
Tückischer Gewinnschwund: Welche Firmen in der Inflationszange ächzen
Inflation und Unternehmen "Die Gefahr wird schwer zu stoppen sein"
mm: Herr Stelter, müssen sich die Unternehmen auf steigende Inflationsraten gefasst machen?
Stelter: Darauf deutet vieles hin. Je länger ein sich selbst tragender Aufschwung in wichtigen Ländern wie den USA auf sich warten lässt, desto aggressiver werden die Notenbanken monetäre Maßnahmen ergreifen und umso größer wird der Geldüberhang, umso größer wird die Inflationsgefahr.
Sobald die Inflation zunimmt, wird sie schwer zu stoppen sein, weil sie ein wichtiger Bestandteil der konjunkturellen Erholung sein wird. Wenn Notenbanken die Zinsen stark anheben würden, geriete die Wirtschaft schnell wieder in die Rezession. Und zumindest in den USA sieht die Politik Inflation ganz klar als einen Hebel zur Bewältigung des Schuldenbergs an.

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mm: Was ist an der Inflation für die Firmen so schlimm? Haben sie historisch betrachtet nicht eher in Phasen von Deflation gelitten?
Stelter: Landläufig heißt es ja oft, Deflation ist für Unternehmen schlimm, Inflation dagegen nicht. Dabei ist eine Deflationsrate von 1-2 Prozent wie in Japan kein großes Problem. Unternehmen können das durch Produktivitätsfortschritte und Kostensenkungen kompensieren. Gesamtwirtschaftlich ist es natürlich ein Problem, weil die Nachfrage sinkt, aber auf Unternehmensebene ist Deflation zu bewältigen. Viele erfolgreiche Branchen, wie zum Beispiel die Elektronikindustrie, sind schon lange an sinkende Preise gewöhnt.
mm: Was macht die Inflation für Firmen so gefährlich?
Stelter: Für Privatleute gilt ja: Es ist am besten, sich bei drohender Inflation ein Haus auf Kredit zu kaufen. Aber wenn ein Unternehmen sehr kapitalintensiv ist und reinvestieren muss, braucht es finanziellen Spielraum. Wer mit hohen Verbindlichkeiten in die inflationäre Phase geht, bekommt wegen steigender Zinsen Schwierigkeiten, neue Kredite aufzunehmen, um sich zu refinanzieren und neue Anlagen zu kaufen.
Kapitalintensive und zugleich hoch verschuldete Betriebe sind besonders stark gefährdet. Schon bei Inflationsraten von 5 Prozent kann der Unternehmenswert erheblich sinken. Je höher der Anteil an variablen Kosten ist, desto schneller und stärker werden Firmen getroffen.
"Es droht eine Geldillusion - man fühlt sich reich, ist es aber nicht"
mm: Auf der anderen Seite bedeutet Inflation, dass die Kunden höhere Preise zahlen.
Stelter: Das ist keine Selbstverständlichkeit - vor allem in stark fragmentierten Märkten und in einem Umfeld, im dem Wettbewerb nur über den Preis funktioniert. Wer nicht stark genug ist, höhere Preise durchzusetzen, hat ein Problem. Die Lage verschärft sich, wenn die eigenen Lieferanten dazu sehr wohl in der Lage sind. Wer von wenigen Lieferanten abhängig ist, begibt sich möglicherweise in Gefahr.
mm: Wie schaffen es Unternehmen, ihre Preise angemessen zu erhöhen?
Stelter: In einer inflationären Phase gelten einige Grundsätze, die generell gelten, umso stärker. Die Firmen müssen wettbewerbsfähig sein, sie brauchen eine gute Marktstellung, sie müssen wissen, wie ihre Wettbewerber reagieren. In einer solchen Position schneidet ein Unternehmen auch in der Inflation gut ab. Es gibt aber auch ein paar ganz praktische Hebel. Wer beispielsweise langfristige Lieferverträge mit seinen Kunden eingeht, sollte da Preisgleitklauseln hineinschreiben. Das geschieht bei weitem nicht immer. Aber wir sehen derzeit erste Unternehmen, die sich konsequent vorbereiten.

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mm: Wie aggressiv dürfen die Preiserhöhungen ausfallen?
