
US-Aktionäre Wütender Aufmarsch gegen Managersaläre
Hamburg - Eine schnell wachsende Serie von Aktionärsrevolten versetzt das Topmanagement großer Publikumsfirmen auf beiden Seiten des Atlantiks in helle Aufregung. Beim Energiekonzern BP rebellieren Anteilseigner während der Hauptversammlung gegen das Chefgehalt von CEO Robert Dudley. Beim Mischkonzern General Electric scheitert das Aufbegehren der Aktionäre für mehr Mitbestimmung nur knapp.
Goldman Sachs erhält einen Brief vom Sequoia Fund, der vom Vorstand der Bank verlangt, die Wiederwahl von Direktor James Johnson zu verhindern. Dieser war von 1991 bis 1998 Chef bei Fannie Mae gewesen und hat in den Augen von Sequoia "unerhörte Corporate-Governance-Debakel" zu verantworten.
Bei Wells Fargo, dem größten Anbieter privater Hypothekenkredite in den USA, mussten sich vor wenigen Tagen viele Aktionäre mit Hilfe der Polizei den Weg in die Hauptversammlung bahnen. Rund 500 Protestler demonstrierten gegen die Praktiken der Großbank bei Zwangsversteigerungen.
"Die Empörung der Aktionäre nimmt wegen extremer Managervergütungen deutlich zu", sagt der Finanzprofessor Andrew Lo am Massachusetts Institute of Technology. Es scheint, als gehe vielen Aktionären vier Jahre nach der Finanzkrise die Geduld aus. Während es um die Occupy-Wall-Street-Proteste ruhiger wird, formiert sich eine neue Bewegung: Sie nimmt direkt die Vorstandsetagen ins Visier: Occupy Boardroom.
Erste Industriekonzerne geraten ins Visier der Aktivisten
Bisher trifft die Wut von Anteilseignern vor allem große Banken. Aber mit BP und General Electric geraten die ersten Industrie- und Energiekonzerne ins Visier der Aktivisten. In Deutschland machen derweil noch überwiegend Atomgegner und Umweltschützer die Hauptversammlungen von Firmen wie RWE, Volkswagen und Bayer unsicher. Doch auch hierzulande bahnt sich mit der üblichen Verzögerung gegenüber dem angelsächsischen Raum eine Konfrontation mit den neuen Aktivisten an. Sie verlangen mehr Mitspracherechte bei der Festlegung von Chefgehältern sowie beim Umfang der Gewinnausschüttungen. Bislang hat das Aufbegehren der Aktionäre nur einen begrenzten Erfolg.
Nach der Verabschiedung der Dodd-Frank-Finanzmarktreform in den USA 2010 gewährten die Regulierungsbehörden den Aktionären mehr Einfluss auf die Hauptversammlungen. Ein Bundesgericht schmetterte das im vergangenen Jahr aber wieder ab.
Jetzt suchen die Anteilseigner vieler Wall-Street-Firmen direkt, mehr Einfluss zu gewinnen. Das Recht auf "written consent" - die Möglichkeit, auch ohne eine extra einberufene Versammlung per Abstimmung Änderungen im Management herbeizuführen - wird bereits in vielen US-Firmen akzeptiert. Vor zwei Jahren kamen 13 Publikumsfirmen an der Wall Street hinzu. Im laufenden Jahr steht eine Entscheidung in den Hauptversammlungen von 25 Konzernen an, darunter Pfizer, J.P. Morgan Chase und Verizon.
Revolte schwappt nach Europa
Mit den Protesten bei Credit Suisse und Barclays ist die Revolte bereits nach Europa übergeschwappt. Fast ein Drittel der Aktionäre lehnte am vergangenen Freitag bei der Credit Suisse die präsentierten Managervergütungen ab.
Bei der HV der britischen Großbank Barclays gipfelten wütende Proteste in 31,5 Prozent Opposition gegen das Rekordgehalt von 22 Millionen Euro für Barclays-Chef Bob Diamond. Diamond sollte auch noch eine Entschädigung von 5,75 Millionen Pfund für eine Steuernachzahlung in den USA bekommen. Barclays war schon im Vorfeld der kontroversen Versammlung zurück gerudert und gab bekannt, dass Diamond auf die Hälfte der 2,7 Millionen Pfund Bonus verzichte.
Barclays "hat zuletzt drei Mal so viel Boni ausgezahlt wie Dividende und das ist ein gutes Beispiel für Aktionäre, die jetzt aufstehen und sagen, es ist Schluss", kommentiert der britische Wirtschaftsminister Vince Cable die Revolte auf der Barclays-HV.
