
Verkäufer Reinfried Pohl: Milliardär mit Strukturvertrieb
DVAG Das System Siegeradler
Hamburg - Licht bricht durch Wolken, die Kamera fährt über die Hochhäuser Frankfurts, dumpfe Trommeln und dramatische Streicher künden Spektakuläres an, bevor eine sehr sonore Stimme sagt: "Willkommen bei der Deutschen Vermögensberatung". Im weiteren Verlauf des Films treten die üblichen hoffnungsvoll-dynamischen jungen Menschen auf, die üblichen Flipcharts und die üblichen iPads ("Beratung mit modernster Technologie").
So weit, so konventionell präsentiert sich der Film, einer von mehreren, mit denen die Deutsche Vermögensberatung (DVAG) um Nachwuchs wirbt und Einsteiger einschwört.
Schon deutlich weniger konventionell ist der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, der in dem Film natürlich eine wichtige Rolle spielt: Reinfried Pohl wird Ende April 85 und dürfte damit diverse Rekorde rund um das Thema "Top-Management im Alter" halten. Am überraschendsten aber ist die Tatsache, dass der Motivations-Streifen überhaupt existiert. Denn es ist noch nicht lange her, da war klassische Werbung bei der DVAG verpönt: Deutschlands größter Strukturvertrieb hatte zwar rund sechs Millionen Kunden - doch über diesen Kreis hinaus war der Riese weitgehend unbekannt. Mit Filmen wie diesem sollen seit gut anderthalb Jahren vermehrt junge Talente gelockt werden.
Denn selbst der Gigant bleibt von den Erschütterungen der Branche nicht unberührt. Strukturvertriebe wie DVAG, AWD oder MLP leiden unter schlechter Presse, verstärkter Regulierung und den Skandalen und Skandälchen des ein oder anderen Players. Mehr oder weniger unsanft klopft zudem der Strukturwandel an die Tür: Wenn sich im Internet Preise und Renditen von Versicherungen und Fonds per Knopfdruck vergleichen und die Produkte gleich ordern lassen - warum sollte jemand sich abends zwei Stunden mit einem Vermögensberater hinsetzen und diesem auch noch eine Provision zahlen?
37.000 Berater unterwegs - Strukturvertriebe halten sich am Markt
"Weil das Internet niemals die persönliche Ansprache ersetzen kann", sagt Pohl und verweist so gerne wie häufig darauf, dass seine DVAG in den vergangenen Jahren die Zahl der Direktionen und Geschäftsstellen verdoppelt habe, während die Banken ihr Filialnetz immer weiter ausdünnen. Tatsächlich gibt die Wirklichkeit dem Patriarchen Recht: Das von vielen prophezeite Sterben der Strukturvertriebe ist bislang ausgeblieben. Und die DVAG verteidigt seit Jahren ihre Position als Nummer Eins im Markt.
Für 2012 weist der kürzlich veröffentlichte Geschäftsbericht einen Umsatz von knapp 1,2 Milliarden Euro aus, sowie einen Gewinn von 185 Millionen Euro - was einem Zuwachs von gut 8 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht und der höchste Jahresüberschuss aller Zeiten ist.
Rund 37.000 Berater verschaffen Pohl, dessen Söhne Andreas und Reinfried als "Generalbevollmächtigte" in die Unternehmensleitung eingebunden sind, eine massive Marktmacht. Die Aachen Münchner Versicherung etwa, Tochter der italienischen Generali , hat ihren eigenen Vertriebskanal vor einigen Jahren eingestellt und setzt ganz auf Pohls Truppe, um ihre Produkte unters Volk zu bringen.
Klare Struktur und feste Prozesse
Und das in Zeiten, in denen der Vertrieb ganz allgemein gerade generalüberholt wird. Methoden à la Ergo, mit Vergnügungs-Etablissements, 1000-Euro-Champagner und Große-Jungs-Gedeale sind out. Harsche Compliance-Regeln und eine aufgeschreckte Öffentlichkeit machen den Vertrieb mit Hemdsärmel und Hosenstall zum Auslaufmodell. "Professionalisiert Euch!", rufen Berater wie Mercuri International der Zunft entgegen.
