Allianz-Chefvolkswirt Heise "Die FDP-Pleite ist ein Fanal"

Angela Merkel: Sie muss mit einer neuen Koalitionsregierung weitere Reformen angehen, fordert Allianz-Chefvolkswirt Michael Heise
Foto: Alexander Hassenstein/ Getty Imagesmm: Herr Heise, Deutschland hat gewählt - Ihr Wunschergebnis?
Heise: Entscheidend ist, dass das Wahlergebnis rasch eine handlungsfähige Regierung ermöglicht. Danach sieht es aus. Von daher bin ich zufrieden. Allerdings ist es schon ein Fanal, dass die traditionsreiche und europafreundliche liberale Partei nur so viele Stimmen bekommen hat, wie die euro-kritische AFD. Das sollte die zukünftige Regierung zu einer klaren Debatte über die Ziele der Europapolitik und die Bedeutung der europäischen Integration veranlassen.
mm: Eine Allianz-Umfrage kurz vor der Wahl zeigt: Die Zuversicht der Deutschen in die Wirtschaftskraft des Landes ist mit 43 Prozent so hoch wie seit Juli 2011 nicht mehr. Mit 66 Prozent halten auch mehr Menschen ihren eigenen Arbeitsplatz für sicher. Lässt sich das im Wahlergebnis ablesen?
Heise: Die Bundestagswahl hat den Randparteien - jedenfalls wenn man es mit Wahlen in anderen Ländern vergleicht - relativ wenig Stimmen gebracht. Bei den Wahlen in einigen europäischen Krisenländern haben wir gesehen, wie rasch populistische und extreme Positionen an Bedeutung gewinnen können. Die wirtschaftliche Zufriedenheit der Deutschen hat sich insofern im Wahlergebnis niedergeschlagen. Beide größeren Volksparteien haben Gewinne verbuchen können.

Wahlpleite statt Turnaround: Selbst diese Topmanager konnten (oder wollten) die FDP nicht mehr retten
mm: Sollte die Politik die gestiegene Zuversicht der Bürger als politisches "Weiter so" interpretieren?
Heise: Sicher spiegelt das Wahlergebnis den Wunsch nach Stabilität. Aber um den Wohlstand auch in Zukunft abzusichern, ist einiges zu tun, ein "Weiter so" reicht nicht. Deutschlands Wirtschaft ist keineswegs so stark, wie viele glauben. Der Anteil der Investitionen am Bruttoinlandsprodukt ist derzeit wieder in etwa so niedrig wie während der Wirtschaftskrise 2008/2009. Die Produktivitätszuwächse in der deutschen Wirtschaft sind seit Jahren äußerst mäßig. Es hat sich ein Reformstau aufgebaut. Dem muss sich die Politik zuwenden.
mm: Bildung, Rente, Gesundheit - wo sehen Sie in der Sozialpolitik für die nächste Regierung den dringendsten Reformbedarf?
Heise: In allen drei Bereichen herrscht Reformbedarf, wenn auch die Herausforderungen unterschiedlich sind. Bei der Bildung steht die "Qualität" im Vordergrund, in allen Bereichen von der Kinderkrippe bis zur Universität. Warum schafft es eigentlich im Hochtechnologieland Deutschland nach gängigen Rankings keine Universität unter die Top 50 der Welt? Beim Thema Gesundheit und Rente geht es, neben Effizienz und Kosten, vor allem um Nachhaltigkeit angesichts des demographischen Wandels. Bei der Rente beispielsweise steht der weitere Ausbau der betrieblichen und privaten Vorsorge unverändert auf der Agenda. Die Politiker sollten der Versuchung widerstehen, Sozialpolitik mit der Rentenkasse zu machen - das wird sich schnell bitter rächen.
"Eine Bürgerversicherung schädigt das Gesundheitssystem"
mm: Als großer privater Krankenversicherer hat die Allianz ein existentielles Interesse am Fortbestand der PKV. Ist das Thema Bürgerversicherung nach der Wahl nun vom Tisch?
Heise: Wir hoffen es. Die Bürgerversicherung löst kein Problem, sondern schädigt auf Dauer unser Gesundheitssystem. Mit Blick auf den demographischen Wandel brauchen wir auch im Gesundheitssystem mehr und nicht weniger Kapitaldeckung. Eine Bürgerversicherung wäre nicht mehr als ein kurzfristiger Placebo.
mm: Sie fordern die Politik zu einer "Agenda 2020" auf, die vor allem bessere Investitionsbedingungen in Deutschland schaffen soll. Warum dieser zugespitzte Fokus?
Heise: Durch die mangelnde Investitionstätigkeit verschenken wir zukünftiges Wohlstandspotential. Die hohe Ersparnis Deutschlands muss in stärkerem Maße im Inland investiert werden, anstatt sich in hohen Exportüberschüssen niederzuschlagen. Es fehlt an Infrastrukturinvestitionen, an Kapazitätsausbau in der gewerblichen Wirtschaft und an dem maßgeblich an Investitionen gekoppelten Produktivitätsfortschritt. Aufgrund der demografischen Entwicklung benötigen wir - wollen wir unseren Wohlstand erhalten - einen so modernen und so produktiven Produktionsapparat wie möglich.
mm: "Weg von der Droge Niedrigzins" fordert Ihr Vorstand Zimmerer. Über die Zinspolitik entscheidet zwar nicht die Bundesregierung, doch sollte sie ihren politischen Einfluss künftig stärker geltend machen?
Heise: Die Europäische Zentralbank ist unabhängig und das sollte sie auch bleiben. Ich habe Vertrauen, dass sie, sobald sich die wirtschaftliche Lage im Euro-Raum nachhaltig stabilisiert, mit dem Ausstieg aus der sehr expansiven Politik beginnt. Wenn Deutschland versucht auf die Europäische Zentralbank Einfluss zu nehmen, dann würden dies wahrscheinlich auch andere EWU-Länder tun - allerdings wohl eher mit dem Versuch, die Zinsen weiter nach unten zu drücken. Der Sache wäre nicht geholfen.
mm: Sollte die neue Regierung die bisherige Euro-Krisenpolitik so weiter fortsetzen?
Heise: Die neue Regierung sollte sich kraftvoll für die weitere europäische Integration einsetzen, aber auch für die Umsetzung der bereits beschlossenen Reformen. Im Zuge der Krise hat die Politik eine Vielzahl neuer Koordinations- und Korrekturmechanismen wie beispielsweise die Schuldenbremse geschaffen. Diese müssen nun in der politischen Realität gelebt und eingehalten werden. Dafür sollte sich die neue Regierung unvermindert weiter einsetzen.