Aktionäre verlieren die Geduld
Woher kommen die Proteste zu diesem Zeitpunkt? Erstens hat die etwas ermüdete Occupy-Wall-Street-Bewegung die Managergehälter und die "faire Lastenverteilung" in der Wirtschaft bei den Steuern auf das Tablett gebracht. Inzwischen ist die Fairness sogar ein Thema im Präsidentenwahlkampf für den 6. November geworden. Zweitens verlieren Aktionäre die Geduld, weil in vielen Firmen die Vergütung der Manager steil weiter ansteigt, während die Performance enttäuscht.
Das führte vor zwei Wochen zu einer Aktionärsrevolte bei der Citigroup. Satte 55 Prozent der Stimmen in der HV sprachen sich gegen das Vergütungspaket von 15 Millionen Dollar für Chef Vikram Pandit im Jahr 2011 aus, in dem die Aktie der Bank 44 Prozent an Wert verlor. Mehr noch: Vielen Aktionären stößt es zunehmend auf, dass die Boni schneller wachsen als die Dividenden. Hier scheint eine Schmerzgrenze erreicht.
Laut Howard Silverblatt, dem Senior Index Analyst bei Standard & Poor's, liegt die Ausschüttung von Dividenden im S&P 500-Index mit etwa 30 Prozent derzeit weit unter dem historischen Schnitt von 52 Prozent. Dass sich dies jetzt zu bessern beginnt, zeigt die Anhebung der Dividenden im S&P 500 im vergangenen Jahr um 50,2 Milliarden Dollar. Das ist ein Plus von 89,2 Prozent gegenüber 2010. Und seit Anfang des laufenden Jahres haben laut Silverblatt bereits 117 Firmen in dem Index höhere Dividenden angekündigt, oder mit der Gewinnausschüttung an die Aktionäre begonnen. Das ist ein Anstieg um 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Anleger fordern Entschädigung
Die Unruhe der Aktionäre dürfte auch damit zu tun haben, dass in den USA seit Monaten bessere Konjunkturzahlen berichtet werden - außer den Enttäuschungen der vergangenen Tage - und viele Anteilseigner jetzt für ihre Geduld nach der Finanzkrise belohnt werden wollen. Hatten vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007 noch 2513 Firmen an der Wall Street die Dividende erhöht, so brach deren Zahl 2009 auf weniger als die Hälfte ein. Die Zahl der Firmen, die ihre Ausschüttung reduzierten, nahm in dieser Zeit um das Zehnfache auf 804 zu.
Das Aufbegehren unter den Aktionären schlägt Wellen, nicht nur in den Vorstandszimmern der betroffenen Firmen. "Eine Fehlentwicklung des Kapitalismus hat die Finanzkrise hervorgerufen", sagt der Buchautor Mike Mayo ("Exile on Wall Street"), "jetzt sehen wir Aktionäre, die ihre Rechte ausüben und nicht mehr Bürger zweiter Klasse sein wollen." Auch die großen Fonds scheinen sich mehr und mehr zu mobilisieren.
Der Grund: Eine Reform der Delegiertenstimmen hat es mit Dodd-Frank 2010 nicht gegeben. Doch jetzt, wo die Börsen wieder volatiler werden, geraten viele Fondsmanager unter Druck, aktiver zu werden. "Wir haben den Eindruck, dass wir mehr kollektiv vorgehen müssen", sagt Carol Drake beim Pensionsfonds von Ohio. Auch Mike McCauley, der einen Teil des Pensionsvermögens in Florida verwaltet, sieht eine Gezeitenwende bei den Fonds: "Das Engagement nimmt klar zu", sagt er.
Heftige Kritik auch vom britischen Wirtschaftsminister
Auch in die Politik hält der neue Aktionärsaktivismus Einzug. Vince Cable hat die Stärkung der Aktionärsrechte zu einem Kernpunkt seiner Kampagne gegen Exzesse in den Vorstandsetagen gemacht. Seine Motivation ist besonders groß. Denn die eiserne Sparpolitik der britischen Regierung, die hunderttausende von Familien finanziell schwer belastet, fällt zusammen mit Vorstandsgehältern, die laut Cable "außer Kontrolle geraten".
Der britische Wirtschaftsminister kritisiert seit Monaten, dass die Managementgehälter fünf Mal so schnell wachsen wie die Löhne von Angestellten. Nun will er - nicht nur bei den Banken - die Aktionäre auf die Vorstände loslassen. In seinem Papier, das im Herbst dem Parlament vorgelegt und 2014 Gesetz werden soll, wird ein Veto von Aktionären gegen die Gehälter von Vorständen rechtlich bindend.
Auch über große Abfindungen scheidender Manager soll abgestimmt werden können. Manager sollen bei schlechten Leistungen ihre Boni zurückzahlen müssen. Firmen sollen zudem gezwungen werden, ihre Pläne zu ändern, wenn sie für wichtige Projekte nicht mindestens 75 Prozent der Aktionäre hinter sich bringen.