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Hochfliegende Pläne: Der Ausbau deutscher Flughäfen

Foto: Stefan Rebscher/ dpa

Nachtflugdebatte Luftfrachtbranche muss umsteuern

Anfang April wird das Bundesverwaltungsgericht über ein mögliches Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen entscheiden, dem wichtigsten Drehkreuz der hiesigen Luftfrachtbranche. Das hätte Signalwirkung für ganz Deutschland - und würde die Branche vor Probleme stellen.
Von Christopher Krämer

Hamburg - Leiser soll es werden rund um Deutschlands Flughäfen, fordert die Bundesvereinigung gegen Fluglärm - und das schon seit der Gründung im Jahr 1967. Seitdem besonders im Fokus: Flüge in der Nacht, die Anwohner um den Schlaf bringen.

Nun, so scheint es, steht ein großer Erfolg im Kampf gegen den Lärm bevor: Am 4. April wird das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die Nachtflüge am Frankfurter Flughafen entscheiden, dem wichtigsten deutschen Frachtflughafen. Und es sieht nicht gut aus für die Befürworter der Nachtflüge.

Nach Medienberichten könnte das Gericht rigoros urteilen: Keine Flüge zwischen 23 und 5 Uhr, und weniger Flugbewegungen in den sogenannten Nachtrandstunden von 22 und 23 Uhr und zwischen 5 und 6 Uhr. Damit würden die Richter noch deutlich über das erstinstanzliche Nachtflugurteil vom Oktober 2011 hinausgehen - und schon das sorgte für blankes Entsetzen in der Branche. Und bei den Beschäftigten auf dem Flughafen.

Der Luftfrachttransport hat stark zugenommen

"Die Gefahr, dass Frankfurt die Position als bestes und attraktivstes europäisches Frachtdrehkreuz verliert, ist real", sagt Lufthansa Cargo-Chef Karl Ulrich Garnadt. Ein möglicherweise dauerhaftes Nachtflugverbot am Frankfurter Flughafen sei die größte Herausforderung für das Unternehmen.

Eine solche Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wäre "ein wichtiger Etappensieg", sagt dagegen Dirk Treber, Sprecher der Bundesvereinigung gegen Fluglärm. Lange habe das Thema Lärmbelästigung keine Rolle gespielt. "Das ist nun anders", sagt Treber.

Tatsächlich hat der Luftfrachttransport in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren stark zugenommen. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wuchs der Luftfrachttransport zwischen 2001 und 2010 um über 80 Prozent. 2010 übertraf die beförderte Menge erstmals die Marke von vier Millionen Tonnen, Luftpost mitgezählt. Wichtigstes Ziel der Maschinen: Asien. In den vergangenne zehn Jahren hat der Transport von Waren mit diesem Ziel um über 145 Prozent zugenommen. Zuletzt hatten die Airlines allerdings mit Nachfragerückgängen in China und Indien zu kämpfen.

In einer komfortablen Lage sind die Unternehmen nicht

Auch im vergangenen Jahr legte das Transportvolumen insgesamt um fast fünf Prozent zu und kratzte zuletzt an der Marke von 4,3 Millionen Tonnen. Nach Angaben des Deutschen Speditions- und Logistikverbands (DSLV) betrug der Umsatz der Luftfrachtbranche im Jahr im Krisenjahr 2009 insgesamt 2,7 Milliarden Euro. Im vergangenen Jahr machte allein Branchenprimus Lufthansa Cargo einen Umsatz von 2,9 Milliarden Euro und fuhr einen operativen Gewinn von 249 Millionen Euro ein. In einer komfortablen Lage sind die Unternehmen dennoch nicht: "In der Luftfracht-Branche sind die Margen knapp, es herrscht harter Preiskampf und Verdrängungswettbewerb", sagt Gerd Pontius von der Unternehmensberatung Prologis.

Lufthansa Cargo reagierte im Oktober 2011 schnell auf das Verbot in Frankfurt. Einige Flüge wurden zum Flughafen Köln/Bonn verlegt, andere auf die Tageszeit verlegt und zwei Verbindungen ersatzlos gestrichen. Das Unternehmen schätzt die Gewinneinbußen auf mindestens 20 Millionen Euro im vergangenen Jahr und bis zu 40 Millionen in diesem Jahr.

Ausgerechnet Frankfurt am Main, das wichtigste Drehkreuz der Branche: Lufthansa Cargo schlägt hier rund 80 Prozent seiner weltweiten Tonnage um. Insgesamt waren es 2011 am Frankfurter Flughafen rund 2,2 Millionen Tonnen. In der CargoCitySüd sind seit 1996 mehr als 9000 Arbeitsplätze entstanden. Mittlerweile operieren dort über 250 Speditionen, Airlines und Expressdienstleister. Auf den Plätzen folgen Leipzig und Köln/Bonn mit jeweils deutlich über 700.000 Tonnen.

