Enttäuschte Anleger US-Firmen plagen sich mit Gewinnschwund

Highlight Boeing: Das US-Luftfahrtunternehmen überzeugt Anleger mit steigenden Gewinnen
Foto: STEPHEN BRASHEAR/ AFPNew York - Es ist ein mulmiges Gefühl, das mehr und mehr Wirtschaftsbeobachter und Anleger in den USA erfasst. Die US-Comapanies scheinen unter einem brisanten Gewinnschwund zu leiden. Denn von den 500 größten Firmen des Landes - gebündelt im weltweit beachteten Aktienindex S&P 500 - haben zwar 59 Prozent die Gewinnerwartungen der Analysten übertroffen. Das aber ist der geringste Prozentsatz in den vergangenen zehn Jahren. Und das, obwohl im Vorfeld der Veröffentlichungstermine die Analystenerwartungen gezielt gedämpft worden waren. Zum Vergleich: Der Durchschnitt der positiven Gewinnüberraschungen lag selbst in den beiden Vorjahren bei 75 Prozent.
Mehr noch: Zu Beginn der vierten Woche im laufenden Bilanzreigen für das Schlussquartal 2011 gibt es mehr Firmen, die ihren Ausblick drosseln, als solche, die ihre Erwartungen nach oben korrigieren. Das passiert schon im zweiten Quartal hintereinander. Eine solche Serie hat es zuletzt am Tiefpunkt der großen Rezession gegeben. Bedenklicher noch: Das ohnehin enttäuschende Gewinn-Momentum wird von wenigen großen Playern aufrecht erhalten. An der Wall Street spricht man in diesen Tagen vom sogenannten "ABC"-Effekt: Die Überflieger Apple, Boeing und Caterpillar retten mit ihren Bilanzen die gesamte Berichtssaison.
Im S&P 500 liegt das Gewinnwachstum für das vierte Quartal 2011 zur Halbzeit des Bilanzreigens bei 7,9 Prozent; das entspricht noch in etwa den Vorhersagen. Doch wenn man den größten Wert im S&P 500 herausrechnet - das ist der iPhone-Primus Apple, der seinen Gewinn um 118 Prozent steigern konnte - dann bleibt für die Firmen in dem marktbreiten Index insgesamt nur noch 4,7 Prozent Gewinnzuwachs übrig, also etwas mehr als halb so viel.
Noch mulmiger wird das Gefühl der Beobachterbeim Blick auf den IT-Sektor selbst, der vielfach als Konjunkturindikator gewertet wird. Das Gewinnwachstum liegt hier bei 11,9 Prozent. Doch ohne den iPad-Produzenten mit dem Apfel im Logo käme für die IT-Firmen zur Halbzeit der Berichtssaison gar ein Rückgang ihrer Gewinne um 2,9 Prozent heraus.
Konstant unter den Prognosen
"Wirtschaftliche Erholungsphasen können kaum schwächer ausfallen als diese", überschreibt das New Yorker Analyseunternehmen Bespoke Investment seine Zwischenbilanz der laufenden Berichtssaison. So lägen die Zuwächse des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den USA seit dem offiziellen Ende der großen Rezession im Juni 2009 konstant unter den Prognosen. In jedem der zehn Quartale seit dem Ende der Rezession sei das BIP-Wachstum der US-Wirtschaft schwächer gewesen als im historischen Schnitt seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In den vergangenen 70 Jahren habe in jedem zehnten Quartal nach einer Rezession das BIP-Wachstum im Schnitt bei 3,0 Prozent gelegen. Laut der ersten Schätzung des Handelsministeriums am vergangenen Freitag für das Schlussquartal 2011 lag die Wachstumsrate diesmal bei 2,8 Prozent. Ohne Lageraufbau, also unverkaufte Ware, hätte sie bei 0,8 Prozent gelegen.
