Corporate-Benchmark-Studie Wenn jede Abteilung nur ein Solo spielt

Social Media nimmt Unternehmen immer mehr die Kommunikationshoheit aus den Händen. Allerdings haben die wenigsten Firmen bereits Strategien für diesen Bereich entwickelt
Foto: Armin Weigel/ dpaKöln - So lautet jedenfalls das Fazit der diesjährigen Studie "Corporate Benchmark 2011" die das Beratungsunternehmen Ned Federation bereits zum achten Mal in Folge herausgegeben hat. Die Berater aus Köln untersuchen dabei den gesamten Internetauftritt der rund 110 Unternehmen aus Dax 30, MDax und TecDax. Dabei definieren sie fünf Kernbereiche, nämlich Corporate Social Responsibility, Human Resources, Investor Relations, Konzernprofil und Media Relations und analysieren diese Bereiche hinsichtlich Design, Inhalt, Service und Technik.
Jeweils ein Experte nimmt einen der fünf Bereiche pro Unternehmen unter die Lupe und bewertet ihn anhand von rund 400 Unter-Kriterien, für die entsprechend Punkte vergeben werden. Dazu gehören bei der Technik beispielsweise die dauerhafte Erreichbarkeit der Seite oder das Anbieten einer Autocomplete-Funktion, ein Feature, das Wörter vervollständigt, die nur halb oder bruchstückhaft vom Nutzer eingegeben worden sind.
Über alle fünf Bereiche hinweg kann ein Unternehmen höchstens 1000 Punkte erreichen. Von dieser Höchstzahl sind die Kandidaten aus Dax, MDax und TecDax jedoch weit entfernt. Im Gesamtranking über alle Indizes hinweg haben Schwergewichte wie die DAX - Unternehmen BASF (788 Punkte), Deutsche Post (Vorjahressieger, 735 Punkte) und Bayer (734 Punkte) die Nase vorn.
Chemiekonzerne an der Spitze
Schon die ersten drei Plätze zeigen, dass in der Gesamtauswertung nach Branchen die Chemie deutlich vor den Spezialmaschinenbauern und den Herstellern medizinischer Geräte führt. Für Frank Brettschneider, Professor am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft der Universität Stuttgart-Hohenheim ist das keine Überraschung: "In den 80er und 90er Jahren war die Chemie die Branche mit dem größten Reputationsschaden in der Öffentlichkeit - und sie hat daraus offenbar gelernt und eine konstruktive Kommunikationsstrategie entwickelt".
So hat die Branche ähnlich wie die Pharmazie beispielsweise ihren Nutzen für die Bevölkerung ins Zentrum ihrer Kommunikation gestellt, was eine Reihe von Medieninhaltsanalysen eindeutig belegen. Fernsehzuschauer denken vor allem an die allgegenwärtigen Fernsehspots der forschenden Arzneimittelunternehmen.
Auch Christian Berens, Geschäftsführer von Ned Federation, sieht beispielsweise die Website der BASF als den " strategischen Mittelpunkt in der Unternehmenskommunikation", sprich als Basis für die Kommunikation mit dem Endverbraucher und dem Branchenfachmann gleichermaßen. Allerdings sei dies durchaus nicht üblich bei den Unternehmens-Websites, erklärt der Fachmann weiter.
Unternehmensübergreifend sei festzustellen, dass "auf vielen Unternehmens-Websites jede Fachabteilung ihr eigenes Konzert spielt, die Abteilungen völlig unabhängig voneinander agieren". So säßen häufig beim Relaunch des Internetauftritts alle Abteilungen zum ersten Mal beisammen, um sich gegenseitig über ihre Inhalte zu informieren.
Häufig fehle eben ein Dirigent für den Gesamtauftritt. Oder, wie Professor Frank Brettschneider formuliert, ein zusammenhängendes Kommunikationskonzept. Das gäbe es eben nur dann, wenn auch ein klares Unternehmensziel existiere, das kommuniziert werden könne - und wenn es das nicht gibt, dann ist eben auch die Kommunikation darüber nur Stückwerk.
Das zeigt sich auch deutlich in den Worst-Case-Beispielen Studie von Ned Fed. So ist der einzige Inhalt der Human-Resources-Seite des Unternehmens BB Biotech der Satz "Zurzeit haben wir keine offenen Stellen". Oder die HR-Seite von Pfeiffer Vacuum, die besagt, dass Onlineausschreibungen bevorzugt werden, das angekündigte Onlinebewerbungsformular aber nicht vorhanden ist.
Onlinewerbung steigert Marktanteil deutlich
Dabei können sich Unternehmen einen mangelhaften Onlineauftritt auch nach Ansicht der Steuer- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers gar nicht leisten. Denn nach deren neuer Studie "German Entertainment und Media Outlook 2010 - 2014" hat in diesem Jahr erstmals die Onlinewerbung die Vorherrschaft über den deutschen Werbemarkt erlangt.
Auch mittelfristig wird nach Einschätzung von PricewaterhouseCoopers die Werbung im Internet überdurchschnittlich stark wachsen und ihren Marktanteil von rund 22 Prozent im Jahr 2010 auf voraussichtlich fast 32 Prozent im Jahr 2014 steigern.
Noch ärger als im Bereich Onlineauftritt insgesamt sieht es nach Ansicht von Christian Berens, Geschäftsführer von Ned Fed bei den Auftritten der Unternehmen in den sozialen Medien wie Facebook, Twitter und Co. aus. Und das obwohl allein bei Facebook nach eigenen Angaben bereits mehr als 800 Millionen Nutzer registriert sind. Hier warnt Berens vor Nichtstun: "Social Media nimmt den Unternehmen die Kommunikationshoheit nun mal aus den Händen - und gerade deswegen ist es wichtig, in den Kommunikationsprozess eingebunden zu sein, um überhaupt mitreden zu können."
Daimlers professioneller Blog als Vorbild
Auch bei Social Media gibt es bereits Vorreiter, die das Medium ausgesprochen gut zu nutzen wissen. Berens denkt da an den Automobilhersteller Daimler, der bereits seit Jahren einen ausgesprochen professionellen Blog führt, an dem auch die Mitarbeiter dank einer Social-Media-Strategie eingebunden sind. "Dort kann wirklich alles, was konzernrelevant ist, auch besprochen werden, weil auch Mitarbeiter wissen, was geht, und was geht nicht", sagt der Berater.
Solch eine Nutzung moderner Kommunikationsmöglichkeiten funktioniert allerdings nur, wenn der Unternehmensauftritt im World Wide Web auch als Führungsaufgabe verstanden wird und vom Vorstand entsprechend vorangetrieben wird. Sonst kann schon das Eingehen und Bearbeiten von E-Mails zum Scheitern verurteilt sein.
Berater Berens musste das am eigenen Leibe erfahren, wurden doch von seinem Beratungsunternehmen 330 E-Mails an Fachabteilungen geschickt - und nur 55 Antworten empfangen. Das lässt ihn manchmal am eigenen Job verzweifeln: "Wenn schon für das einfache Internet keine ausreichende Strategie vorhanden ist - wie sollen dann die neuen Medien umgesetzt werden?"