Neue Jobangebote für von Arbeitslosigkeit bedrohte Beschäftigte von Air Berlin bietet der Berliner Senat ab heute auch im Justizvollzugsdienst an
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesTausende Air-Berlin-Mitarbeiter hoffen auf eine Transfergesellschaft. Sie könnte die Menschen zumindest zeitweilig vor dem Absturz in die Arbeitslosigkeit bewahren. Doch derzeit stehen die Chancen dafür nicht gut, es fehlen Geldgeber. Lediglich Air Berlin und die Länder Berlin und NRW wollen sich bislang daran beteiligen.
Die Lufthansa hat bereits abgewinkt. Man biete mit dem Kauf von 81 der zuletzt 134 Air-Berlin-Maschinen rund 3000 der 8000 Beschäftigten von Air Berlin eine Chance auf Weiterbeschäftigung. An einer Transfergesellschaft werde sich die Lufthansa nicht beteiligen, so eine Sprecherin.
Was sie nicht sagt: Die meisten AirBerliner müssen sich für die Stellen neu bewerben und mit scharfen Lohneinbußen rechnen - etwa bei der Lufthansa-Billigtochter Eurowings.
Der von der Lufthansa kommende Air-Berlin-Chef Thomas Winkelmann fällt dagegen in ein 4,5 Millionen Euro weiches Bett und braucht um seine Bezüge bis zum Jahr 2021 nicht fürchten. Durch eine Bankgarantie ist sein Managergehalt vor dem Zugriff der Gläubiger geschützt.
"4,5 Millionen für Winkelmann, für uns Hartz IV"
Bei den Beschäftigten löst das Wut und Verzweiflung aus, wie dieser Tage TV-Bilder von aufgebrachten Air-Berlin-Mitarbeitern zeigen. Bei Politikern dagegen nicht selten Betroffenheitsrhetorik: "Wer sein Unternehmen in die Pleite führt, der muss das auch im eigenen Geldbeutel spüren", fordert NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) - wohlwissend, dass dies nie passieren wird.
Eine Transfergesellschaft könnte den meisten der mindestens 5000 von Arbeitslosigkeit bedrohten Kollegen etwas Luft verschaffen. Doch werden sie parallel auch nach neuen Jobs suchen, etwa auf der am heutigen Donnerstag beginnenden Jobmesse in der Unternehmenszentrale. Hier will der Berliner Senat freie Stellen bei Polizei, Bürgerämtern und im Justiz(vollzugs)dienst anbieten.
Aus der Flugkabine in den Knast? Das haben sich die Air-Berlin-Beschäftigten sicher anders vorgestellt. "4,5 Millionen für Winkelmann, für uns Hartz IV" - schrieben sie zu Wochenbeginn auf ihre Plakate und brachten damit auf den Punkt, was dann auch CDU-Mann Laumann gegenüber dem "Handelsblatt" (kostenpflichtig) ausspricht: "Das ist Gift für das Klima im Unternehmen und es ist Gift für das Gerechtigkeitsempfinden in unserem Land." Parteifreund und CDU-Mittelstandschef Carsten Linnemann sieht durch derlei immer wieder von Aufsichtsräten abgesegnete Regelungen die Grundfesten des Wirtschaftssystems in Frage gestellt: "Die soziale Marktwirtschaft lebt davon, dass es Anstand und Verantwortung bei den Handelnden gibt."
Dass Air-Berlin-Chef Winkelmann eines Tages wieder bei der Lufthansa-Gruppe anheuert, die nach der Übernahme der Air-Berlin-Maschinen mit 98 Prozent den Markt für Inlandsflüge beherrscht, schließt Deutschlands oberster Verbraucherschützer Klaus Müller nicht aus.
Für den Fall aber sollte Winkelmann auf sein Gehalt verzichten, fordert der Chef der Verbraucherzentralen. "Wenn Herr Winkelmann den nächsten Job antritt, zum Beispiel bei der Lufthansa, wäre es ein Zeichen des Anstands, wenn er sein Air-Berlin-Gehalt für die Entschädigung der Fluggäste spendete."
Winkelmann war erst im Februar vom Lufthansa-Konzern nach Berlin gekommen. Zu einem Zeitpunkt also, als bereits erhebliche Zweifel an einer wirtschaftlich erfolgreichen Zukunft von Air Berlin bestanden, wie Kritiker anmerken.
Mancher wird da noch deutlicher: "Die Raffke-Mentalität des Vorstandsvorsitzenden von Air Berlin ist erschreckend. In einer Situation, in der Tausende Mitarbeiter vor der Arbeitslosigkeit stehen, ist das einfach nur asozial", sagt Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, der "Welt". FDP-Präsidiumsmitglied Michael Theurer spricht von einem "skandalösen Verhalten" Winkelmanns, das die Fundamente der sozialen Marktwirtschaft untergrabe. Grünen-Verkehrsexperte Oliver Krischer erklärt: "Solche langjährigen Verträge bei angeschlagenen Firmen gehen gar nicht."