Auch in NRW rumort es

Am Flughafen Köln/Bonn betreibt zum Beispiel Fedex Express sein Umschlagzentrum für Zentral- und Osteuropa. In der Woche starten und landen 66 Fedex-Frachtmaschinen in Köln, 25 davon zwischen 22 und 6 Uhr. In München und Hahn wurden im vergangenen Jahr 303.000 und 223.000 Tonnen Fracht umgeschlagen. Nachtflüge sind derzeit nur in Leipzig, Köln/Bonn und Hahn erlaubt.

Auch in NRW rumort es in Sachen Nachtflüge. Nach Medienberichten will die rot-grüne Landesregierung noch vor der Landtagswahl im Mai ein Nachtflugverbot durchsetzen, allerdings nur für Passagiermaschinen. Im Mittelpunkt steht dabei der Flughafen Köln/Bonn. Luftverkehrsminister Harry Voigtsberger will in Kürze alle Beteiligten zu einem runden Tisch einladen. Erklärtes Ziel der Landesregierung sei, die Lärmbelastung der Anwohner so schnell wie möglich zu reduzieren. Druck machen die Grünen: "Die Zeit zum Handeln ist gekommen", sagte der NRW-Vorsitzende Sven Lehmann.

Der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL) lehnt diese Planungen ab. Der Verband befürchtet bei einem Nachtflugverbot harte Konsequenzen. Die Nachtflugmöglichkeiten seien nötig für Industrie und Tourismus, heißt es in einer Stellungnahme. Schon die derzeitigen Einschränkungen seien im internationalen Vergleich zu rigide. Sollte die Landesregierung die Passagierflüge in der Nacht verbieten, hätte dies "ein Abwandern von Investitionen, Wertschöpfung sowie Arbeitsplätzen ins Ausland zur Folge", heißt in der Stellungnahme. Den möglichen Verlust von Passagieren beziffert der Verband auf rund 1,2 Millionen im Jahr. Rund 1700 Arbeitsplätze würden durch das Nachtflugverbot wegfallen, über 850 direkt am Flughafen Köln/Bonn.

Signalwirkung für ganz Deutschland

Sollte das Bundesverwaltungsgericht das Nachtflugverbot bestätigen, könnte das Folgen für ganz Deutschland haben. Schon Anfang März forderte Jochen Flasbarth, Chef des Bundesumweltamtes, im Interview mit dem SPIEGEL strengere, bundesweite Regelungen für die Nachtflüge. Zwischen 22 und 6 Uhr morgens solle an stadtnahen Flughäfen wie Frankfurt am Main oder Berlin kein Flieger starten oder landen, forderte Flasbarth. Das ist auch die Position der Bundesvereinigung gegen Fluglärm: "Wir treten für ein totales Nachtflugverbot von 22.00 bis 6.00 Uhr morgens an allen Flughäfen in Deutschland ein, bei denen die Anwohner in hohem Maße von Fluglärm betroffen sind", sagt Treber. Ausnahmeregelungen könne es dabei für Notfälle geben.

Auch den Widerstand der Anwohner an anderen Flughäfen könnte ein entsprechendes Urteil aus Leipzig weiter befeuern: "Frankfurt hat eine starke Signalwirkung. Wenn hier in der Nacht nichts mehr fliegt, wird das die Betroffenen an anderen Flughäfen ermutigen", sagt Treber.

Die Folgen eines bundesweiten Nachtflugverbots wären beträchtlich für die Unternehmen. Denn ganz einfach verlegt werden können die Verbindungen nicht. Fracht und Passagiergeschäft sind eng miteinander verbunden: Rund die Hälfte des Frachtvolumens wird im Bauch von Passagiermaschinen transportiert. Nur so können die Anbieter viele Ziele in der Welt anbieten und effizient betreiben. Weiteres Problem: Die Anschlüsse auf anderen Kontinenten. "Die Cargo-Flieger sind eng getaktet und mit anderen Transportflügen in den USA und Asien synchronisiert", sagt Pontius. Die Konsequenzen für die logistischen Lieferketten wären enorm, wenn sich in Deutschland die Rahmenbedingungen ändern würden, sagt Pontius.

Weichen die Unternehmen ins Ausland aus?

Ein Verzicht auf Nachtflüge bedeutet für die Unternehmen möglicherweise Umwegfahrten und Zusatztransporte per LKW, sagt Bernward Jüttner, Vorsitzender des Fachausschusses Luftfrachtspedition beim DSLV. Eine Umstellung würde auch Zeit erfordern: "Die Logistikprozesse sind zu komplex, als dass sie sich von heute auf morgen einem kompletten Nachtflugverbot anpassen könnten", sagt Jüttner. Noch dramatischer wäre eine Ausdehnung eines Nachtflugverbots auf die Schulterstunden, also die Zeiten 22.00 bis 23.00 und von 5.00 bis 6.00 Uhr, sagt Jüttner.

