Borussia Dortmund "Gott sei Dank schießt Geld nicht immer Tore"

Borussia Dortmund nach dem Sieg gegen Verfolger Hannover 96 am 2. April: "Unser größtes Plus ist die unglaubliche Anhänglichkeit und Zuneigung unserer Fans"
Foto: Getty Imagesmm: Sie sind Vorsitzender der Geschäftsführung von Borussia Dortmund und gleichzeitig auch Unternehmer. Inwieweit unterscheidet sich ein Profifußballverein von einem "normalen" Unternehmen?
Watzke: Es muss hier wie dort eine klare Führungs- und Organisationsstruktur geben mit klaren Hierarchien und Entscheidungswegen. Eine solche Struktur gibt es freilich nicht bei allen Vereinen.
mm: Aber bei Borussia Dortmund?
Watzke: Bei uns ist ganz klar geregelt: Für den sportlichen Bereich sind Trainer Jürgen Klopp und Sportdirektor Michael Zorc zuständig. Daneben gibt es den Finanz-Geschäftsführer Thomas Treß. Und ich habe in meiner Funktion die Gesamtverantwortung für das Wirtschaftliche und auch das Sportliche, denn der Sport ist letztlich unser Kerngeschäft und nichts anderes.
mm: Sie reden also bei sportlichen Dingen mit und rein?
Watzke: Die Mannschaftsaufstellung macht nur einer: der Trainer. Aber alle anderen sportlichen Entscheidungen treffen wir zu dritt: Klopp, Zorc und ich.
mm: Auch Spielerkäufe und -verkäufe? Wir früh sind Sie in die Transferüberlegungen miteinbezogen?
Watzke: Ich bin im Prinzip jeden Tag mit Michael Zorc in Kontakt. Außerdem treffen wir uns wöchentlich einmal mit dem Trainer zum Jour fix. Deshalb weiß ich natürlich, was unsere sportliche Abteilung glaubt, welche Spieler interessant sind.
mm: Sie würden in dieser Expertenrunde aber nicht sagen, wir brauchen unbedingt einen linken Verteidiger zum Beispiel?
Watzke: Wenn ich der Meinung bin, wir brauchen unbedingt einen, würde ich das sagen. Wenn Jürgen und Michael das völlig anders sehen und das überzeugend rüberbringen, wäre ich aber der letzte, der sagt, wir holen den Spieler trotzdem. Aber grundsätzlich gilt: Transferpolitik ist das Hoheitsgebiet des Clubs und erst in zweiter Linie des Trainers. Denn es kann ja durchaus der Fall sein, dass ein Trainer im nächsten Jahr den Club verlässt, obwohl ihm zuvor seine Wünsche nach Neuverpflichtungen erfüllt wurden. Deshalb muss der Verein eine Philosophie entwickeln, die letztendlich Trainer-unabhängig ist.
"Verjüngung der Mannschaft, Angriff statt Verteidigung"
mm: Wenn man den Aktionismus der vergangenen Wochen in der Bundesliga anschaut, mag man kaum glauben, dass die Vereine eine mittelfristige Philosophie oder Strategie haben. Hat denn Borussia Dortmund eine?
Watzke: Nach der schwierigen Phase der Umstrukturierung - wir standen damals ja kurz vor dem Konkurs - haben wir für uns 2007 eine Grundphilosophie entwickelt. Wie ist unser Status quo, wo sind unsere Assets, wo liegen unsere Probleme ?
mm: Haben Sie das alleine gemacht oder mit Hilfe von außen?
Watzke: Für diese Analyse braucht man keine großen betriebswirtschaftliche Kenntnisse und keinen Experten von außen. Wenn man sich im Fußball ein wenig auskennt, kommt man relativ schnell darauf.
mm: Was waren denn Ihre Assets?