Was die Beobachter der laufenden Berichtssaison in den USA noch mehr verunsichert als die Gewinne der jüngsten Vergangenheit, ist der Blick nach vorn. Zieht man von den Firmen, die ihre Gewinnprognose für 2012 zuletzt anhoben, diejenigen ab, die ihre Erwartungen nach unten korrigieren, ergibt sich ein negativer Wert: -3,3 Prozent. Im Klartext: Die Mehrheit der Topmanager in den führenden US-Firmen erwartet eine Schwächeperiode in den kommenden Monaten.
Das hat in der vorigen Woche auch schon eine Umfrage des Firmenberaters PricewaterhouseCoopers unter 1258 internationalen Vorstandschefs ergeben. Demnach sind lediglich 40 Prozent der Chefs "sehr zuversichtlich", dass der Umsatz ihres Unternehmens bis Ende 2012 wachsen wird. Vor einem Jahr waren noch 48 Prozent aller CEOs so zuversichtlich. Nicht nur die anhaltende Euro-Schuldenkrise entnervt die Firmenlenker. Sie sorgen sich auch um den nachlassenden konjunkturellen Schwung in den Wachstumshochburgen der großen Schwellenländer.
Im laufenden Jahr gesellen sich zu den Unwägbarkeiten auch noch die anstehenden Wahlen in Frankreich und den USA sowie die weiter schwelenden Spannungen zwischen dem Westen und dem Iran hinzu. "Wir leben in einer wirklich erstaunlichen Zeit. Sie ist volatil, risikoreich und unsicher", sagt Boston Consulting-Chef Hans-Paul Bürkner. Der Blick auf den jüngsten Bilanzreigen an der Wall Street bestätigt, dass diese Einschätzung weit verbreitet ist. Das dritte Quartal 2011 war das erste seit 2009, in dem mehr Firmen ihre Erwartungen für die kommenden Monate zurückschraubten als umgekehrt. Das vierte Quartal, über das gerade berichtet wird, ist das zweite in Folge.
Effizienzreserven langsam aufgebraucht
Freilich: Noch haben etwas mehr als 50 Prozent der Firmen im S&P 500 haben ihre Bücher noch nicht offengelegt, die Bilanzrunde endet erst Mitte Februar. Doch schon jetzt sagen viele Analysten vorher, dass die zweite Hälfte der Quartalsberichte eher an Schwung verlieren und das Gesamtbild weiter eintrüben wird. Analysten der US-Investmentbank Morgan Stanley gehen gar davon aus, dass die Umsatz- und Gewinnziele unter dem Strich für den Rest des Jahres noch weiter zurück genommen werden. Die Warnung ist unmissverständlich: "Viele Investoren sehen die gedrosselten Umsatzprognosen als etwas Positives, weil sich deswegen in den nächsten Quartalen positive Überraschungen ergeben werden. Wir stimmen dem zu. Aber wir denken nicht, dass die jüngste Rally sich aufrecht erhalten lässt".
Bei näherem Hinsehen wird in der laufenden Bilanzrunde auch deutlich, dass die Gewinne besser aussehen als die Umsätze. Die US-Firmen haben sich mit Entlassungen, IT-Investitionen, Verlagerung von Jobs und vielen Kostenmaßnahmen fit wie ein Sprinter gemacht. Doch wenn die Verkaufserlöse weiter schwächeln, wird das nicht mehr lange helfen. Die Effizienzreserven sind langsam aufgebraucht. Beim Umsatz soll sich das Bild der 317 Firmen, die bis zum Montag noch nicht berichtet hatten, weiter eintrüben. Erwartet wird von den Analysten im Schnitt ein Umsatzanstieg im vierten Quartal von 3,08 Prozent. Ohne die Banken, die diesmal kräftig unter dem einbrechenden Handels- und Investmentbanking-Geschäft gelitten haben, wäre das Umsatzplus sogar bei 7,56 Prozent, sagen Analysten. Im dritten Quartal hatte der Umsatzzuwachs insgesamt noch 13,16 Prozent betragen.
