macht.

Insgesamt bleiben die Aufsichtsräte weiter unter Ihresgleichen: deutsch, männlich, weiß, alt, mit Abschluss in Betriebs- oder Volkswirtschaftslehre, im Zweifelsfall noch Jura. Der Board Diversity Index misst auch diese anderen Aspekte neben der Geschlechterverteilung - und kommt zwar auf einen historischen Höchststand, aber "der Fortschritt ist eine Schnecke", urteilt Klaus Schweinsberg, der Gründer des Centrums für Strategie und höhere Führung. Der Index stieg von 383 auf 398 Punkte.

Der langsame Fortschritt ist deshalb bemerkenswert, weil in diesem Jahr 87 Posten in den Dax-Aufsichtsräten vakant waren, viel mehr als in den Vorjahren. Schweinsberg spricht von einem "Superwahljahr" - in dem man "eine deutlich spürbarere, ja vielleicht sogar exponentielle Dynamik hätte erwarten können", dann aber doch weitgehend die alten Kandidaten gewannen. Es ist also eine verpasste Chance zur Erneuerung.

Die Macht der weißen Haare

GRAFIK Board Diversity Index 2018 / Altersklassen

GRAFIK Board Diversity Index 2018 / Altersklassen

Foto: Centrum für Strategie und Höhere Führung

Die absolute Mehrheit der Kapitalvertreter in den Aufsichtsräten ist 60 Jahre oder älter - passend zum traditionellen Bild von den Kontrolleuren als erfahrene Firmenlenker. Eine Verjüngung findet praktisch nicht statt, obwohl die moderne Corporate Governance stärker auf unabhängige (in Ergänzung zur erfahrenen) Sichtweise setzt und die Aufsichtsräte ihre wachsenden Aufgaben im Idealbild auch annähernd als Vollzeitjob auffassen sollten.

Unter 40 ist überhaupt niemand vertreten. Das gab es überhaupt erst zweimal in den vergangenen fünf Jahren. Doch Julia Kuhn-Piëch wurde bei Volkswagen wieder abberufen, und Telekom-Aufsichtsrat Lars Hinrichs ist inzwischen auch schon 41.

Alle sprechen von Digitalisierung, wenige holen sich Rat von IT-Profis

GRAFIK Board Diversity Index 2018 / Studienabschluesse

GRAFIK Board Diversity Index 2018 / Studienabschluesse

Foto: Centrum für Strategie und Höhere Führung

Wirtschaftswissenschaften oder Jura - das ist in aller Regel der Ausbildungshintergrund der Dax-Aufsichtsräte. Nur allmählich lässt die Dominanz der Wirtschaftswissenschaftler auf nun 45,7 Prozent nach - neben der gestiegenen Frauenquote ein Hauptgrund für den Anstieg des Board Diversity Index.

Ingenieure profitierten mit einem Anstieg auf 14,6 Prozent am stärksten. Doch sie stellen schon traditionell die drittstärkste Gruppe, vor allem in Industriekonzernen. Etwas überraschender und noch ausgeprägter konnten die Geisteswissenschaftler ihren Anteil von 2,2 auf 6,4 Prozent ausbauen. Unter "Sonstige" bleiben die nur vier Informatiker(innen - immerhin drei von ihnen sind Frauen). Alle sprechen von der Digitalisierung, aber nur wenige holen sich Rat von IT-Profis.

International bedeutet Österreich

GRAFIK Board Diversity Index 2018 / NationalitÃ?ten

GRAFIK Board Diversity Index 2018 / NationalitÃ?ten

Foto: Centrum für Strategie und Höhere Führung

Deutsche Aufsichtsräte sind deutsch besetzt. Auch wenn die Deutsche Bank - entgegen ihrer strategischen Ausrichtung - ihr Board von der heimischen Industrie wegorientiert, findet der Board Diversity Index nur "marginale" Veränderungen an der Internationalität der Gremien. Mehr als 70 Prozent der Mandatare haben die deutsche Staatsbürgerschaft - in großem Kontrast zur internationalen Präsenz in Belegschaft, Geschäft und Aktionärsstruktur.

Sofern Ausländer in den Kontrollgremien von Corporate Germany vertreten sind, handelt es sich zumeist um deutschsprachige Österreicher oder andere Westeuropäer und noch einen nennenswerten Anteil US-Amerikaner.

Die Investoren aus Nahost, die selbst nach ihrem Investment in Deutschland sehen, lassen sich an einer Hand abzählen: die zwei Kataris Hussain al Abdulla und Hessa al Jaber bei Volkswagen, Bader al Saad für Kuwaits Staatsfonds bei Daimler und der Ägypter Nassef Sawiris bei Adidas. Einzige Chinesin ist Amy Yip (aus Hongkong) bei der Deutschen Börse.

Weite Teile der Welt kommen in den Aufsichtsräten der Global Champions gar nicht vor - nicht einmal die für die Produktion so wichtige Osthälfte Europas, ganz zu schweigen von Indien, Lateinamerika oder Afrika mit Ausnahme des einen Ägypters.

BMW nur "ausreichend"

GRAFIK Board Diversity Index 2018 / Gewinner und Verlierer

GRAFIK Board Diversity Index 2018 / Gewinner und Verlierer

Foto: Centrum für Strategie und Höhere Führung

Richtig große Gewinner zeigt der Board Diversity Index im Vorjahresvergleich nicht. Der Softwarekonzern SAP, der zwei Informatikerinnen gewonnen hat, steigt an die Indexspitze neben Bayer. In der Kategorie "sehr gut" finden sich auch noch Fresenius Medical Care und Volkswagen - während die etwas männlicher gewordene Deutsche Bank und Siemens in die Diversitätsgruppe "gut" absteigen.

Immerhin vergab Schweinsberg das Urteil "mangelhaft" keinem der Dax-Konzerne mehr. Henkel kehrte trotz der geringen Frauenquote mit einer breiteren Streuung der Alters- und Ausbildungsgruppen von "ausreichend" in die Stufe "befriedigend" zurück. Am Ende der Skala bleibt einsam BMW - alle zehn Kapitalvertreter sind Deutsche zwischen 50 und 70, nur drei davon Frauen.

Die Hoffnung für Verfechter größerer Vielfalt in der Konzernführung: 2019 sind wieder außerordentlich viele Aufsichtsratsposten neu zu besetzen.

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