Möglicherweise würden Unternehmen dann sogar abwandern und ihre Verbindungen anders organisieren. "Die Konsequenz eines bundesweiten Verbotes wäre in der Tat ein Ausweichen der derzeit abgewickelten Nachtflüge auf geeignete Flughäfen im Ausland", sagt Jüttner. Dies bedeute einen zusätzlichen logistischen Aufwand, der zu höheren Kosten in der Branche führen werde und damit auch zu höheren Preisen. Zusätzlich müsse sich die Industrie dann auf veränderte Auftragsannahmezeiten einstellen: "Das morgens bei einem deutschen Hersteller bestellte Ersatzteil für den Computertomographen einer Klinik in Boston - als Beispiel - steht dann nicht mehr am Folgetag in den USA zur Verfügung", sagt Jüttner.

Auch Pontius glaubt, dass sich Frachten und Waren verteuern würden. Auch werde mehr Verkehr auf die Straße verlagert, wenn es zu einem Nachtflugverbot komme.

Gefahr für deutsche Exporte

Immerhin rund ein Drittel des Gesamtwertes aller deutschen Exporte nach Asien und Übersee werden per Luftfracht transportiert, sagt Klaus-Peter Siegloch, Präsident des BDL. Die deutsche Wirtschaft brauche den Luftverkehr, damit sie als Exportnation erfolgreich bleiben könne: "Dazu gehören auch Betriebszeiten, die es ermöglichen, Güter am Ende eines Produktionstages über Nacht an Kunden weltweit zu versenden", sagt Siegloch. Lärmschutz sei im Interesse des Bürgers - aber auch wettbewerbsfähige Betriebszeiten: "Letztlich ziehen alle Bürger Vorteile aus dem Luftverkehr und deshalb muss dieser konkurrenzfähig bleiben", sagt Siegloch.

Fluglärm-Gegner Treber glaubt nicht an gravierende wirtschaftliche Konsequenzen: "Die Folgen werden von den Unternehmen übertrieben", sagt Treber leichthin. Die Nachtflüge seien nicht notwendig, es könne alles anders organisiert werden. Möglicherweise gebe es finanzielle Einbußen, aber die würden nur kurzfristig sein.

Auch müssten andere Aspekte als nur die Interessen der Unternehmen beachtet werden: "Den Gewinnen der Unternehmen stehen Kosten für die Gesundheitsschäden durch den Fluglärm gegenüber. Bislang zahlt das die Gesellschaft über die Krankenkassenbeiträge. Kein Unternehmen hat dafür Rückstellungen gebildet", sagt Treber.

Widerstand der Bevölkerung auch bei kleineren Flughäfen

Von dem wahrscheinlichen Nachtflugverbot in Frankfurt wollen kleinere Flughäfen profitieren. So wie der Airport Hahn, der bislang Verluste einfährt. "Wir sehen zusätzliche Chancen für den Flughafen Hahn im Frachtbereich", sagte ein Sprecher des rheinland-pfälzischen Infrastrukturministers Roger Lewentz (SPD) Anfang der Woche. Allerdings könnte sich das als wenig nachhaltig erweisen: "Eine Verlagerung der Nachtflüge löst das Grundsatzproblem nicht", sagt Pontius. Zwar sei die Besiedelung rund um die kleinen Flughäfen oft dünner. Aber wenn die Lärmbelastung dort steige, sei auch bei den kleineren Flughäfen schnell Widerstand der Bevölkerung zu erwarten.

Es sei ein Standortnachteil, dass in Deutschland Entscheidungen über die Airports in den Bundesländern oder sogar auf Kommunalebene gefällt würden. "Sinnvoller wäre es", sagt Pontius, "wenn der Bund die nötigen Kompetenzen hätte und auf nationaler Ebene entscheiden könnte."

Tatsächlich hat die Bundesregierung noch im Jahr 2009 in ihrem Flughafenkonzept die Wichtigkeit von "verlässlichen Rahmenbedingungen" bei der Luftfracht betont. Es gehe darum, "bedarfsgerechte Kapazitäten für die Abwicklung von Flugzeugbewegungen und den Umschlag von Luftfracht entwickeln und vorhalten zu können".

Für Dirk Treber und die Bundesvereinigung gegen Fluglärm geht der Kampf indes weiter. "Die Auseinandersetzung um den Ausbau von Flughäfen und die zunehmenden Lärmbelastungen der Anwohner insgesamt ist noch nicht vorbei", sagt Treber. Am kommenden Samstag wollen Fluglärmgegner an allen großen Flughäfen in Deutschland gegen den Krach demonstrieren - Treber und seine Mitstreiter erwarten bundesweit rund 50.000 Teilnehmer.

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