Moral und Wirtschaft Gegensätze ziehen sich an?

Groß gegen Klein: Passt das wirklich?
Foto: REUTERSHamburg - Alt ist der Begriff, so alt wie die Menschheit. Kirchenphilosoph Augustinus dachte über ihn nach, Immanuel Kant meißelte seine Vorstellungen von Moral in die Stelen der Geisteswissenschaft. Und doch ist Moral ein ewig aktueller Begriff. Christian Wulff zum Beispiel mag gegen kein Gesetz verstoßen haben - doch moralisch dürfte das Verhalten des Bundespräsidenten fragwürdig sein. Kein Einzelfall, auch in der Wirtschaft kommt es immer wieder vor, dass gegen Moral verstoßen wird. Manchmal unter Verletzung des Strafrechts, manchmal nur als Verstoß gegen das, was allgemein als Anstand betrachtet wird. Zurück bleibt zumeist ein Scherbenhaufen.
Die Kunden von Bernard Madoff, dem wegen Betrugs verurteilten Vermögensverwalter, fragen sich noch immer nach dem "Warum". Spätestens seit Grünenpolitiker Cem Özdemir dienstliche Bonus-Flugmeilen privat verwendet hat, betrachten die Bürger Politiker skeptisch. Und in der UBS dürfte man sich noch immer fragen, wie Händler Kweku Adoboli riskante Positionen aufbauen konnte, die er eigentlich gar nicht hätte aufbauen dürfen, und seinem Arbeitgeber so Milliardenverluste bescherte. Ist das jeweils nur das Aufbegehren empfindsamer Seelen? Weit gefehlt - immer lauter wird der Ruf nach dem Gesetzgeber als ultimativer Wächter des Anstands. Zum Beispiel mit Blick auf die Banken. Die meisten Menschen empfinden es als empörend, dass mit den Banken eine Branche permanent mit Steuergeldern gestützt wird, die die Welt mit in die Krise gesteuert hat. Der Ruf nach dem Gesetzgeber, zum Beispiel zur Einführung einer Finanzmarkttransaktionssteuer, ist aus ihrer Sicht daher nur konsequent. Zumal dieser Weg ein klassisches Dilemma der Moral beseitigt.
Halten sich nur einige Unternehmenslenker an solch ungeschriebene Regeln und andere nicht, könnte moralisches Verhalten zum Wettbewerbsnachteil werden. "Die starke Betonung von Regeln, die für alle Konkurrenten gleichermaßen verbindlich sind, hat ihren Grund darin, dass es darauf ankommt, moralische Leistungen mindestens wettbewerbsneutral, das heißt, nicht zu einem Nachteil im Wettbewerb, werden zu lassen", schreiben Ingo Pies und Alexandra von Winning von der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Nur so kann moralisches Verhalten Einzelner vor der Ausbeutung durch Konkurrenten geschützt werden." Freilich, besser wäre es, würde jeder Einzelne jene ungeschriebenen Regeln berücksichtigen, die sich hinter dem etwas sperrigen Begriff der Moral verbergen. Florian Wettstein und Thomas Beschorner, beide Professoren am Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen, nennen diese Einstellung in einem Beitrag "Integrität". Und postulieren, dass der eindimensional auf Effizienz getrimmte Technokrat an der Spitze der Unternehmung als Ideal der Vergangenheit angehöre.
Auch in der Praxis mehren sich die Stimmen, die zu einer Rückbesinnung auf Werte plädieren. "Wäre Herr Wulff bei einer meiner vorherigen Arbeitgebern beschäftigt gewesen, so hätte sein Verhalten wegen Verletzung des 'code of conducts' eine sofortige fristlose Kündigung nach sich gezogen. Und was für Manager eines Unternehmens gilt, muss doch wohl für den ersten Repräsentanten des Staates erst recht gelten", sagt zum Beispiel Albert Klein, Geschäftsführer der Firma Insight Out und Mitglied der manager-lounge. Code of conduct ist ein Verhaltenskodex im Geschäftsleben - ohne Gesetzes-, wohl aber mit Symbolkraft. Und um Symbole geht es.
Denn es hat Folgen, wenn sich Führungskräfte nicht an Regeln halten, geschriebene wie ungeschriebene. "Wie soll ein Nichtmanager, soll der 'gewöhnliche Bürger', der Mann oder die Frau auf der Straße überhaupt noch überzeugt bleiben können, sich an ethische Grundregeln zu halten, wenn diejenigen, die kraft ihrer Profession - wie zum Beispiel Pädagogen oder Priester (Stichwort Odenwald-Schule, Stichwort Missbrauch) - oder kraft ihres Amtes - wie der Bundespräsident -Vorbildfunktion haben, an diesem Punkt sichtlich versagen", fragt der Professor und Managementtrainer Günter Koch. Immerhin, es gibt Entwicklungen, die hoffen lassen.
"Das Thema Ethik hat nach der von Gier ausgelösten Wirtschaftskrise eine Renaissance erlebt", stellt die Deutsche Bildung fest, die Studenten finanziell fördert. "Auch bei Studierenden wurde das Interesse für Ethik und Nachhaltigkeit geweckt. Sie bilden Initiativen und fordern neue Veranstaltungen für ihre Stundenpläne." Und Unternehmen wie die Beratungsgesellschaft Accenture stellt Berater, die freiwillig in Drittweltländern helfen wollen, bis zu neun Monate von der Arbeit frei.
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