
Lastwagenbauer im Absatzrausch Der nächste Kater kommt bestimmt
Hannover - In Halle 17 prallen alte und neue Lkw-Herrlichkeit erbarmungslos aufeinander. Bei Iveco schmiegt sich eine Braunhaarige in Badekleidung lächelnd an die gewaltige Zugmaschine eines 40-Tonners, doch die etwa zwölf Herren in dunklen Einreihern wenige Schritte entfernt beugen sich über ein unscheinbares, vielleicht halb so großes Hybridmodell von Scania.
Die üblichen Reize ziehen nicht mehr auf dieser Internationalen Automobilausstellung für Nutzfahrzeuge in Hannover. Beinahe krampfhaft ist die Brummibranche auf der Suche nach einer neuen Identität, nachdem hohe Ölpreise und die weltweite Rezession sie 2008 und 2009 in ihre schwerste Krise geführt haben.
Vordergründig beeindrucken Hersteller und Zulieferer derzeit mit stetig steigenden Verkaufszahlen. Marktführer Daimler stellt eine höhere Gewinnprognose in Aussicht, MAN will so viele Fahrzeuge wie noch nie verkaufen, und Volkswagen kündigt mal eben an, den Marktanteil von jetzt 3 bis 2018 auf 10 Prozent auszubauen. Eine Branche im Rausch?
Dafür kommt der Auftritt manches Ausstellers vergleichsweise demütig daher. Fast überall ist von geringerem Spritverbrauch, leiseren Motoren und weniger Gewicht die Rede. "Sie wissen: Der Dieselpreis erholt sich mindestens genauso schnell wie die globalen Nutzfahrzeugmärkte", mahnt Daimler-Lastwagen-Chef Andreas Renschler im völlig überfüllten Saal 1 die internationale Fachpresse.
Druck aus der Politik nimmt zu
Zudem wächst der Druck aus der Politik auf die Branche. In allen Industrieländern, aber auch den meisten Schwellenländern verschärfen Regierungen die Klimaauflagen nun auch für Nutzfahrzeuge drastisch. In Europa will die Kommission den Kohlendioxidausstoß kleiner Nutzfahrzeuge bis 2020 auf 135 Gramm pro Kilometer zu reduzieren. Auch die Brummis sollen bald weniger Klimagas ausstoßen.
Mit den Fahrzeugen, die heute den Aufschwung bringen, wird unter diesen Umständen schon in wenigen Jahren kein Staat mehr zu machen sein, schwant vielen. "Mit konventioneller Technik wird es nicht möglich sein, auf einen Kohlendioxidausstoß von 135 Gramm pro Kilometer zu kommen", sagt Volkswagen-Nutzfahrzeug-Chef Wolfgang Schreiber. Die Vorgabe werde "zu einer Technologieänderung führen müssen". Von dieser ist die Branche jedoch um Meilen weiter entfernt als beispielsweise das Pkw-Segment.
Den Herstellern bleiben eigentlich nur zwei Möglichkeiten. Entweder sie wenden die ambitioniertesten Klimaziele durch harte Lobbyarbeit noch ab. Oder sie erfinden sich binnen weniger Jahre neu - was für jeden einzelnen Hersteller ein existenzielles Risiko bedeuten kann.
Große Brummis brauchen noch lange Diesel
Weltmarktführer Daimler versucht zumindest rhetorisch den ganz großen Wurf. "Wir wollen Diesel-Verbrauch und Emissionen nicht nur senken, sondern möglichst abschaffen", gab Renschler zu Beginn der Messe die Parole aus.
Allerdings schmückt sich auf der IAA nahezu jeder Anbieter nur mit ein, zwei Vorzeigemodellen. Doch nur im Bereich der Lieferwagen ist ansatzweise erkennbar, dass die Fahrzeuge in Zukunft flächendeckend klimaneutral fahren könnten.
So plant Mercedes noch 2010 eine Kleinserie von 100 Vito E-Cell auf die Straße zu bringen. Im nächsten Jahr kalkuliert man mit 2000 der Elektro-Transportern. Renault hat für das Jahr 2011 einen elektrischen Kangoo angekündigt. Und Peugeot verkauft sogar seinen Elektrowinzling iOn als Lieferwagen mit zwei Sitzen.
Zulieferer Continental verweist auf ein Antriebssystem für einen 7,5-Tonner, der eine Reichweite von 150 Kilometer haben soll. Bis zu einer mittleren Fahrzeuggröße scheint sich die Hybridtechnik durchzusetzen, vor allem bei Bussen und im Verteilerverkehr.