Von einem Sanierungserfolg Winkelmanns kann keine Rede sein
Viel verbale Aufregung und Betroffenheitsadressen also. Entscheidend wird sein, welche Schlüsse Politik und Gesetzgeber daraus für die Zukunft ziehen. Dass die Politik mit der sich abzeichnenden Air-Berlin-Pleite auf einem hart umkämpften Markt einen "nationalen Champion" befürwortete und sich unverblümt für die Lufthansa quasi als Air-Berlin-Erben aussprach - das ist die eine Sache. Eine andere ist es, ob derlei Transaktionen wie so oft mit "goldenen Fallschirmen" für das Spitzenpersonal abgesichert sein müssen und dürfen.
Bei Air Berlin sieht man das selbstredend anders und weist die Kritik zurück: Das Geld für die Bankgarantie habe Großaktionär Etihad gestellt und gehe nicht zulasten der Insolvenzmasse. Etihad habe mit der Garantie Winkelmann als "erfahrenen Manager" binden und die Sanierungsbemühungen langfristig unterstützen wollen.
Einen Sanierungserfolg kann sich Winkelmann nicht auf die Fahnen schreiben. Als Erfolg wird es der Manager dagegen sehen, dass er die Filetstücke der Air Berlin noch rechtzeitig für seinen alten Arbeitgeber mit retten konnte.
Für diese Farbkombination am Himmel wird es nun ganz dunkel: Am Freitagabend, den 27.10.2017, beendet die insolvente Air Berlin ihren Flugbetrieb. Die letzten Flugzeuge mit dem markanten weiß-roten Logo sollen am späten Freitagabend in Berlin und Düsseldorf eintreffen.
Die Lufthansa übernimmt einen Großteil der Air Berlin-Flugzeuge, Verhandlungen mit Easyjet und Condor laufen noch. Der Bevollmächtigte der insolventen Airline hofft, 70 bis 80 Prozent der Jobs zu erhalten. Zahlreiche Mitarbeiter müssen sich aber auf schlechtere Konditionen einstellen. Dabei begann ....
... 1978 alles hoffnungsvoll: US-Pilot Kim Lundgren (l., mit Sohn Shane) gründet Air Berlin 1978 in den USA als Charterfluggesellschaft. Hintergrund: Damals dürfen nur Flugzeuge der Siegermächte Berlin anfliegen.
Der erste Heimatflughafen von Air Berlin heißt folglich nicht Berlin, sondern Miami. Von dort gibt es mitunter auch Direktflüge in die geteilte Stadt.
Berlin steht faktisch aber im Mittelpunkt des wachsenden Netzes von Air Berlin. Der erste Flug geht nach Mallorca. Bald entwickeln sich Ziele im Mittelmeerraum zum Markenzeichen von Air Berlin.
Nach der Wiedervereinigung ist der Weg frei für den Wechsel des Firmensitzes in die künftige Hauptstadt. Der spätere Vorstandsvorsitzende Joachim Hunold übernimmt die US-Gesellschaft.
Air Berlin bekommt immer größeren Hunger auf Wachstum. Im Jahr 2004 erwirbt die Airline 24 Prozent an der österreichischen Linie Niki des früheren Rennsportlern Niki Lauda. Später erhöht Air Berlin den Anteil.
Die Expansion kostet Geld. Geld, dass sich die Eigentümer an der Börse holen wollen. Im zweiten Anlauf gelingt der Sprung aufs Parkett - seit dem 11. Mai 2006 sind Anteile von Air Berlin frei handelbar.
Treibende Kraft hinter dem Wachstumswillen bleibt Vorstandschef Hunold, der noch heute im Verwaltungsrat von Air Berlin sitzt.
Hunold unternimmt zahlreiche weitere Übernahmeversuche. So schluckt Air Berlin noch 2006 Wettbewerber dba. Ein Jahr später ist die deutsche Traditionsgesellschaft LTU dran. An der Schweizer Fluggesellschaft Belair erwirbt Air Berlin im selben Jahr 49 Prozent der Anteile.
Hunold hat einen Lauf - seine Fluggesellschaft verbucht in dieser Zeit sogar Gewinne, was in der Geschichte von Air Berlin Seltenheitswert haben sollte. 2006 bleiben 40 Millionen, 2007 27 Millionen Euro übrig. Danach geht es abwärts.
Immer wieder scheitern auch geplante Akquisitionen. Die geplante Übernahme von Condor kommt nicht zustande, weil die aufziehende Finanzkrise 2008 den Markt schwächt.
