Missmanagement in Reinkultur Das vermeidbare Drama der Air Berlin

Durcheinander: Air Berlin am Flughafen Tegel.
Foto: Fabrizio Bensch/ REUTERS
Utz Claassen, geboren am 7. Mai 1963 in Hannover, ist Topmanager, Unternehmensberater, Unternehmer, Investor, Wissenschaftler und Publizist. Er war unter anderem Vorsitzender des Vorstandes der EnBW Energie Baden-Württemberg AG, Sartorius AG und Solar Millennium AG und ist Gründer, Mehrheitsaktionär und Vorsitzender des Aufsichtsrates der Syntellix AG, Mitgründer und Anteilseigner der Rulebreaker Management GmbH sowie Senior Advisor der Cerberus European Investments LLC, New York/USA.
Kaum ein Unternehmen überrascht regelmäßiger mit ertragsseitigen Hiobsbotschaften als die Air Berlin PLC & Co. Luftverkehrs KG - oder als Marke einfach "airberlin", meine erklärte langjährige Lieblingsairline, deren zufriedener Gast ich mitunter fast täglich gewesen bin. Kaum eine Gesellschaft ist zugleich verlässlicher im konsequenten und kontinuierlichen Abbau liebgewonnener Serviceleistungen und Produktinhalte. Und kaum irgendwo sonst kann man den Unterschied zwischen Effektivität und Effizienz besser betrachten, studieren und verstehen. Und dies in einer Sequenz von nunmehr gleich fünf Generationen von Vorstandsvorsitzenden völlig unterschiedlicher Prägung.
Vertrieblich, marketingseitig und im Erscheinungsbild Weltklasse, ertragsseitig und in der Wertentwicklung mitunter desaströs und nicht einmal Kreisklasse: So ließ sich die airberlin gegen Ende der operativen Vorstandsära ihres Gründervaters Hunold in etwa beschreiben. Die beeindruckende Auf- und Ausbauleistung des Verkaufsgenies Hunold bildete sich leider nie überzeugend in den Ertragszahlen oder der Bilanzstruktur ab. Der Weltklasse-Vertriebsmann und Unternehmer Hunold hätte an seiner Seite einen Weltklasse-Controller und -Finanzmann sicherlich gut gebrauchen können und vermutlich auch wirklich gebraucht.
Dann kam das supererfahrene Allroundtalent Hartmut Mehdorn, einer der erfolgreichsten Manager der deutschen Industriegeschichte, der durch den Einstieg der äußerst finanzpotenten Etihad für die airberlin im Bereich der Finanzspritzen auch wahrlich Großes erreicht hat. Doch er setzte - ähnlich wie bei der Bahn - vor allem auf erhöhte Effizienz und Kostensenkung statt auf Wachstum und Effektivität. Bei den Effizienzkennzahlen war und ist die airberlin aber ohnehin schon recht stark, mitunter sogar beeindruckend gut.
Das Problem lag und liegt woanders: im Bereich der Effektivität und im Bereich der geleasten Flugzeuge, die laut diversen Branchenexperten - aus welchen Gründen auch immer - langfristig zu Konditionen angemietet wurden, die eine angemessene Ertragskraft allem Anschein nach nicht zu erlauben scheinen.
Wenn aber ein großer Teil der Flotte - so wie bei airberlin - geleast ist, dann lassen sich etwaige nicht wettbewerbsfähige Leasing-Konditionen eben nicht durch den Abverkauf noch im Eigenbesitz befindlicher Flugzeuge kompensieren. Im Gegenteil: Sie fallen dann noch stärker ins Gewicht.

Letzte Flüge der insolventen Air Berlin: Aufstieg, Sinkflug, Absturz und Ende von Air Berlin
Der zielführende Weg läge hingegen in der Reduktion des ertragsstrukturellen Gewichtes solcher Leasing-Verträge: durch Expansion, Flottenwachstum zu wettbewerbsfähigen Konditionen und margenträchtige Effizienzsteigerungen. Doch das Management der airberlin setzte auf das exakte Gegenteil: konsequente Reduktion der Flotte. So sank trotz verbesserter Auslastungsgrade der Umsatz immer weiter, und angesichts reduzierter Fixkostendeckung stiegen die Verluste bis auf den Rekordwert von 782 Millionen Euro im abgelaufenen Geschäftsjahr 2016 - ein Anstieg um knackige 75 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Im permanenten Sinkflug begriffen sind hingegen - unter nunmehr drei Vorstandsvorsitzenden in Folge: Prock-Schauer, Pichler und Winkelmann - die Produkt- und Serviceleistungen der Airline. Mit beeindruckender Konsequenz wird das Produkt seit Jahren "verschlankt". Der Wegfall des kostenlosen Champagners für VIP-Gäste mag sinnvoll und in jedem Fall verschmerzbar gewesen sein.
Doch alle Gäste müssen seit Jahren erleben, wie sie immer weniger für ihr Geld bekommen: Kein Magazin mehr zum Lesen, keine Zeitung, weniger Freigepäck, keine Wurst- oder Käsestulle, auch keinen süßen oder salzigen Mini-Snack mehr. Inzwischen muss man selbst für einen Schluck Cola Light auf einem zweieinhalbstündigen innereuropäischen Flug entsprechendes Hartgeld dabei haben.
Das alles steht im Übrigen im diametralen Gegensatz zu der Neudefinition des Fliegens, die die faktische Muttergesellschaft Etihad in geradezu märchenhaften Werbespots verheißt. Es wäre insofern an der Zeit, dass die Verantwortlichen beherzigen, dass im Wettbewerb langfristig stets derjenige erfolgreich ist, der Kundenerwartungen mit höchster Effektivität UND Effizienz erfüllt, und nicht derjenige, der sein Produkt kaputt- oder gar zu Tode spart.
Die airberlin hatte die einzigartige Chance, zum zweiten nationalen Carrier aufzusteigen, möglicherweise sogar die Lufthansa als nationale Fluggesellschaft Nummer eins abzulösen. Nunmehr muss sie jedoch hoffen, nicht in der Lufthansa auf- oder gar verloren zu gehen. Das airberlin-Management hat in nicht weniger als vier Entscheidungs- und Entscheider-Generationen auf restriktive statt expansive Sanierung gesetzt. Und damit das Hunold-Erbe nicht etwa saniert, sondern womöglich verspielt. Schulden und negatives Eigenkapital weit jenseits der Milliarden-Euro-Grenze sprechen eine deutliche Sprache.
Für die exzellente und äußerst kundenorientierte Belegschaft, der die Desillusion über die Management-Leistungen gleichwohl zunehmend anzumerken und anzuhören ist, ist das eine Tragödie. Bleibt zu hoffen, dass das letzte Kapitel dieses Dramas noch erfolgreich umgeschrieben werden kann.
Utz Claassen ist Mitglied der MeinungsMacher von manager-magazin.de. Trotzdem gibt diese Kolumne nicht notwendigerweise die Meinung der Redaktion des manager magazins wieder.