Watzke: Unser größtes Plus war und ist die unglaubliche Anhänglichkeit und Zuneigung unserer Fans. Wir hatten im Schnitt immer über 70.000 Zuschauer.
mm: ... obwohl Sie damals nicht besonders erfolgreich spielten…
Watzke: Ja, wir hatten einen enormen Erwartungsdruck der Fans, den wir nicht erfüllen konnten. Deshalb war klar:Wir brauchen einen größeren Kreditrahmen, nicht bei der Bank, sondern bei unseren Fans. Aber wie ist der zu bekommen?Durch zwei Voraussetzungen: Erstens durch nachhaltige Verjüngung unserer Mannschaft, weil jüngere Spieler vor einem Publikum wie in Dortmund einfach größeren Kredit genießen. Und zweitens durch ein Spielkonzept, das nicht mehr abwartend, sondern agierend ist. Angriff statt Verteidigung sozusagen.
mm: Haben Sie diese Spielphilosophie niedergeschrieben?
Watzke: Nein, das brauchten wir nicht. Es reicht, wenn man diese durch konsequentes Handeln lebt.
mm: Und dazu gehörte im Sommer 2008 die Verpflichtung von Jürgen Klopp als Trainer?
Watzke: Wir hatten schon vor ihm junge Spieler wie Marcel Schmelzer, Kevin Großkreutz und Mats Hummels verpflichtet. Aber uns - in erster Linie Michael Zorc und mir - war klar, dass wir dazu den absolut passenden Trainer finden müssen, der bereit ist, deutlich auf die Jugend zu setzen. Und dafür kam nur einer in Frage: Jürgen Klopp. Wir haben alles getan, um ihn zu bekommen.
"Jürgen Klopp hat einen Plan"
mm: In der ersten Zeit war Klopp mit der Borussia nicht erfolgreich.
Watzke: Unser Konzept musste anfangs durchaus Belastungsproben überstehen. Das vergisst man schnell: Wir waren unter Klopp nicht von Anfang an Erster, sondern landeten in der ersten Saison mit ihm im oberen Mittelfeld. Und auch in der vergangenen Saison hatten wir anfangs Probleme. Wir standen nach sieben Spieltagen mit sechs Punkten da. Da gab es schon Kritik, nicht so sehr von den Fans, sondern von den Medien.
mm: Dachten Sie jemals an einen Rausschmiss von Klopp?
Watzke: Nein, nie. Weil wir schon damals sahen, dass wir auf dem richtigen Weg sind, haben wir sogar den Vertrag mit ihm verlängert. Ich habe mich komplett vor alle gestellt und gesagt, es fehlen der Mannschaft maximal 5 Prozent Leistung, um richtig durchzustarten. Viele haben mich verlacht, ich habe auch viele Briefe bekommen, ich hätte sie nicht mehr alle.
mm: Was machte Sie so sicher?
Watzke: Jürgen hat einen Plan, er ist taktisch ein überragender Trainer. Im ersten Jahr haben wir unsere Defensive deutlich in den Fokus gestellt. Wir hatten zuvor mit 62 Gegentoren die schlechteste Abwehr der Bundesliga und wurden dann innerhalb kürzester Zeit zur zweitbesten. Und dann haben wir uns in der folgenden Saison auch fußballerisch nochmal richtig nach vorne entwickelt. Unsere Mannschaft spielt Fußball nach Plan. Das ist kein Zufall. Wenn man nahe dran ist, Jürgen Klopp im Training sieht, jede Woche mit ihm diskutiert, begreift man, welchen Plan er hat.
mm: Der Sport ist also doch zum Teil planbar.
Watzke: Klar, der Sport ist zu einem gewissen Teil planbar. Man kann, wenn man Geduld hat und zusammenhält, vieles möglich machen. Ich behaupte, ein Club ist 25 Prozent erfolgreicher, wenn sich die entscheidenden Leute gut verstehen und Vertrauen zueinander haben, und diese entscheidenden Leute sollten idealerweise nicht zu viele sein. Das ist im Fußball nicht einfach, weil immer auch Eitelkeiten mitspielen, noch mehr als im "normalen" Wirtschaftsleben.
mm: Warum fällt es vielen Vereinen so schwer, den Weg, den Sie gegangen sind, nachzumachen?