Hunold holt manchen alten Weggefährten mit an Bord, um der Krise Herr zu werden - so Ex-Bahnchef Hartmut Mehdorn, der 2009 in den Aufsichtsrat einzieht und zwei Jahre später Übergangschef und Hunold-Nachfolger wird.
Den Kursverfall der Air-Berlin-Aktie nutzt die türkische Holding ESAS der Sabanci Holding (im Bild: Vorstand Guler Sabanci) und erwirbt 15,3 Prozent der Anteile.
Ende 2011 steigt schließlich die arabische Gesellschaft Etihad im Großen Stil bei Air Berlin ein, kauft einen 29,21-Prozent-Anteil und wird größter Eigner. Etihads Ziel: Über das Air-Berlin-Streckennetz auf dem europäischen Flugmarkt Fuß zu fassen.
Unter den neuen Machtverhältnissen steigt Wolfgang Prock-Schauer zum Chef auf und löst Mehdorn ab. Doch steckt die Gesellschaft schon mitten in einer großen Krise. Hunderte Arbeitsplätze werden abgebaut, die Mitarbeiter sollen auf 5 Prozent ihres Gehaltes verzichten.
Hinzu kommt, dass ihr geplantes Drehkreuz, der Flughafen Berlin-Brandenburg wegen Bauplanungsmängeln nicht eröffnet werden kann.
Etihad lässt sich derweil nicht von der Schwäche von Air Berlin beeindrucken. Die Tochter soll näher an andere Beteiligungen wie Alitalia heranrücken, wird zum Puzzleteil in der Strategie der Araber.
Der nächste Chef: Ab Februar 2015 soll Stefan Pichler Air Berlin für seinen arabischen Großaktionär endgültig wieder auf Linie bringen. Doch es geht immer weiter abwärts: 2014 verbucht seine Airline einen Verlust von 377 Millionen Euro - bis dato Rekord. Sein Sparprogramm begründet er seinen Leuten knapp: "Wir haben nur noch einen Schuss frei."
Den "letzten Schuss" setzte Pichler in Form einer Rettungsstrategie. Ein Bestandteil: Mehr Langstreckenflüge in die USA. Das Streckennetz in Europa sollte dagegen etwas schrumpfen. Immerhin gab es im Sommergeschäft 2015 schwarze Zahlen.
Zentraler Bestandteil für die Zukunftspläne bleibt danach allerdings der starke Partner Etihad. Doch ob er an Bord bleibt, erscheint zunehmend in der Folge zunehmend fraglich. Immerhin dürfen die Araber weiter gemeinsame Flüge mit Air Berlin unter einer Codenummer anbieten. Dennoch bleibt bis Anfang 2017 unterm Strich eine Milliarde Euro, die die Araber erfolglos in Air Berlin gesteckt haben.
Im Herbst 2016 stehen die Zeichen bereits auf Zerschlagung. Gespräche mit Lufthansa über einen Verkauf von Geschäftsteilen beginnen. Die Kranich-Airline will 38 Flugzeuge von Air Berlin zumindest zeitweise übernehmen.
Die Zerschlagung könnte auch Folgen haben für den Ferienflieger TuiFly. Dieser kooperiert bisher mit der Air-Berlin-Tochter Niki. Diese könnten zu einer eigenständigen Ferien-Airline zusammengelegt werden.
Der Einfluss der Lufthansa auf Air Berlin wächst bereits im Dezember 2016 massiv, der von Etihad sinkt. An der Unternehmensspitze ersetzt Thomas Winkelmann den glücklosen Stefan Pichler. Zuvor hatte Winkelmann bei der Lufthansa die Tochter Eurowings neu aufgestellt.
Doch Winkelmann kann die Airline auch nicht mehr aus den Turbulenzen holen: Am 15. August 2017 meldet Air Berlin Insolvenz an. Nachdem Großaktionär Etihad eine Kredirate nicht auszahlte, sah das Management keine Perspektive für eine normale Fortführung der Geschäfte.
Frank Kebekus führt als Generalbevollmächtigter nun gemeinsam mit Winkelmann Verkaufsverhandlungen für Air Berlin. Bald ist klar: Die Lufthansa bekommt den Großteil der Flugzeuge samt Landerechte, über den Rest wird mit Bietern wie Easyjet, Condor und Niki Lauda verhandelt.
Dass sich Winkelmann auch im Insolvenzfall einen 4-Millionen-Euro-Bonus gesichert hat, sorgt im Oktober 2017 für einen öffentlichen Aufschrei. Denn eine Auffanggesellschaft für Air Berlin-Mitarbeiter -denen zu Tausenden gekündigt wird - scheint nur in einem Mini-Umfang möglich.