Wohin die Reise bei den Quartalsbilanzen geht, lässt sich bislang am besten vielleicht aus einer der herben Enttäuschungen dieser Bilanzrunde ablesen: Google. Der Internet-Gigant erreichte Ende 2011 nur noch einen Gewinn je Aktie von 9,50 Dollar, nach einer Durchschnittsprognose von 10,50 Dollar. Das schwache Geschäft in Europa sowie der durchschnittliche Rückgang der Werbeeinnahmen je Klick - um 8 Prozent - lasteten auf dem Ergebnis.
Margendruck scheint zu steigen
Die Kommentare von Analysten zum Google-Ergebnis sprechen Bände über den Eindruck, den die laufenden Bilanzsaison gerade hinterlässt: "Google sieht jetzt nicht mehr so unsterblich aus", sagt etwa Colin Gillis bei BGC Partners in New York. "Die sind nicht mehr unverwundbar", kommentiert auch sein Analystenkollege Herman Leung bei der Susquehanna Financial Group in San Francisco. Google erzielte im vierten Quartal 53 Prozent seiner Erlöse außerhalb der USA. Die Online-Werbeeinnahmen in Europa, die im ersten Halbjahr 2011 noch um 20 Prozent gewachsen waren, legten im Schlussquartal 2011 nur noch um magere 5 Prozent zu.
Auch der Margendruck scheint sich zuletzt weiter erhöht zu haben, was die seit zwölf Quartalen gute Gewinnentwicklung der börsennotierten US-Firmen in den nächsten Monaten belasten könnte. Bei Google stiegen die Betriebskosten auf 32 Prozent vom Umsatz an, nach 30 Prozent im Vorquartal. "Eine der größten Sorgen", sagt der Analyst Ken Sena bei Evercore Partners in New York, "ist, wie die Gewinnmargen in den nächsten Monaten aussehen werden".
Weitere Risse im Bilanzbild zeigen sich auch beim Vergleich der Margen seit dem Ende der Rezession. Lagen die Nettomargen 2008 noch bei 5,9 Prozent, so stiegen sie 2009 auf 6,3 Prozent. Im Jahr 2010 verbesserten sie sich weiter auf 8,5 Prozent, um sich schließlich im vergangenen Jahr auf 9,04 Prozent empor zu arbeiten. Im laufenden Jahr sollen 9,2 Prozent erreicht werden. Das wäre zwar nochmals ein Zuwachs, aber der schwächste in vier Jahren. Doch diese Prognose basiert auf einer kaum berechenbaren globalen Großwetterlage.
Anleger trauen den Kursen nicht
Nicht nur Analysten und CEOs haben gemischte Gefühle, wenn sie die jüngsten Bilanzen sehen. Die Anleger sind richtig skeptisch. Obwohl der S&P 500-Index in den ersten vier Wochen den besten Start ins Jahr seit 1989 erwischte, dümpeln die Umsätze in New York vor sich hin. Mit 6,7 Milliarden gehandelten Aktien pro Tag in den 50 Tagen bis zum 18. Januar gibt es derzeit die geringsten Umsätze seit mindestens 2008, haben die Analysten bei Bespoke Investment in New York ausgerechnet. Das Kurs-Gewinnverhältnis des S&P 500 liegt aktuell bei 13,7. Der historische Schnitt seitdem liegt bei 16,4. Diesen Wert hat der S&P seit 446 Tagen nicht mehr überschritten. Im Klartext: Die Anleger trauen diesen Kursen - und damit den Gewinnberichten - nicht, sie boykottieren die Rally.
Auch Rekordgewinne der börsennotierten Firmen, zehn Quartale in Folge mit wachsendem Bruttoinlandsprodukt sowie das Versprechen der Fed, die Zinsen bis Ende 2014 nahe der Nulllinie zu halten, können daran im Augenblick nichts ändern. Es ist schließlich die Fed selbst, die vorige Woche bis Ende 2012 den USA eine unveränderte Arbeitslosenrate von 8,2 bis 8,5 Prozent vorhersagte, und die sich weitere drei Jahre lang angesichts einer sehr zaghaften Erholung "mit signifikantem Abwärtsrisiko" nicht traut, die Zinsen wieder anzuheben.