Watzke: Weil wir eine klare Organisationsstruktur im Club haben, die keine permanente Nervosität produziert. Schauen Sie sich Clubs wie Hamburg oder Schalke an. Das sind hochkomplexe Gebilde, das sind klassische, großartige Traditionsvereine, die aber das Problem haben, dass ihre Aufsichtsräte direkt von der Mitgliederversammlung gewählt werden.
mm: Haben Sie was gegen Demokratie?
Watzke: Nein, aber beim Fußball muss man aufpassen. Sehen Sie, diese AR-Kandidaten müssen gegeneinander Wahlkampf führen, und dazu müssen sie entweder populistisch auf der Versammlung reden oder sich vorher bekannt machen. Bekannt machen kann man sich aber nur mit markigen Äußerungen. Das erzeugt eine Vielstimmigkeit in einem Verein, die ihm schadet.
"Benchmark der Liga beim Thema Unternehmensführung"
mm: Ihre Aufsichtsräte haben deshalb Redeverbot?
Watzke: Bei Borussia Dortmund geben Gremienmitglieder nicht permanent Interviews, weil sie wissen, dass das kontraproduktiv für ein einheitliches Kommunikationsbild ist. Bei uns äußern sich zur operativen sportlichen Situation drei Leute - Michael Zorc, Jürgen Klopp und ich. Und alle anderen halten sich zurück.
mm: Wie kommunizieren Sie mit dem Aufsichtsrat, wie in einem normalen Unternehmen?
Watzke: Wir haben sogar zwei Gremien, einen Aufsichtsrat und einen Beirat. Wir tagen viermal im Jahr, dabei sprechen wir mit beiden Gremien sehr offen.
mm: Würden Sie sagen, dass Tabellenführer Borussia Dortmund auch im Bereich Corporate Governance eine Art Benchmark der Liga ist?
Watzke: Das glaube ich schon. Aber es gibt auch andere Vereine, die sehr gut strukturiert sind. Zum Beispiel Bayern München oder Werder Bremen. Allgemein gilt: Die Personen, die Entscheidung treffen, müssen von den Gremien stark gemacht werden. Aus meiner Sicht muss ein Club einen Kopf an der Spitze haben, der die Gesamtverantwortung hat. Das kann nicht der Aufsichtsratsvorsitzende sein, das muss der operativ Handelnde, der CEO sein. Wenn man dann der Meinung ist, dass der schlechte Arbeit abliefert oder die falschen Entscheidungen trifft, muss man ihn nach Hause schicken, aber ihm das Leben schwer zu machen, während er noch tätig ist, halte ich für nicht zielführend.
mm: Welches Anforderungsprofil muss denn dieser CEO eines Bundesligavereins haben?
Watzke: Er muss sowohl ökonomische als auch sportliche Dinge beurteilen können. Es muss kein studierter Betriebswirt sein oder in der Bundesliga gespielt haben. Aber er sollte auf ordentlichem Niveau Fußball gespielt haben.
mm: Wo haben Sie gespielt?
Watzke: In der Westfalen-Liga.
mm: Das reicht aus, um die Bundesliga zu verstehen?
Watzke: Der Prozess in einem mannschaftsinternen Gefüge läuft in der Westfalen-Liga genauso ab wie in der Bundesliga. Die Dinge, die sich in der Kabine abspielen, die Prozesse zwischen Spielern und Trainer sind immer die gleichen. Wer dort spielte, sollte den nötigen Fußballverstand haben.
mm: Was heißt denn eigentlich Fußballverstand?
Watzke: Die Empfehlungen des Trainers und des Sportdirektors einschätzen und bewerten können. Den Spielablauf und die innere Struktur des Spiels verstehen. Sonst ist man abhängig von den sportlichen Entscheidungsträgern.
mm: Viele Vereinschefs ducken sich weg bei Misserfolg und schmeißen den Trainer raus.
