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Arabien im Umbruch: Chancen und Risiken für deutsche Industrie

Foto: Wintershall/ dpa

Aufbaugeschäft Deutsche Konzerne drängen nach Libyen

Es kann ein Geschäft für Jahre werden: Deutschlands Handelskammern und der Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft rechnen künftig mit intensiveren Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Bundesrepublik und Libyen. Jetzt wollen erste Konzerne starten - so schnell wie möglich.
Von Moritz Seidel

Hamburg - Priorität hat in Libyen die Versorgung der Bevölkerung - nur so kann sich die Lage dauerhaft stabilisieren. Aber beim Wiederaufbau bieten sich nach Expertenmeinung auch Geschäftschancen für deutsche Unternehmen, und das im großen Stil. "Krankenhäuser, Strom- und Wasserversorgung und Straßen: In Libyen steht die Sanierung ganzer Stadtviertel an", weiß Hans Werner Meier-Ewert, Geschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. "Und deutsche Technologie wird sehr geschätzt."

Davon will Deutschlands Wirtschaft natürlich profitieren. Zum Beispiel Siemens (Kurswerte anzeigen): Mit den Konzernteilen Energie, Infrastruktur und Gesundheitstechnik ist das Unternehmen bereits in Libyen vertreten. "Sobald sich die Sicherheitslage wieder beruhigt, wollen wir unser Geschäft dort sukzessive wieder aufnehmen", sagt Siemens-Sprecher Wolfram Trost. Insgesamt hat der Konzern knapp 100 Mitarbeiter in dem arabischen Land. Davon wurden Anfang des Jahres ein paar Dutzend evakuiert.

Auch der Anlagenbauspezialist Ferrostaal musste im Februar 600 internationale Mitarbeiter ausfliegen. Bevor die Kämpfe ausbrachen, baute das Unternehmen in Libyen Anlagen zur Öl- und Gasförderung. "Wir möchten so schnell wie möglich wieder ins Land", erklärt Sprecher Hubert Kogel.

RWE Dea plant bereits neue Investitionen

Die Öl- und Gasförderunternehmen RWE Dea und Wintershall - eine BASF-Tochter - möchten ebenfalls schnell zurück. RWE-Dea-Sprecherin Daniela Puttenat betont, dass RWE Dea weiterhin daran interessiert sei, die Explorations- und Entwicklungsprojekte wieder aufzunehmen, sobald es die Lage zulässt. "Denn mit Aufnahme der Produktion würden wieder Einnahmen ins Land fließen", erklärt sie - und natürlich auch in die Unternehmenskassen. Erste Libyen-Investitionen sind dann auch bereits absehbar: RWE Dea beabsichtigt, rund 50 Millionen Dollar in neue Explorationstätigkeiten für die Ölförderung in Libyen zu investieren. Für die Entwicklung bestehender Ölfunde sind Investitionen in Höhe von 650 Millionen Dollar geplant. Noch allerdings hat RWE Dea kein Tröpfchen der wertvollen Funde gefördert.

Konkurrent Wintershall ist da schon weiter - war es zumindest schon einmal: Die BASF-Tochter förderte einst in Libyen bereits bis zu 100.000 Fass Erdöl pro Tag. Grundsätzlich könne die Produktion jetzt innerhalb weniger Wochen wieder aufgenommen werden, erklärt Sprecher Stefan Leunig: "Das Hochfahren der Produktion ist aber insbesondere abhängig vom Zustand der Exportinfrastruktur sowie einer stabilen Sicherheitslage in Libyen."

Energieinitiative Desertec setzt auf Libyen

Für den stellvertretenden Bereichsleiter International der DIHK Felix Neugart ist außerdem entscheidend, dass die Sanktionen gegen Libyen so schnell wie möglich aufgehoben werden. "Sobald Überweisungen wieder möglich sind und die eingefrorenen Konten zugänglich gemacht werden, kann der Wiederaufbau beginnen", sagte er.

Am Freitag gaben die Vereinten Nationen 1,5 Milliarden Dollar frei, die in den USA eingefroren waren. 505 Millionen Dollar sollen aus Italien kommen. Die deutsche Wirtschaft drängt darauf, dass die Bundesrepublik nachzieht - und zwar nicht nur Vertreter deutscher Großkonzerne. Auch der hiesige Mittelstand will nach Möglichkeit in das neue Libyen-Geschäft einsteigen. Die Chancen stehen offenbar auch für diese Unternehmen nicht schlecht:

"Bei mehr Transparenz und Wettbewerb als unter Gaddafi sind die Deutschen in einer guten Position", sagt etwa Abdulaziz al-Mikhlafi, Generalsekretär der Arabisch-Deutschen Handelskammer. Die Beziehungen werden sich nach seiner Einschätzung intensivieren. Das gelte für alle Bereiche der Wirtschaft, und auch für Unternehmen, die bis jetzt nicht in Libyen aktiv waren.

So schätzt Paul von Son - CEO von Dii, dem Industriekonsortium um Desertec - die Chancen für Wind- und Solaranlagen dann auch besser ein als unter dem Regime: "Wir zweifeln nicht, dass Strom aus der Wüste in der Zukunft ein zentrales Thema für Libyen werden wird." Gerade in Ländern, in denen jetzt Demokratisierungsprozesse einsetzten, wachse die Bereitschaft der Bevölkerung und der Regierungen zum Aufbau von großen Kraftwerken die regenerative Energien nutzen. Dadurch entstünden auch Perspektiven für die junge Bevölkerung.

Dass Deutschland sich bei der UN-Resolution zu einem Militäreinsatz in Libyen enthalten hat, schätzen alle befragten Organisationen und Unternehmen als unproblematisch ein. "Es gibt keine Ressentiments gegen die Deutschen", so Meier-Ewert vom Afrika-Verein.

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