
Rekordkapitalerhöhung von Petrobras Brasilien auf der Überholspur
Hamburg - Für den größten Börsendeal der Geschichte findet José Sérgio Gabrielli die passenden Worte. "Heute beginnt eine neue Etappe für Petrobras, für Brasilien, für unsere Gesellschaft", sagte der Chef des Ölkonzerns Petrobras am Freitag zur Eröffnung des Börsenhandels in São Paulo. Doch damit stand er wieder einmal im Schatten seines Parteifreunds, Präsident Luis Inácio Lula da Silva, der es pathetischer liebt: "Gott war sehr großzügig mit dem brasilianischen Volk."
Zuvor hatte Lula bereits sich selbst als "Heiligen" dargestellt, der dieses "Wunder" vollbringe: die größte Kapitalsammlung der Geschichte des Kapitalismus - ausgerechnet er, der Sozialist, der ungelernte Metallarbeiter und frühere Gewerkschaftsführer. Natürlich färbt der laufende Wahlkampf solche Aussagen. Lula will seiner Wunschnachfolgerin Dilma Rousseff, die lange den Petrobras-Aufsichtsrat führte, am Sonntag zum Sieg im ersten Wahlgang verhelfen. Und er will sich selbst zum Ende seiner achtjährigen Amtszeit ein Denkmal setzen. Doch das starke Selbstbewusstsein hat ein stabiles Fundament.
Die eingesammelten 70 Milliarden Dollar sollen Petrobras dabei helfen, die gigantischen Ölfunde in der Tiefsee unter einer kilometerdicken Salzschicht zu bergen - die mit Abstand größten neu entdeckten Reserven und das gewaltigste Investitionsprogramm der Energiebranche. Wenn jemand gute Aussichten hat, das Ölzeitalter noch etwas zu verlängern, dann die Brasilianer - die ihren eigenen Konsum des schwarzen Golds aber dank Wasserkraft und Biosprit längst stark eingeschränkt haben.
Ein so gesuchtes Investitionsziel wie heute war Brasilien noch nie. Die Regierung erwartet für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von mindestens 7 Prozent. Damit spielt Brasilien in einer Liga mit den Boommärkten China und Indien - mit dem Unterschied, dass die Südamerikaner bereits einen recht hohen Lebensstandard für große Teile des Volks erreicht haben.
Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer von der Universität Duisburg-Essen rechnet vor, dass der brasilianische Automarkt in diesem Jahr erstmals größer wird als der deutsche. Lulas Strategie, den Binnenmarkt mit Sozialtransfers und staatlichen Investitionsprogrammen anzuregen, ging auf. Zugleich wandelte sich die einst höchstverschuldete Nation der Welt zum Nettogläubiger und Hort finanzieller Stabilität. Lula sieht sein Land auf dem Weg zur fünftgrößten Wirtschaftsmacht, und langfristig - "ja, warum nicht?" - sogar zur Nummer eins.
Petrobras als Musterbeispiel für den neuen Staatskapitalismus
Petrobras ist ein Musterbeispiel für den neuen Staatskapitalismus. "Andere haben die Börse nur als Vorwand benutzt, um Staatsunternehmen zu verkaufen", verkündet Lula. "Wir stärken hier unsere Petrobras." Die Regierung hält an ihrer Kontrollmehrheit der Stimmrechte fest und steigert ihren Kapitalanteil mit der Transaktion von einem Drittel auf mehr als 40 Prozent. Denn den Großteil der neuen Aktien im Wert von 42,5 Milliarden Dollar nimmt sie selbst ab, im Tausch für Förderrechte an fünf Milliarden Fass Öl in den neuen Feldern der Tiefsee.
Diese Rechte dürften bares Geld wert sein, schließlich reißen sich private Wettbewerber in Versteigerungen anderer Lizenzen darum, neben Petrobras auch einen Teil des lukrativen Geschäfts abzubekommen. Doch wie viel genau, wird sich erst in vielen Jahren herausstellen. Schließlich müssen die Förderanlagen erst noch hergestellt werden. Probebohrungen in der Pré-sal-Schicht deuten zwar auf eine hohe Erfolgsquote und gute Qualität hin, aber Gewissheit, dass der Schatz katastrophenfrei an die Oberfläche kommen kann, gibt es noch nicht.
Deshalb tobte vor der Kapitalerhöhung ein Streit um die Bewertung dieser Ressourcen. Petrobras-Chef Gabrielli war dabei hin- und hergerissen zwischen dem Interesse des staatlichen Großaktionärs, mit einer großzügigen Bewertung die Kontrolle zu erhalten, und dem Bedarf des Konzerns an Bargeld, das nur die privaten Investoren liefern. Der Investitionsplan des Unternehmens sieht Ausgaben von 224 Milliarden Dollar bis 2014 vor. Und neue Schulden konnte Petrobras vor dem Börsendeal nicht mehr aufnehmen, ohne sein Kreditrating zu gefährden.
Lula lässt den Börsenwert ausdiskutieren
Abermals hat Lula gezeigt, dass seine Politik das Primat gegenüber der Börse hat. Wie die "Folha de São Paulo" berichtet, wurde der Wert der vom Staat gewährten Lizenzen und damit der größte Posten der Rekordkapitalerhöhung einfach ausdiskutiert. Zwar hatten beide Seiten renommierte US-Energieberatungsunternehmen engagiert, um den Wert der Lizenzen objektiv zu schätzen. Doch die Ergebnisse lagen weit auseinander. DeGolyer & MacNaughton kamen für Petrobras auf fünf bis sechs Dollar je Fass. Gaffney, Cline & Associates peilten für die staatliche Ölbehörde zehn bis zwölf Dollar an.
Man einigte sich auf genau 8,51 Dollar - mit dem Ergebnis, dass der staatliche Einfluss auf Petrobras steigt, ohne dass die Regierung den zweistelligen Milliardenbetrag aus dem Haushalt aufbringen muss. In einigen Jahren soll die Transaktion überprüft werden, wobei die Regierung darauf setzt, dass sie dann eher noch Geld von Petrobras zurückfordern kann, weil die Ölquellen reichlich sprudeln.
"Wir denken, dass alles über sechs Dollar je Fass die Anleger enttäuschen würde", hatte Analystin Lilianna Yang von der Schweizer UBS zuvor gewarnt. Doch so intransparent der Handel auch gelaufen sein mag, den Kurs drückte er nicht mehr. Die meisten Analysten gehen eher davon aus, dass die Petrobras-Aktie deutliches Aufwärtspotenzial hat. Auch die Kapitalerhöhung war klar überzeichnet. Bei dem neuen Boom wollen alle dabei sein.