Watzke: In letzter Konsequenz macht es sich der eine oder andere Vereinschef zu einfach, wenn er sagt, er hat damit nichts zu tun - das sind mein Sportdirektor und mein Trainer. So kann man versuchen, Verantwortung abzuwälzen, wenn es nicht läuft. Ich bin da allerdings anderer Meinung.
"Der Weg in die Champions League hat uns keinen Euro gekostet"
mm: Also auch mal einen Vereinschef entlassen statt einem Trainer?
Watzke: Wenn man CEO ist, trägt man die Gesamtverantwortung und muss bereit sein, diese für falsche sportliche Entscheidungen zu übernehmen.
mm: Wie nah muss man als CEO an der Mannschaft sein, um die Strömungen innerhalb der Mannschaft mitzubekommen, ohne dem Trainer oder dem Sportdirektor zu sehr ins Handwerk zu pfuschen?
Watzke: Das ist ein schmaler Grat, den jeder für sich austesten muss.
mm: Wie ist das bei Ihnen?
Watzke: Für mich ist es nach sechs Jahren einfach, da die Abläufe klar sind und mich jeder Spieler kennt. Ich glaube, dass ich relativ nah dran bin. Der erste Ansprechpartner einer Mannschaft ist aber immer der Trainer. Und ich würde auch niemals vor dem Spiel in die Kabine gehen. Das ist das Hoheitsgebiet des Trainers. Ich gehe aber mit ins Trainingslager. Und wenn man dort mit offenen Augen durch die Gegend läuft, sieht man in einer Woche, wie die Gruppe funktioniert.
mm: Würden Sie mitbekommen, wenn es Intrigen gäbe in der Mannschaft, Gruppenbildungen oder eine Opposition gegen den Trainer?
Watzke: Hundertprozentig.
mm: Herr Watzke, in den 48 Jahre Bundesliga ist es keiner Mannschaft - außer Bayern München - gelungen, sportliche wie wirtschaftliche Kontinuität hinzubekommen. Warum ist das so schwer?
Watzke: In Europa wird nirgendwo eine Liga von einem Club wirtschaftlich derart dominiert wie die Bundesliga von Bayern München. In jeder der anderen großen Ligen gibt es das eine oder andere Korrektiv, das ist hier nicht so. Bayern München kann mit seinen wirtschaftlichen Möglichkeiten viel mehr ins Risiko gehen, kann sich antizyklischer verhalten. Als Bayern vor drei Jahren die Champions League verpasst hat, haben sie eben 100 Millionen investiert und waren dann wieder deutscher Meister.
mm: Also schießt Geld doch Tore?
Watzke: Gott sei Dank nicht immer. Schauen Sie sich Bayern in dieser Saison an oder auch den VfL Wolfsburg. Dort spielt Geld nur noch eine eingeschränkte Rolle. Das muss man auch sagen dürfen, ohne dass jemand beleidigt ist. Wenn der VW-Konzern will, hat man ohnehin schlechte Karten. Ich schätze, dass die Wolfsburger heute schon einen doppelt so hohen Etat haben wie Borussia Dortmund..
mm: Borussia Dortmund wird in der nächsten Saison in der Champions-League spielen und dadurch viel Geld verdienen. Werden Sie dann - wie die Bayern - teure Spieler kaufen?
Watzke: Ich habe intern bereits klar gesagt, wir werden keinen Paradigmenwechsel vornehmen. Wir haben einen großen Vorteil, uns hat der Weg in die Champions-League keinen Euro gekostet. Wir mussten nicht in Vorleistung treten. Wir werden unseren Etat im kommenden Jahr, wenn wir Champions-League spielen sollten, moderat erhöhen, mehr nicht.
mm: Es wird auch kein Jürgen Klopp kommen und fordern, dass er für die Champions-League die eine oder andere Verstärkung braucht?
Watzke: Das habe ich mit ihm und Michael Zorc schon alles besprochen. Das wird es nicht geben. Ich mache nicht 2007 eine Philosophie, um sie 2011 wieder zu brechen. Das Prinzip der Nachhaltigkeit ist für uns elementar.