Stelter: Wenn die allgemeine Teuerung 5 Prozent beträgt, reicht es nicht, die eigenen Preise ebenfalls um 5 Prozent zu erhöhen. Es muss Geld zurückgelegt werden für künftige, teurere Reinvestitionen. Auch steigt die Mittelbindung, dem müssen die Preise Rechnung tragen.
mm: Sind die Firmen hierzulande ausreichend auf eine Inflation vorbereitet?
Stelter: Inflation hat für viele Manager der heutigen Generation nie eine Rolle gespielt. Sie haben folglich keine Erfahrung damit. Die Technik der inflationsbereinigten Rechnungslegung etwa spielt an den Universitäten keine Rolle mehr. Daher besteht die Gefahr, dass das Thema unterschätzt wird. Zumal sich die Inflation anfangs ja äußerst angenehm anfühlt.
General Motors feierte in den 1970er Jahren enorme Erlös- und Ertragssteigerungen. Real betrachtet, verlor das Unternehmen jedoch an Wert. Das Beispiel kann für viele Firmen gelten. Sie tätigen einfach nur geringe Abschreibungen auf historische Anschaffungen, die mit den nötigen Reinvestitionen kaum etwas gemein haben. Daraus ergibt sich die Gefahr einer Geldillusion. In einer Inflation fühlen sich Firmen immer reich, aber sie sind es gar nicht.
"Inflation könnte Konzentrationswelle auslösen"
mm: Dies im Einzelfall zu erkennen, ist eigentlich nicht besonders schwer.
Stelter: Das ist alles keine Geheimwissenschaft - aber die Firmen müssen das Thema jetzt mit vielen praktischen Maßnahmen angehen. Wer beispielsweise jetzt schon ein sehr hohes Umlaufvermögen hat, sollte strikt daran arbeiten, den Kapitalbedarf zu verringern. Es muss in den Köpfen verankert sein, dass die Firmen jetzt in einem anderen Umfeld agieren als in den vergangenen Jahrzehnten.
mm: Wer im Unternehmen muss sich des Themas annehmen?
Stelter: Das ist keine Angelegenheit, bei der sich eine zentrale Steuereinheit etwas überlegt, und das ist es dann gewesen. Die Führungsebene muss die gesamte Organisation darauf vorbereiten, dass Inflation ein Thema sein könnte.
Sie muss dann ein paar Kernprozesse analysieren - Preissetzung, Einkauf, Investitionsentscheidungen - und sich mit den Leuten zusammensetzen, die zuständig sind. In Einkauf, Verkauf, Produktion muss die Frage lauten: Wie werden wir krisensicherer? Das muss Teil des tagtäglichen Managements sein, erfordert aber für viele Unternehmen eine neue Denkweise.
mm: Kann es so weit gehen, dass eine Firma ihr Geschäftsmodell überdenken muss?
Stelter: Der schlimmste Fall ist, wenn ein Unternehmen auf der Kostenseite stark von der Inflation getroffen wird, aber keine Möglichkeit hat, steigende Preise weiterzugeben - aufgrund von starkem Wettbewerb, der Vertragsstrukturen oder Regulierung. Wenn sich daran nichts ändern lässt, wirft das die Frage auf, ob besonders betroffene Aktivitäten wirklich zum Kerngeschäft zählen.
mm: Führt Inflation damit auch in einen Konzentrationsprozess?
Stelter: Das ist denkbar. In einem inflationären Umfeld entsteht eine neue Wettbewerbsdynamik. Wer nicht die Preise erhöhen kann, und ohnehin ein schwacher Spieler im Markt ist, gerät viel stärker unter Druck als der Marktführer. Dann kann es vermehrt zu Übernahmen kommen, oder die Schwachen scheiden einfach aus.
mm: Wie stehen die deutschen Firmen in diesem Szenario da?
Ich bin optimistisch. Die deutsche Industrie hat ihre Hausaufgaben gemacht und in der Krise enorme Stärke bewiesen. Die meisten Firmen haben die Kosten im Griff, die Produkte sind wettbewerbsfähig. Und: Je besser die Produkte einer Firma, desto besser kann sie auch Kostensteigerungen weitergeben.