Das auf Salestraining spezialisierte Unternehmen hat Erfolgsfaktoren erarbeitet, ohne die der Vertrieb der Zukunft nicht mehr auskommt: eine klar definierte Strategie, festgelegte Verkaufsprozesse, Trainingsmodule für die Abläufe sowie bereichsübergreifende Verkaufsansätze.
Nun hält Selfmade-Man Pohl wenig von teuren Beratern, doch die klare Struktur und die festen Prozesse, die Mercuri einfordert, waren von Beginn seiner "Allfinanz"-Unternehmung fester Bestandteil seines Konzepts. Entscheidender für seinen Vertriebserfolg aber ist etwas anderes: sein traditionelles Wertegerüst.
"Altmodisch" würde auch passen: Anstand, Verlässlichkeit, Leistung und Belohnung - das sind die Fixsterne in Pohls Universum. Und die Familie ist darin die Sonne. "Er versteht die Firma als berufliche Familiengemeinschaft, deren Mitglieder sich gegenseitig helfen", sagt Friedrich Bohl, Ex-Kanzleramtsminister und Vorsitzender des DVAG-Aufsichtsrats. Wenn schwül-barocke Verkaufsmethoden von gestern sind, dann punktet Pohl mit den Methoden von vorgestern.
Performance entscheidet über Innen- oder Außenkabine
Geprägt noch von seinen Erfahrungen als Ostfront-Panzergrenadier, wo sich "Kameraden in Lebensgefahr begeben haben, nur damit sie das Eiserne Kreuz erhalten", hat er ein ausgeklügeltes System von Wettbewerb und Belohnung geschaffen, das in seiner Systematik, Konsequenz und bunten Ausgestaltung seinesgleichen sucht.
Da sind die Wettbewerbe um Zahl und Beitragshöhe abgeschlossener Verträge, die mit Incentives wie Aufenthalten in Luxusresorts oder Kreuzfahrten belohnt werden. Selbst die Entscheidung über Innen- oder Außenkabine fällt anhand der individuellen Performance.
Da sind die Ehrennadeln, "Siegeradler", die goldenen Uhren und Geschirrservices. Und da sind die pompösen Veranstaltungen mit Stargästen wie Michael Schumacher oder Guido Westerwelle, zelebriert in riesigen Hallen, mit Gänsehaut-Musik und Licht-Dramaturgie.
Stärke liegt in der Konsequenz des Systems Pohl
Die Feste und goldenen Uhren wirken altväterlich; die Betonung von Werten und Familie klingt nach PR-Blase, und doch steckt dahinter hartes Kalkül: Die Gattin, die nach einem Fußballturnier mit Michael Schumacher noch mit dem Rennfahrer geplaudert hat, wird seltener über Überstunden ihres Mannes stöhnen. Vielleicht spornt sie ihn sogar an, damit es im nächsten Jahr dann doch die Außenkabine auf dem Schiff wird. Und schon ist sie Teil des Systems Pohl.
Es ist ein simples System, dessen Stärke in der Konsequenz liegt, mit der einige wenige Grundsätze durchgezogen werden. In der Beschränkung auf wenige Anbieter - die Versicherungspolicen stammen meist von der Aachen Münchner oder Generali, die Fonds von der Deutsche Bank-Tochter DWS.
"Wir verkaufen Grundnahrungsmittel", sagt Pohl. Und in dem rigorosen Wettbewerb, der dem System zugrundeliegt. Denn bei aller familiären Atmosphäre - geht es um Leistung, kann Pohl ziemlich ruppig werden. Berüchtigt sind seine spätabends verschickten Faxe mit dem Vermerk "Eilt nicht". Früh am nächsten Morgen klingelt dann das Telefon - Herr Pohl wartet auf eine Antwort.
Wie heißt es so schön im Film für die Einsteiger: "Wir freuen uns auf den gemeinsamen Erfolg." Man kann das als Floskel verstehen. In Wahrheit ist es natürlich eine Aufforderung, sich endlich mal richtig reinzuhängen.