Verbrauch bei Trucks soll auf 25 Liter pro 100 Kilometer sinken
Bei den großen Brummern stehen die Zeichen dagegen weiter voll auf Diesel. Derzeit versuchen die Hersteller den Verbrauch bei 40-Tonnern um ein paar Prozent auf 25 Liter auf 100 Kilometer zu senken.
"Die elektrischen Antriebe haben nicht die Leistungsdichte, die im Nutzfahrzeugverkehr notwendig ist", sagte der Vorstandsvorsitzende des Friedrichshafener Zulieferers ZF, Hans-Georg Härter, gegenüber manager magazin. "Die Ausdauer, die im Schwerlastverkehr notwendig ist, um ein Fahrzeug auf einer Strecke von einigen Hundert Kilometern auf einer angemessenen Geschwindigkeit zu halten, sind mit der heute verfügbaren Technik nicht realisierbar. Das ist ein Fakt, den niemand wegdiskutieren kann."
Aus diesem Grund hält er die EU-Klimaschutzziele für unrealistisch. "Solange wir keinen Quantensprung bei Speicherfähigkeit und der Leistungsdichte der elektrischen Antriebe haben, solange wird der Verbrennungsmotor das dominante Antriebselement im Schwerlastverkehr sein. Ohne jedes Wenn und Aber." Auch die moralisch umstrittenen Biokraftstoffe könnten Diesel nicht voll ersetzen.
Geschmeidig anmutende Prototypen
Dafür versuchen sich die Hersteller momentan an geschmeidig anmutenden Prototypen, bei denen der Luftwiderstand erheblich sinken soll. MAN stellte auf der IAA eine Studie mit dem Namen "Concept S" vor. Der Auflieger verjüngt sich zum Ende hin, weshalb das Gesamtfahrzeug 20 Meter lang sein muss, um dieselbe Ladekapazität zu haben wie ein herkömmlicher Truck. Dafür bedürfte es einer Gesetzesänderung. Derartige Ansinnen stießen zuletzt auf große Skepsis in der Politik, weil Überholmanöver schwieriger werden dürften.
Lassen sich Spediteure auf die unkonventionellen Formen ein, scheinen solche Versuch kurzfristig den größten Effekt haben. Denn die Sparpotenziale der herkömmlichen Motortechnologie sind aus Sicht von Branchenexperten bald ausgereizt. "Deshalb lassen sich nur noch Verbesserungen von maximal 5 Prozent erzielen", sagt Autoexperte Wolfgang Bernhart von der Unternehmensberatung Roland Berger.
Eine überzeugende Lösung für das Antriebsproblem ist noch nicht in Sicht. "Unter den neuen alternativen Technologien wird bis 2020 nur der Hybridantrieb eine bedeutende Rolle spielen", urteilen die Fachleute von Roland Berger in einer zur IAA erschienenen Studie.
Bahnbranche sieht ihre Chance
Dennoch würde es mit keiner dieser Technologien wie Hybrid-/Elektrofahrzeuge, Wasserstoff-Brennstoffzellen oder alternativen Treibstoffen allein gelingen, die erwarteten CO2-Ziele zu erreichen. "Die Entwicklung neuer alternativer Antriebstechnologien ist unerlässlich, um die Abhängigkeit vom Öl zu reduzieren und die Auswirkungen der Treibhausgase einzudämmen", mahnt Roland-Berger-Lastwagenexperte Norbert Dressler.
Derweil beobachten Vertreter des konkurrierenden Verkehrsträgers Schiene das Dilemma der Lastwagenbranche mit einer gewissen Schadenfreude. Etwa 250 Kilometer westlich von der IAA, auf der Bahnmesse Innotrans, wittern Funktionäre ihre Chance und stellen genüsslich die Schwäche der Brummis heraus.
"Der Lkw passt nicht in die Zukunftskonzepte der Industrie und der Wirtschaft bei Überlegungen zur Elektromobilität", ätzte gleich zum Auftakt der Geschäftsführer des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen, Martin Henke. Da solle sich der Staat lieber gleich verstärkt auf die bereits weitgehend elektrifizierte Eisenbahn konzentrieren. Für diesen Fall hatte die Lastwagen-Branche indes schon mit einem eigenen Gutachten vorgesorgt, das auf der IAA die Runde machte. Die Ökobilanz des Lkw habe sich in den vergangenen Jahren im Vergleich zur Güterbahn beständig verbessert.