Unternehmen Morddrohungen für Querdenker

Menschenmengen: Einheitliches Denken bringt Unternehmen nicht voran
Foto: LUKE MACGREGOR/ REUTERSmm.de: Rulebreaker, Menschen also, die Grenzen überschreiten wie Steve Jobs - im Nachhinein weiß man immer deren Nutzen zu schätzen. Wie geht das vorab?
Jánszky: Rulebreaker haben eine besondere Bedeutung für unsere Wirtschaft: Sie bringen neue Technologien und Produkte, neue Partner und Netzwerke. Sie übertreten Grenzen, sie stören gewohnte Modelle, brechen mit bekannten Regeln und schaffen neue Märkte. Doch sie bringen nicht nur Neues, sie zerstören auch Altes. Wirkliche Innovation bedeutet die Störung funktionierender Geschäftsmodelle, verteilter Märkte, traditioneller Branchen und etablierter Netzwerke!
Wer diesen Gedanken verfolgt, der wird sehr schnell zu der Feststellung gelangen, dass die Grundwahrheit aller Markteroberungen durch große Unternehmen folgende ist: Sie müssen ihr eigenes Geschäftsmodell angreifen, sie müssen sich selbst kannibalisieren! Es liegt in der Natur der Dinge, dass die großen, etablierten Unternehmen nicht danach streben, sich selbst anzugreifen. Genau das ist ihr Fehler und genau aus diesem Grund werden sie nicht auf Dauer Marktführer bleiben. Warum wurde der Düsenantrieb für Flugzeuge nicht von den Propellerantriebsherstellern erfunden? Warum entwickelten nicht die Füllfederhalter-Hersteller den Kugelschreiber? Warum wird die Musikindustrie nicht durch Musiklabel revolutioniert und die Buchbranche nicht durch Verlage?
Wenn Unternehmen das verstehen, dann werden sie auf die Suche nach Personen gehen, die in anderen Projekten bereits bewiesen haben, dass sie eine disruptive Energie besitzen, dass sie in der Lage sind, die Grundregeln von Branchen zu analysieren und strategisch anzugreifen. Die Suche nach diesen Persönlichkeiten ist die einzige Möglichkeit, den Regelbruch vorab zu steuern.
mm.de: Wie kann sich der Rulebreaker den Vorurteilen entgegenstellen (eher "Spinner" als "Visionär")?
Jánszky: Die meisten Rulebreaker, die ich in meinem Buch porträtiert habe, haben nicht gegen diese Vorurteile angekämpft. Es wäre ein Kampf gegen Windmühlenflügel gewesen. Stattdessen haben sie jedes Vorurteil und jeden Angriff als neuen Motivationsschub genommen, es "den anderen zu beweisen". Es ist eine große Selbstsicherheit, in der Rulebreaker ruhen. Sie wissen, dass sie eine Idee verfolgen, die "in die Welt gehört". Sie fühlen sich, als hätten sie etwas erkannt, was den Anderen noch nicht möglich ist zu erkennen. Einer der Rulebreaker bringt es auf den Punkt. Er sagte mir: "Ich bin so arrogant, dass mich überhaupt nicht interessiert, was die Anderen sagen."
Regelbrechen als Schulfach?
mm.de: Ist das eine Fähigkeit, ein erlernbares Handwerk, oder ist "Rulebreaking" angeboren?
Jánszky: Es ist von beidem etwas. Die grundsätzliche Freude daran, Dinge zu hinterfragen und Regeln nicht zu akzeptieren, sondern umzuwerfen, ist wohl unter den Menschen unterschiedlich verteilt. Ob sie angeboren oder durch Sozialisierung erworben ist, darüber streiten sich die Experten. Typisch scheint mir zu sein, dass die Rulebreaker aus meinem Buch durchgängig einen "gebrochenen Lebenslauf" haben. Das heißt: Sie wurden teilweise früh in ihrem Leben und mehrfach von außen gezwungen, darüber nachzudenken, wer sie sein wollen, wohin sie gehören und warum sie tun, was sie tun. Dies schafft wohl die angesprochene Selbstsicherheit.
Auf der anderen Seite gibt es tatsächlich so etwas wie die "Regeln des Regelbruchs". Sie beschreiben ein strategisches Herangehen an Märkte und Unternehmen, eine Denkweise in verschiedenen Schritten, die dazu führt zu erkennen, in welchen Bereichen Regelbrüche möglich oder gar bereits absehbar sind, die Grundregeln dieser Branchen zu erkennen, zu brechen und durch neue Regeln zu ersetzen. Dieses "Rulebreaker-Manifest" ist das disruptive Handwerkszeug für jeden Markteroberer.
mm.de: Wie werden Rulebreaker in Deutschlands Unternehmen angesehen?
Jánszky: Sie werden zu Helden, nachdem sie Erfolg hatten. Vorher gelten sie als Außenseiter und Spinner. Da sie mit ihrer Rulebreaker-Strategie regelmäßig gegen die Geschäftsmodelle der Etablierten kämpfen, haben sie bei denen natürlich wenig Freunde. Im Gegenteil: Sie werden ausgegrenzt und nicht selten auch bekämpft. Von den zehn Rulebreakern, die ich porträtiert habe, haben zwei im Laufe der Zeit Morddrohungen bekommen. Sie haben trotzdem weitergemacht. Dies ist auch der wesentliche Unterschied zwischen Rulebreakern und Querdenkern. Querdenken kann jeder! Rulebreaker zeigen aber eine Konsequenz in existenziellen Entscheidungen, bei denen 99% der Anderen aufgegeben hätten.
mm.de: Wie viele Rulebreaker verträgt ein Unternehmen? Oder anders gefragt - braucht es in jedem Unternehmen einen solchen Denker - aber eben auch nur einen Einzigen?
Jánszky: Die Innovationsstrategien der Unternehmen sind unterschiedlich. Manche orientieren sich auf schwache Innovationsarten, wie Facelifts oder Verbesserungen von Produkten. Dafür brauchen sie keinen Rulebreaker. Dort würden disruptive Strategen eher die nötigen Prozessabläufe stören. Wenn sie aber in ihrer Branche einen neuen Markt erobern oder ein bisher ungekanntes Marktsegment besetzen wollen, dann brauchen sie Rulebreaker. Am besten performen diese, wenn sie in einer Art "U-Boot", also losgelöst vom Mutterschiff und unter dem Radar der üblichen Trägheiten der Konzernprozesse, die Aufgabe bekommen, das Geschäftsmodell des Mutterschiffs anzugreifen. Von diesen "U-Booten" darf es mehrere geben, also auch mehrere Rulebreaker. Allerdings sollten sie so wenig wie möglich miteinander zu tun haben. Denn Rulebreaker leben davon, ihre persönliche Vision zu verwirklichen. Die Abstimmung und Kompromissfindung mit Anderen ist dabei sehr hinderlich.
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