Übernahmen "Chinesen bieten für 30 deutsche Autozulieferer"

Volkskongress in China: Neuer Fünfjahresplan soll das Autogeschäft verändert haben
Foto: Feng Li/ Getty Imagesmm: Herr Berret, Herr Kohlen, es scheint als hätte China einen gigantischen Appetit auf deutsche Unternehmen entwickelt. Erst hat Lenovo den Aldi-Hauslieferanten Medion übernommen, dann spekulieren alle über das wieder erwachte Interesse des Pekinger Baic-Konzerns an Opel, und jetzt kauft die staatliche chinesische Citic-Gruppe den Hildesheimer Aluminiumgussspezialisten KSM. Droht der Ausverkauf insbesondere deutschen Automobil-Knowhows nach China?
Berret: Einen Ausverkauf sehe ich definitiv nicht. Gerade wenn es um Automobilzulieferer geht, passen die großen Konzerne wie Volkswagen, Daimler und BMW schon auf, dass nicht zu viel Wissen über ihre Technologien in Richtung Ausland abfließt. Aber es gibt derzeit einen noch nie erlebten Schub an Investitionen aus China. Und wir werden in den nächsten Monaten noch viele ähnliche Transaktionen erleben.
mm: Was führt Sie zu dieser Erwartung?
Berret: Schauen Sie sich die Entwicklung der vergangenen zwölf Monate an. Investoren aus Wachstumsregionen, insbesondere aus China, haben ihren Anteil an den Übernahmen von Autozulieferern aus dem deutschsprachigen Raum verdoppelt. Und ihr Interesse an europäischen Zulieferern wächst weiter. Momentan stehen zwischen 20 und 30 weitere deutsche Unternehmen zum Verkauf - und bei nahezu jedem gibt es einen sehr interessierten chinesischen Bieter.
mm: Die betroffenen Belegschaften reagieren besorgt, etwa bei dem ebenfalls nach China verkauften Zulieferer Saargummi. Die Arbeitnehmer erinnern sich an krachend gescheiterte frühere Versuche: zum Beispiel die Übernahmen des TV-Herstellers Schneider und des Flugzeugkonzerns Fairchild Dornier.
Berret: Das stimmt, aber die Angst legt sich langsam. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens haben die Chinesen früher schwer angeschlagene Unternehmen gekauft. Sie mussten sanieren und Mitarbeiter entlassen. Als sie aber dann scheiterten, war das für sie eine doppelte Niederlage: Die Übernahme hatte sich nicht gelohnt und das Image der chinesischen Investoren war ruiniert. Heute kaufen sie gezielt technisch gut entwickelte und meistens auch florierende Firmen, die nicht restrukturiert werden müssen. Außerdem haben chinesische Investoren verstanden, dass sie die Mitarbeiter korrekt behandeln müssen, wenn sie langfristig von ihrem Fachwissen profitieren wollen. Ansonsten verlassen die besten Fachkräfte schnell das Unternehmen.
mm: Aber sind die chinesischen Methoden, ein Unternehmen zu führen, wirklich kompatibel mit sozialer Marktwirtschaft und deutscher Managementkultur?
Kohlen: Endgültig werden wir diese Frage erst Monate oder sogar Jahre nach der Übernahme beantworten können. Sicherlich haben aber die Chinesen verstanden, wie sie den Wert eines Unternehmens erhalten. Dazu gehört auch der Respekt unterschiedlicher Managementkulturen.
Berret: Kulturelle Unterschiede haben Sie immer. Das gilt für Käufer aus Brasilien genauso wie für amerikanische Finanzinvestoren und selbst für Partner aus unserem Nachbarland Frankreich.
mm: Das mag alles sein. Was aber ist mit der vielleicht größten Angst vor den neuen Angreifern: Den Chinesen gehe es einzig um die deutschen Patente, die deutschen Fabriken und Entwicklungszentren würden über kurz oder lang geschlossen.
Berret: Da spielen zwei Faktoren eine wichtige Rolle. Natürlich sind die Chinesen an der deutschen Technologie stark interessiert und werden alles daran setzen, das Wissen ihrer neuen Mitarbeiter von China aus zu nutzen. Andererseits kaufen sie Zulieferer in Deutschland, Österreich und der Schweiz auch, um leichteren Zugang zu den großen Automobilkonzernen hier zu Lande zu bekommen.
Kohlen: Dazu brauchen sie Ingenieure, die einen direkten Draht in die Unternehmenszentralen haben. Audi, Mercedes und BMW erwarten von ihren Zulieferern Toptechnologie. Für die Automobilhersteller ist wichtig, die Ingenieure in ihrer Nähe zu haben, um mögliche Probleme oder Neuheiten schnell diskutieren zu können. Die Chinesen haben das begriffen: Ein Kahlschlag bei ihren neuen Töchtern wäre kontraproduktiv.
Die Regierung schätzt die Autoindustrie realistisch ein
mm: Vor 12 bis 18 Monaten war die Situation noch ganz anders. Es gab auch da schon interessierte chinesische Investoren. Aber sie durften nicht kaufen. Die Autokonzerne legten regelmäßig ihr Veto ein. Und wenn die Chefeinkäufer von Volkswagen, Daimler und Co. nicht mitziehen, dann haben Kaufinteressenten keine Chance mehr. Wieso dürfen die Chinesen jetzt plötzlich kaufen?
Kohlen: Auf beiden Seiten hat sich etwas geändert. Die Chinesen haben erkannt, dass sie früher nur bei schlechten Unternehmen zum Zug gekommen sind. Wenn Sie den neuen Fünfjahresplan aus Peking studieren, sehen Sie, dass die Regierung den Zustand der chinesischen Automobilindustrie realistisch einschätzt: Die meisten Unternehmen haben gegen die westliche Konkurrenz noch immer keine Chance. Also wollen sie ihre Marktposition gezielt mit technisch gut aufgestellten Unternehmen stärken. Doch sie haben nur dann eine Chance, gute Firmen zu übernehmen, wenn sie in den Verhandlungsprozessen professioneller auftreten.
mm: Das bedeutet?
Kohlen: Chinesische Investoren sind mittlerweile bereit, Preise zu zahlen, bei denen sie früher längst ausgestiegen wären. Außerdem lassen sie sich von erstklassigen Unternehmensberatern, Investmentbankern und Anwälten beraten. Ihre Unterhändler gehen zudem stärker auf die kulturellen Besonderheiten ihrer deutschen Verhandlungspartner ein und sie entscheiden viel schneller als noch vor einem Jahr.
mm: Das erklärt noch nicht, warum die VWs und Daimlers inzwischen ihr Plazet geben. Sie haben schließlich nichts von höheren Preisen.
Berret: Deutsche Unternehmen können sich schlecht ständig gegen die Interessen des Landes stellen, in dem sie in den vergangenen zwei bis drei Jahren einen Großteil ihres Gewinns erzielt haben. Die chinesische Regierung registriert ein solches Verhalten sehr genau und hat zahlreiche Möglichkeiten, ausländischen Unternehmen das Leben zu erschweren.
mm: Die hatte sie vor anderthalb Jahren auch schon.
Berret: Mit dem neuen Fünfjahresplan der chinesische Regierung hat sich die Lage verschärft. Andererseits ist auch das Interesse der deutschen Automobilhersteller an guten lokalen Zulieferern gestiegen. Wenn die Autohersteller hohe Zölle vermeiden wollen, müssen sie einen hohen Anteil ihrer Teile in China produzieren lassen. Bislang erfüllen aber häufig nur global aufgestellte Konzerne wie Bosch oder Continental die erforderlichen Qualitätskriterien. Chinesische Zulieferer scheitern regelmäßig an der Qualität; genauso, wie viele europäische Mittelständler, wenn sie ihre Produktion nach Asien verlegen. Wenn diese beiden Parteien sich verbünden und gegenseitig helfen, sieht das wahrscheinlich anders aus.
mm: Die Angst vor dem Verlust der deutschen Technologie fällt dann nicht mehr ins Gewicht?
Berret: Nein. Da regiert schon heute der Pragmatismus. Deutsche Konzerne ermuntern manchmal chinesische Partner, Produkte europäischer Lieferanten ohne Patente oder Lizenz nachzubauen. Und die europäischen Zulieferer unternehmen nichts dagegen, weil sie Angst haben, weitere Aufträge zu verlieren.
Kohlen: Dazu kommt noch ein ganz anderer Effekt. Auch das Management der übernommenen Firmen steht chinesischen Bietern viel offener gegenüber. Früher galten Unternehmen oft als schlechte Firmen, wenn sie von Chinesen gekauft wurden. Da jetzt immer mehr gute Unternehmen übernommen werden, hat sich das geändert. Das spielt eine wichtige Rolle: Das Management muss Interesse an einem bestimmten Käufer haben. Und dieses Interesse ist deutlich gestiegen.
mm: Es heißt immer wieder, die chinesische Regierung steuere, welches Unternehmen welche westliche Firma kaufe. Funktioniert das tatsächlich so?
Berret: Es wirkt zumindest häufig so, als folgten die Investoren einem großen, zentral gesteuerten Plan. Ganz selten kämpfen zwei chinesische Bieter um den gleichen deutschen Konzern. Spätestens wenn es in die Endphase der Verkaufsprozesse geht, bleibt nur ein Interessent aus China übrig. Und das ist häufig derjenige, der schon vorher einen engen Draht zu dem verkauften Unternehmen hatte - etwa als Joint-Venture-Partner in China.
mm: Wie kann man sich diese zentrale Steuerung genau vorstellen? Gibt es da eine lange Liste interessanter Unternehmen. Und sobald eins davon angreifbar erscheint, schickt der Staat einen chinesischen Käufer los.
Berret: Ich weiß nicht, ob da eine staatliche Behörde Regie führt und Kaufaufträge vergibt. Aber das Verhalten der Chinesen wirkt in jedem Fall koordiniert.
mm: Herr Berret, Herr Kohlen, die nächsten Transaktionen scheinen bereits dicht bevor zu stehen. Wann werden wir die erste chinesische Milliarden-Übernahme in Deutschland erleben?
Kohlen: Ich denke, wir werden nicht mehr lange warten müssen. Das dürfte eine Frage der nächsten zwölf Monate sein. Es war schon mindestens einmal fast so weit.